Arbeitsmarkt stottert, aber trotzt der Flaute
Die Arbeitslosigkeit steigt wieder, trotzdem sind mehr als 200.000 Stellen offen. Aus Angst vor Engpässen wollen Unternehmen Mitarbeiter halten.
Wien. 2023 war wirtschaftlich ein Jahr zum Vergessen. Österreichs Wirtschaft rutschte gegen Jahresende in eine Rezession, Betriebe quer über alle Branchen mussten infolge des gestiegenen Kostendrucks schließen oder übersiedelten ihre Produktionen ins Ausland. Zwar ist auch hierzulande die Inflation auf dem Rückzug – im Jänner lag diese bei 4,5 Prozent – damit liegt man aber immer noch weit über dem EU-Schnitt, was zu einem schleichenden Wohlstandsund Wettbewerbsverlust gegenüber den Nachbarländern führt.
Dem gesamtwirtschaftlich schwierigen Umfeld zum Trotz zeigt sich der heimische Arbeitsmarkt aber verhältnismäßig stabil. Zwar nimmt die Zahl der Arbeitslosen seit Monaten spürbar zu, jedoch bei Weitem nicht in dem Ausmaß, wie es der konjunkturelle Einbruch vermuten ließe. Das liege vor allem daran, dass das Arbeitskräftepotenzial in Österreich generell beschränkt ist und sich die Situation in Zukunft weiter zuspitzen werde, sagt Arbeitsmarkt-Experte Johannes Berger vom industrienahen Wirtschaftsinstitut EcoAustria: „Aus Sorge vor Arbeitskräfte-Engpässen im Falle einer wieder anziehenden Konjunktur versuchen derzeit viele Unternehmen, ihre Mitarbeiter zu halten.“
Mehr Stellen als vor Corona
Auch bei der Zahl der offenen Stellen macht sich die wirtschaftliche Flaute nur bedingt bemerkbar., wie eine am Dienstag präsentierte Auswertung der Statistik Austria zeigt. „2023 waren im Durchschnitt 206.400 Arbeitsstellen unbesetzt. Das sind zwar um 24.000 weniger als im Jahr 2022, in dem so viele Stellen wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen vakant waren, aber noch immer deutlich mehr als in den Jahren davor“, sagt Statistik Austria-Generaldirektor Tobias Thomas. Besonders gefragt waren demnach Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich und im Verkauf, die mehr als ein Fünftel aller unbesetzten Jobs ausmachten. „Dass Arbeitskräfte fehlen, sehen wir auch an der Offene-Stellen-Quote: Von allen verfügbaren Stellen ist der Anteil an offenen Stellen 2023 zwar von 5,3 auf 4,7 Prozent zurückgegangen, aber bleibt damit weiter auf hohem Niveau“, so Thomas. Zum Vergleich: 2019 lag dieser Wert noch bei 3,4 Prozent.
Den stärksten Rückgang an offenen Stellen gab es 2023 im produzierenden Bereich (minus 18,7
Prozent) und im Dienstleistungssektor (minus 10,9 Prozent). Ersteres liegt vor allem an der rezessiven wirtschaftlichen Situation in der Industrie, die Fachleuten auch in langfristiger Perspektive Sorgen bereitet, da Betriebe ihre Produktionen wegen hoher (Personal-) Kosten zunehmend ins Ausland verlagern.
Dennoch gab es in der Industrie sowie im Dienstleistungsbereich insgesamt die meisten offenen Jobs: Mit 122.700 Stellenangeboten waren im Dienstleistungssektor so viele Stellen offen wie in keiner anderen Branche – das entspricht 23,9 Prozent aller Stellenausschreibungen. Grund dafür ist vor allem der hohe Bedarf im Tourismus. Auch im Handel waren laut Handelsverband zuletzt trotz vieler Pleiten mehr als 16.000 Stellen unbesetzt.
Bemerkenswert ist auch die Einkommensverteilung unter den ausgeschriebenen Jobs: 43 Prozent der gemeldeten offenen Stellen wurden mit einem Bruttoeinkommen von mindestens 2400 Euro ausgeschrieben, im Vorjahr war dies bei lediglich 36 Prozent der offenen Stellen der Fall. Freilich spielen hierfür aber auch die kräftigen Kollektivvertragsanpassungen eine wesentliche Rolle.
Bei gut einem Viertel der gemeldeten Stellen suchten Unternehmen Personen mit mindestens einem Lehrabschluss. Bei 11,6 Prozent war ein Hochschulabschluss gewünscht.
Natürlicher „Mismatch“
Kann man bei mehr als 200.000 offenen Stellen bei gleichzeitig rund 340.000 Arbeitssuchenden (Durchschnitt 2023) überhaupt von einem Arbeitskräftemangel sprechen, wie das Ökonomen immer wieder tun? Ja, sagt EcoAustria-Ökonom Berger: „Wir müssen uns vom Bild der homogenen Arbeitskräfte lösen, die in allen Bereichen und Regionen gleichermaßen eingesetzt werden können.“In einer aktuellen Arbeitsmarkt-Untersuchung hat er mit Kollegen mehrere Reformansätze ausgearbeitet, wie sich das Arbeitskräftepotenzial langfristig sichern ließe. Neben der Anhebung des tatsächlichen Pensionsalters haben die Ökonomen etwa mögliche Auswirkungen einer Lohnebenkosten-Senkung berechnet: Eine Reduktion der Lohn- und Einkommensteuer um ein Prozent des BIP könnte zu einer Ausweitung des Arbeitsangebots um 22.500 Personen führen und die Arbeitslosigkeit um 16.000 Personen reduzieren.