Wenn Männerblicke Frauen häuten
Gewalt gegen Frauen. Künstlerinnen aus aller Welt prangern seit über 50 Jahren die Grausamkeiten des Verharrens in patriarchalen Rollenmustern an. Zu sehen ab morgen in einer Ausstellung der Verbund-Sammlung in der Albertina.
In der ganzen Stadt Femizid-Kreuze aufstellen, überall dort, wo in Wien ein Frauenmord geschah: Diese Idee wälzte die Künstlerin Renate Bertlmann (81) voriges Jahr in der „Presse“. Ob und wie eine Umsetzung sinnvoll wäre, müsse diskutiert werden. Die Gewalt an Frauen beschäftigt Bertlmann aber schon seit ihren künstlerischen Anfängen vor über 50 Jahren. Und diese Gewalt, sagt sie, nimmt nicht und nicht ab. Um das bewusst zu machen, um die lange Erfahrung bewusst zu machen, aus der diese Künstlerinnen schöpfen, stehen in diesem Text alle Altersangaben in Klammern dabei.
Nur noch bis Sonntag läuft Bertlmanns Retrospektive im Belvedere 21. Ab morgen ist sie auch Teil der Gruppenausstellung der Sammlung Verbund in der Albertina. Der Sammlung eines Energieunternehmens, bei dem man nicht sogleich damit rechnen würde, dass es ausgerechnet feministische Kunst fördert. Und ihr sogar mit Wanderausstellungen um die halbe Weltin den vergangenen zehn, 15 Jahren zum Durchbruch verholfen hat. Auch der Topos „Feministische Avantgarde“für diese Gruppe früher aktivistischer Konzeptkünstlerinnen der Sechziger- und Siebzigerjahre wurde von Verbund-Sammlungs-Leiterin Gabriele Schor geprägt. Der Dank dieser Frauen, deren Werke sie teils von Dachböden und aus verstaubten Ablagen geholt hat, ist immer wieder spürbar.
Aber auch die Gesellschaft hat zu danken: Durch die Zusammenschau dieser mittlerweile historischen Aktionen, Fotografien, Videos und Zeichnungen wird in diesen Tagen, in denen allein in Österreich sechs Frauen ermordet wurden, etwas schmerzlich bewusst: Wie wenig sich, wo sich doch rundum so viel verändert hat, in den Köpfen verändert hat. Was sich sowohl auf das autochthone wie auf das importierte Beharren patriarchal tradierter Rollenmuster bezieht, durchaus bei beiden Geschlechtern. Die brutale Durchsetzung aber erledigt nur eines.
Der Tod der Hausfrau
Es gilt immer noch die Parabel vom Tod der Hausfrau, wie Karin Mack (84) sie 1975 in einer Folge von nur vier Fotos erzählte (s. Abb.): Zweimal bügelt sie Wäsche. Dann bügelt sie ihren Trauerschleier. Dann bahrt sie sich darin selbst auf dem Bügelbrett auf. Es gilt immer noch die Wut von Margot Pilz (88), die auf Fotos 1978 ihre Hände im Schoß zu Fäusten ballte. Es gilt auch Birgit Jürgenssens ikonisches Selbstporträt, eine Wange an eine Glasscheibe gepresst, mit panischem Blick auf den Betrachter – „Ich möchte hier raus!“entziffert man auf der Trennwand. 1976 war das, Jürgenssen verstarb 2003.
Ähnliche Werke existieren von der Kubanerin Ana Mendieta, die 1985 aus der gemeinsamen Wohnung mit dem Bildhauerkollegen Carl Andre zu Tode stürzte. Bis zuletzt, bis zu seinem Tod vor wenigen Wochen, blieb dieser „Unfall“ungeklärt. Überhaupt ist interessant, dass rund um die Welt Künstlerinnen die Situation der Frauen in ähnlicher Zeit mit ähnlichen Mitteln darstellten: Marina Abramovic und Yoko Ono setzten ihre Körper dem erschreckend gewaltbereiten (Kunst-)Publikum aus, ließen sich die Kleider vom Leib schneiden, mit auf einem Tisch bereitgestellten Utensilien, derer die Leute sich bereitwillig bedienten. Man sah, wie Abramovic die Tränen dabei über die Wangen liefen, in einem Video in ihrer Ausstellung voriges Jahr in der Royal Academy.
Viel wurde von Künstlerinnen auch am eigenen Körper geschnürt, viel bandagiert, bis sie mumiengleich aussahen, viel in Formen gezwängt. Etwa zu den Buchstaben des Wortes Frau – jeden einzelnen stellt Jürgenssen mit ihrem Körper dar. Valie Export (83) hat diese Verformung exzessiv durchexerziert, ihren Körper an die städtebauliche Realität angepasst, ihn um Hausecken gelegt, in Straßenbiegungen, auf Stufen.
Valie Export ist überhaupt die Königin des feministischen Schmerzes – ob sie sich einen Strumpfhalter als ewige Marke in den Oberschenkel stechen ließ oder die „Genitalpanik“verkörperte, mit offenem Schritt in der Hose und Maschinenpistole posierend. Auch Export hatte in der Albertina, vorigen Herbst, eine Retrospektive. Zentral war die Installation „Beat it“von 1980: Man sieht Export als ausgeschnittene lebensgroße Kartonfigur nackt und gefesselt am Rücken liegen, rundum bellen sie von Bildschirmen die Hunde an. 1997 schon war diese Installation zentral bei einer großen Einzelschau im 20er Haus, damals Mumok. Kurz vor Eröffnung der Schock bei Künstlerin und Kuratorin Monika Faber, wie diese sich heute erinnert: Über Nacht muss sich ein Aufseher oder ein Arbeiter an der Kartonfigur vergangen haben, die Spuren waren offensichtlich. Mehr braucht man nicht zu sagen zur anhaltenden Aktualität dieser Arbeit. Wie auch all der anderen.
Häutung, nicht nur durch Blicke
Der Schauder überkommt einen bei einem Video, das der Verbund schon 2010 angekauft hat: Die französisch-chinesische Künstlerin Élodie Pong tanzt als Pandabär verkleidet an einer Stange. „Ich bin eine Sexbombe“, sagt sie anschließend direkt in die Kamera hinein. Sie sagt, sie kenne diese Blicke, die sie zu häuten scheinen. Manchmal bleibt es nicht nur bei den Blicken. In Wien, im Februar 2024.