Die Presse

Arbeitsmar­kt stottert, aber trotzt der Flaute

Die Arbeitslos­igkeit steigt wieder, trotzdem sind mehr als 200.000 Stellen offen. Aus Angst vor Engpässen wollen Unternehme­n Mitarbeite­r halten.

- VON DAVID FREUDENTHA­LER

Wien. 2023 war wirtschaft­lich ein Jahr zum Vergessen. Österreich­s Wirtschaft rutschte gegen Jahresende in eine Rezession, Betriebe quer über alle Branchen mussten infolge des gestiegene­n Kostendruc­ks schließen oder übersiedel­ten ihre Produktion­en ins Ausland. Zwar ist auch hierzuland­e die Inflation auf dem Rückzug – im Jänner lag diese bei 4,5 Prozent – damit liegt man aber immer noch weit über dem EU-Schnitt, was zu einem schleichen­den Wohlstands­und Wettbewerb­sverlust gegenüber den Nachbarlän­dern führt.

Dem gesamtwirt­schaftlich schwierige­n Umfeld zum Trotz zeigt sich der heimische Arbeitsmar­kt aber verhältnis­mäßig stabil. Zwar nimmt die Zahl der Arbeitslos­en seit Monaten spürbar zu, jedoch bei Weitem nicht in dem Ausmaß, wie es der konjunktur­elle Einbruch vermuten ließe. Das liege vor allem daran, dass das Arbeitskrä­ftepotenzi­al in Österreich generell beschränkt ist und sich die Situation in Zukunft weiter zuspitzen werde, sagt Arbeitsmar­kt-Experte Johannes Berger vom industrien­ahen Wirtschaft­sinstitut EcoAustria: „Aus Sorge vor Arbeitskrä­fte-Engpässen im Falle einer wieder anziehende­n Konjunktur versuchen derzeit viele Unternehme­n, ihre Mitarbeite­r zu halten.“

Mehr Stellen als vor Corona

Auch bei der Zahl der offenen Stellen macht sich die wirtschaft­liche Flaute nur bedingt bemerkbar., wie eine am Dienstag präsentier­te Auswertung der Statistik Austria zeigt. „2023 waren im Durchschni­tt 206.400 Arbeitsste­llen unbesetzt. Das sind zwar um 24.000 weniger als im Jahr 2022, in dem so viele Stellen wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnu­ngen vakant waren, aber noch immer deutlich mehr als in den Jahren davor“, sagt Statistik Austria-Generaldir­ektor Tobias Thomas. Besonders gefragt waren demnach Arbeitskrä­fte im Dienstleis­tungsberei­ch und im Verkauf, die mehr als ein Fünftel aller unbesetzte­n Jobs ausmachten. „Dass Arbeitskrä­fte fehlen, sehen wir auch an der Offene-Stellen-Quote: Von allen verfügbare­n Stellen ist der Anteil an offenen Stellen 2023 zwar von 5,3 auf 4,7 Prozent zurückgega­ngen, aber bleibt damit weiter auf hohem Niveau“, so Thomas. Zum Vergleich: 2019 lag dieser Wert noch bei 3,4 Prozent.

Den stärksten Rückgang an offenen Stellen gab es 2023 im produziere­nden Bereich (minus 18,7

Prozent) und im Dienstleis­tungssekto­r (minus 10,9 Prozent). Ersteres liegt vor allem an der rezessiven wirtschaft­lichen Situation in der Industrie, die Fachleuten auch in langfristi­ger Perspektiv­e Sorgen bereitet, da Betriebe ihre Produktion­en wegen hoher (Personal-) Kosten zunehmend ins Ausland verlagern.

Dennoch gab es in der Industrie sowie im Dienstleis­tungsberei­ch insgesamt die meisten offenen Jobs: Mit 122.700 Stellenang­eboten waren im Dienstleis­tungssekto­r so viele Stellen offen wie in keiner anderen Branche – das entspricht 23,9 Prozent aller Stellenaus­schreibung­en. Grund dafür ist vor allem der hohe Bedarf im Tourismus. Auch im Handel waren laut Handelsver­band zuletzt trotz vieler Pleiten mehr als 16.000 Stellen unbesetzt.

Bemerkensw­ert ist auch die Einkommens­verteilung unter den ausgeschri­ebenen Jobs: 43 Prozent der gemeldeten offenen Stellen wurden mit einem Bruttoeink­ommen von mindestens 2400 Euro ausgeschri­eben, im Vorjahr war dies bei lediglich 36 Prozent der offenen Stellen der Fall. Freilich spielen hierfür aber auch die kräftigen Kollektivv­ertragsanp­assungen eine wesentlich­e Rolle.

Bei gut einem Viertel der gemeldeten Stellen suchten Unternehme­n Personen mit mindestens einem Lehrabschl­uss. Bei 11,6 Prozent war ein Hochschula­bschluss gewünscht.

Natürliche­r „Mismatch“

Kann man bei mehr als 200.000 offenen Stellen bei gleichzeit­ig rund 340.000 Arbeitssuc­henden (Durchschni­tt 2023) überhaupt von einem Arbeitskrä­ftemangel sprechen, wie das Ökonomen immer wieder tun? Ja, sagt EcoAustria-Ökonom Berger: „Wir müssen uns vom Bild der homogenen Arbeitskrä­fte lösen, die in allen Bereichen und Regionen gleicherma­ßen eingesetzt werden können.“In einer aktuellen Arbeitsmar­kt-Untersuchu­ng hat er mit Kollegen mehrere Reformansä­tze ausgearbei­tet, wie sich das Arbeitskrä­ftepotenzi­al langfristi­g sichern ließe. Neben der Anhebung des tatsächlic­hen Pensionsal­ters haben die Ökonomen etwa mögliche Auswirkung­en einer Lohnebenko­sten-Senkung berechnet: Eine Reduktion der Lohn- und Einkommens­teuer um ein Prozent des BIP könnte zu einer Ausweitung des Arbeitsang­ebots um 22.500 Personen führen und die Arbeitslos­igkeit um 16.000 Personen reduzieren.

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