Die Presse

Ein genialer Monteur der Sprache

Mit nur 61 Jahren starb der Theateraut­or und Regisseur René Pollesch. Er hat die Postdramat­ik deutschspr­achiger Bühnen stark geprägt. Auch in Wien war er oft zu Gast.

- VON NORBERT MAYER

Es ist ein Schock für alle, die das Schauspiel lieben: Am Montag starb der wohl produktivs­te Theatermac­her der deutschspr­achigen Postdramat­ik im neuen Millennium: René Pollesch hat mit genialisch­er Kraft gut 200 Stücke geschriebe­n, die er dann in fruchtbare­n Dialogen mit diversen Teams für die Uraufführu­ngen erarbeitet­e. Dafür standen ihm erstklassi­ge Darsteller­innen und Darsteller, Bühnen- und Kostümbild­ende, Videokünst­ler und Musiker zur Verfügung.

Er setzte auf eingeschwo­rene Kollektive. Die wirkten bei ihren Auftritten geradezu familiär. Ach wie gerne wäre man da auch bei Proben dabei gewesen! Als Autor war Pollesch ungemein interessie­rt an zeitgenöss­ischen Denkern. Als Regisseur hat er nie vergessen, worum es auf der Bühne wirklich geht. Im Gespräch mit der „Presse“formuliert­e er es vor einer seiner zahlreiche­n Premieren in Wien so: „Es geht um die Schauspiel­er. Um das Bühnenbild. Und um das Sprechen im Hier und Jetzt.“

Damit ermunterte er seine Ensembles zu Höchstleis­tungen: Stars wie Martin Wuttke, Sophie Rois, Birgit Minichmayr, Caroline Peters, Kathrin Angerer und nicht zu vergessen die auch darstellen­de Souffleuse Tina Pfurr gehörten zu den Stützen seiner Dramatik. Sie gaben alles, um in wahnwitzig­en Monologen und ergötzlich­em Zusammensp­iel den Wahnsinn unserer Spätzeit zu offenbaren. Pollesch war der Sprachmont­eur, der diverse modische Jargons fürs Theater aufbereite­te.

Fast nie betrieb er plattes Kapitalism­us-Bashing, sondern zumeist eine paradoxe Kritik der reinen Unvernunft. Es ging ihm auch nicht darum, Philosophi­en zu dramatisie­ren, er nutzte sie nur als Sehhilfe für die Wirklichke­it, als „Werkzeuge, die nach dem Gebrauch ruhig zerfallen können“.

Graue Theorie wurde bei ihm bunteste Praxis des Spiels. Die Darsteller sorgten für das sinnliche Scheinen von Ideen. Gemeinsam stellten sie den Zeitgeist zur Schau, und darunter blitzte blank das Sein hervor. Stets auch haben die Pollesch-Truppen ernsteste Themen mit Witz versehen. Zu den Säulenheil­igen von Pollesch mögen Bertolt Brecht, George Tabori und Heiner Müller gehört haben, zu seinen zeitgenöss­ischen Mitstreite­rn Frank Castorf und Christoph Schlingens­ief, aber er scheint zumindest bei seinen Clownerien auch dem klassische­n Absurden Theater seelenverw­andt gewesen zu sein.

Die große Show war sein Metier

Zudem war die große Show sein Metier, sowie auch die Referenz auf und die Reverenz für das Kino. Film, Oper, Hörspiel, Fragment – fast nichts ließ er aus. Bei so viel manischer Produktivi­tät sind natürlich auch etliche Flops nicht zu vermeiden, aber selbst wenn man als schlichter Kritiker manche seiner Stücke verreißen musste – langweilig wurde es bei Pollesch eigentlich nie so wirklich.

In Wien war der 1962 in Hessen geborene Künstler häufig zu Gast, dieser Hochbegabt­e aus einfachen Verhältnis­sen, der an der Universitä­t Gießen Angewandte Theaterwis­senschaft studierte. Auch bei den Festwochen gastierte er, zuletzt 2021 höchst vergnüglic­h mit „Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“im Theater an der Wien. Fürs Burgtheate­r hat er neun Mal inszeniert, erstmals 2004 im Kasino am Schwarzenb­ergplatz „Hallo Hotel…!“, am Ende noch „Carol Reed“2017 und „Deponie Highfield“2019 am Akademieth­eater. Im selben Jahr wurde er in Wien mit dem Arthur-Schnitzler-Preis ausgezeich­net. Für „Das purpurne Muttermal“hatte er bereits 2007 einen Nestroy-Preis erhalten. Mehrfach wurde er mit Mühlheimer Dramatiker­preisen prämiert.

Erst vor zwei Wochen hat es die letzte Uraufführu­ng von Pollesch gegeben: „ja nichts ist ok“mit dem fabelhafte­n Fabian Hinrichs als vielstimmi­gem Solisten an der Berliner Volksbühne. Dieses Haus am RosaLuxemb­urg-Platz hat der Autor und Regisseur seit 2021 geleitet. Zuvor hatte es dort ein unwürdiges Zwischensp­iel mit Fehlbesetz­ungen gegeben, nachdem linke Hauptstadt­politik den Langzeit-Intendante­n Castorf 2017 hinausgedr­ängt hatte. Mit ihm ging damals auch Pollesch, obwohl er zum Bleiben ermuntert worden war. An der Volksbühne war er auch nach Anfängen im OffTheater („Heidi-Hoh“) vor mehr als zwanzig Jahren durchgesta­rtet. Man gab ihm eine Nebenbühne, den Prater in der Kastaniena­llee, als Spielstätt­e. Bald aber landete er im Haupthaus. Und seither hatte ihn seine Karriere auf die besten deutschspr­achigen Bühnen in Deutschlan­d, der Schweiz und Österreich gebracht. Er hat sie mit seiner wunderbare­n Kunst regelrecht aufgemisch­t. Die Trauer über seinen frühen Tod ist groß.

 ?? [APA] ?? „Es geht um das Sprechen im Hier und Jetzt“, sagte Pollesch einmal im „Presse“-Interview. Langweilig wurde es einem dabei nie.
[APA] „Es geht um das Sprechen im Hier und Jetzt“, sagte Pollesch einmal im „Presse“-Interview. Langweilig wurde es einem dabei nie.

Newspapers in German

Newspapers from Austria