Die Presse

Wenn Männerblic­ke Frauen häuten

Gewalt gegen Frauen. Künstlerin­nen aus aller Welt prangern seit über 50 Jahren die Grausamkei­ten des Verharrens in patriarcha­len Rollenmust­ern an. Zu sehen ab morgen in einer Ausstellun­g der Verbund-Sammlung in der Albertina.

- VON ALMUTH SPIEGLER Ausstellun­gen: Bertlmann im Belvedere 21, bis 3. 3.; 20

In der ganzen Stadt Femizid-Kreuze aufstellen, überall dort, wo in Wien ein Frauenmord geschah: Diese Idee wälzte die Künstlerin Renate Bertlmann (81) voriges Jahr in der „Presse“. Ob und wie eine Umsetzung sinnvoll wäre, müsse diskutiert werden. Die Gewalt an Frauen beschäftig­t Bertlmann aber schon seit ihren künstleris­chen Anfängen vor über 50 Jahren. Und diese Gewalt, sagt sie, nimmt nicht und nicht ab. Um das bewusst zu machen, um die lange Erfahrung bewusst zu machen, aus der diese Künstlerin­nen schöpfen, stehen in diesem Text alle Altersanga­ben in Klammern dabei.

Nur noch bis Sonntag läuft Bertlmanns Retrospekt­ive im Belvedere 21. Ab morgen ist sie auch Teil der Gruppenaus­stellung der Sammlung Verbund in der Albertina. Der Sammlung eines Energieunt­ernehmens, bei dem man nicht sogleich damit rechnen würde, dass es ausgerechn­et feministis­che Kunst fördert. Und ihr sogar mit Wanderauss­tellungen um die halbe Weltin den vergangene­n zehn, 15 Jahren zum Durchbruch verholfen hat. Auch der Topos „Feministis­che Avantgarde“für diese Gruppe früher aktivistis­cher Konzeptkün­stlerinnen der Sechziger- und Siebzigerj­ahre wurde von Verbund-Sammlungs-Leiterin Gabriele Schor geprägt. Der Dank dieser Frauen, deren Werke sie teils von Dachböden und aus verstaubte­n Ablagen geholt hat, ist immer wieder spürbar.

Aber auch die Gesellscha­ft hat zu danken: Durch die Zusammensc­hau dieser mittlerwei­le historisch­en Aktionen, Fotografie­n, Videos und Zeichnunge­n wird in diesen Tagen, in denen allein in Österreich sechs Frauen ermordet wurden, etwas schmerzlic­h bewusst: Wie wenig sich, wo sich doch rundum so viel verändert hat, in den Köpfen verändert hat. Was sich sowohl auf das autochthon­e wie auf das importiert­e Beharren patriarcha­l tradierter Rollenmust­er bezieht, durchaus bei beiden Geschlecht­ern. Die brutale Durchsetzu­ng aber erledigt nur eines.

Der Tod der Hausfrau

Es gilt immer noch die Parabel vom Tod der Hausfrau, wie Karin Mack (84) sie 1975 in einer Folge von nur vier Fotos erzählte (s. Abb.): Zweimal bügelt sie Wäsche. Dann bügelt sie ihren Trauerschl­eier. Dann bahrt sie sich darin selbst auf dem Bügelbrett auf. Es gilt immer noch die Wut von Margot Pilz (88), die auf Fotos 1978 ihre Hände im Schoß zu Fäusten ballte. Es gilt auch Birgit Jürgenssen­s ikonisches Selbstport­rät, eine Wange an eine Glasscheib­e gepresst, mit panischem Blick auf den Betrachter – „Ich möchte hier raus!“entziffert man auf der Trennwand. 1976 war das, Jürgenssen verstarb 2003.

Ähnliche Werke existieren von der Kubanerin Ana Mendieta, die 1985 aus der gemeinsame­n Wohnung mit dem Bildhauerk­ollegen Carl Andre zu Tode stürzte. Bis zuletzt, bis zu seinem Tod vor wenigen Wochen, blieb dieser „Unfall“ungeklärt. Überhaupt ist interessan­t, dass rund um die Welt Künstlerin­nen die Situation der Frauen in ähnlicher Zeit mit ähnlichen Mitteln darstellte­n: Marina Abramovic und Yoko Ono setzten ihre Körper dem erschrecke­nd gewaltbere­iten (Kunst-)Publikum aus, ließen sich die Kleider vom Leib schneiden, mit auf einem Tisch bereitgest­ellten Utensilien, derer die Leute sich bereitwill­ig bedienten. Man sah, wie Abramovic die Tränen dabei über die Wangen liefen, in einem Video in ihrer Ausstellun­g voriges Jahr in der Royal Academy.

Viel wurde von Künstlerin­nen auch am eigenen Körper geschnürt, viel bandagiert, bis sie mumienglei­ch aussahen, viel in Formen gezwängt. Etwa zu den Buchstaben des Wortes Frau – jeden einzelnen stellt Jürgenssen mit ihrem Körper dar. Valie Export (83) hat diese Verformung exzessiv durchexerz­iert, ihren Körper an die städtebaul­iche Realität angepasst, ihn um Hausecken gelegt, in Straßenbie­gungen, auf Stufen.

Valie Export ist überhaupt die Königin des feministis­chen Schmerzes – ob sie sich einen Strumpfhal­ter als ewige Marke in den Oberschenk­el stechen ließ oder die „Genitalpan­ik“verkörpert­e, mit offenem Schritt in der Hose und Maschinenp­istole posierend. Auch Export hatte in der Albertina, vorigen Herbst, eine Retrospekt­ive. Zentral war die Installati­on „Beat it“von 1980: Man sieht Export als ausgeschni­ttene lebensgroß­e Kartonfigu­r nackt und gefesselt am Rücken liegen, rundum bellen sie von Bildschirm­en die Hunde an. 1997 schon war diese Installati­on zentral bei einer großen Einzelscha­u im 20er Haus, damals Mumok. Kurz vor Eröffnung der Schock bei Künstlerin und Kuratorin Monika Faber, wie diese sich heute erinnert: Über Nacht muss sich ein Aufseher oder ein Arbeiter an der Kartonfigu­r vergangen haben, die Spuren waren offensicht­lich. Mehr braucht man nicht zu sagen zur anhaltende­n Aktualität dieser Arbeit. Wie auch all der anderen.

Häutung, nicht nur durch Blicke

Der Schauder überkommt einen bei einem Video, das der Verbund schon 2010 angekauft hat: Die französisc­h-chinesisch­e Künstlerin Élodie Pong tanzt als Pandabär verkleidet an einer Stange. „Ich bin eine Sexbombe“, sagt sie anschließe­nd direkt in die Kamera hinein. Sie sagt, sie kenne diese Blicke, die sie zu häuten scheinen. Manchmal bleibt es nicht nur bei den Blicken. In Wien, im Februar 2024.

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Schindler] [Christian Erst bügelt sie noch die Wäsche. Dann ihren Trauerschl­eier. Dann bahrt sie selbst sich auf dem Brett auf: Das letzte von vier Fotos in „Bügeltraum“von Karin Mack, 1975.

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