Bruckners Neunte nicht als Ende
Welser-Möst im Musikverein: Bergs Orchesterstücke op. 6 als bestürzend logische Antwort auf Bruckner.
Weihrauch, Frömmigkeit, Transzendenz? Wenn Franz Welser-Möst Bruckners unvollendete Symphonie Nr. 9 dirigiert, dann scheint da nirgends ein schon halb ins Jenseits entrückter Geist milde aufs Irdische zurückzublicken, während er auf Wolkenklängen dem Paradies entgegenschwebt. Im Gegenteil: Viel eher hat man den Eindruck, dass diese bestürzende Musik voll im Jammertal des Diesseits ankert. Es war, als habe man die vielen Dissonanzen lange nicht mehr so scharf und schmerzerfüllt vernommen, die weiten Intervallschritte so nahe am expressionistischen Aufschrei, die Brüche so deutlich als Echos einer Kraterlandschaft.
Dafür muss Welser-Möst in Wahrheit wenig machen. Er schöpft mit den Wiener Philharmonikern zwar klanglich aus dem Vollen, achtet aber auf klar gezogene Konturen. Er glättet nichts, übertreibt aber auch nicht beim Hervorholen der Widerborsten, die stellen sich wie von selbst auf. Vor allem zielt er auf einen beständigen Fluss, auf ein strömendes Legato. Bei ihm führen die melodischen Linien und harmonischen Progressionen in der Regel über die Nahtstellen hinweg, die andere Dirigenten oft mit bedeutsamen Zäsuren betonen. Das stärkt den Zusammenhalt, verhindert das Klebenbleiben an den „schönen Stellen“– und lässt nach dem Verklärungsschluss des Adagio überhaupt eine Art von Fortsetzung zu.
Eine weitere Schmerzenssymphonie
Spielt und hört man die Symphonie anders, wenn man weiß, was danach folgt? Vermutlich ja. Welser-Mösts Lesart reihte sich in seine früheren Bruckner-Interpretationen ein, korrespondierte aber auch besonders mit dem, was er gleichsam als Antwort aufs Programm gesetzt hatte: (Fast) ganz ohne störenden Zwischenapplaus, nur getrennt durch den Auftritt der zusätzlichen Musiker, folgten Alban Bergs Drei Orchesterstücke op. 6. Nicht direkt als Ersatz für Bruckners Finale, eher als eine weitere, noch stärker kondensierte Schmerzens- und Schreckenssymphonie, komponiert keine 20 Jahre später, am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Plötzlich spannte sich ein expressiver Bogen über die beiden Werke, man spürte Verwurzelung und Nähe ebenso wie unerbittliche Zuspitzung, die in der Katastrophe endet.
Minimale Unsauberkeiten waren wohl unvermeidlich an diesem fünften Konzerttag in Folge mit dem letzten von drei fordernden Programmen für die anstehende US-Tournee. Kein Zweifel aber, dass die Philharmoniker für Bruckner wie für Berg gleichsam das Originalklangensemble darstellen: Ovationen.