Die Presse

Nur neun schaffen EU-Klimaziele

Die wenigsten EU-Staaten dürften die Klimaziele bis 2030 erreichen. Für den Rest – mit Österreich – gibt es nicht einmal genug Zertifikat­e, um sich „freikaufen“zu können.

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Österreich wird die EU-Vorgaben zur Emissionsr­eduktion bis 2030 aus heutiger Sicht verpassen. Am Mittwoch haben Wissenscha­ftler daher eine lange Liste an Maßnahmen vorgelegt, wie das Land das Ruder herumreiße­n könnte (S. 11). Das Problem: Egal wie sinnvoll Tempo 100 oder eine Reform des Bodenverbr­auchs für das Klima sind – all das braucht wohl mehr Zeit, als das Land realpoliti­sch hat. Die Republik muss sich also auch damit auseinande­rsetzen, welche Wege es noch gibt, um die Lücke zu schließen – und was sie kosten würden.

Die Ausgangsla­ge ist klar: Die EU-Staaten müssen ihre Emissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 2005 verringern. Reiche Länder wie Österreich oder Deutschlan­d sollen mehr zu dem Ziel beitragen als ärmere. Während die meisten Staaten Osteuropas also kaum Vorgaben haben, muss Österreich seine Emissionen um 48 Prozent senken – und hat damit so seine Probleme. Aber es ist nicht das einzige Land, das sich mit den ambitionie­rten EU-Zielen schwertut.

Laut einer aktuellen Studie dürften nur neun Staaten die Ziele auf Anhieb erreichen. Mitgezählt hat Studienaut­or Günther Oswald dabei alle Maßnahmen, die bereits in Kraft sind oder aber zumindest eine „realistisc­he Chance“auf Umsetzung haben. In Summe schafft die EU (inklusive Norwegen und Island) nur 33 statt der angepeilte­n 40 Prozent Reduktion bis 2030. In Österreich klafft eine Lücke von 21 Millionen Tonnen CO2.

Doch selbst wenn keine zusätzlich­en Klimaschut­zmaßnahmen ergriffen werden, kann das Land nachjustie­ren: Österreich kann sich etwa nicht verbraucht­e CO2-Zertifikat­e aus dem Emissionsh­andel der Industrie gutschreib­en lassen. Und auch Wälder, Äcker und Wiesen können Gutschrift­en bringen, wenn sie netto mehr Kohlendiox­id binden als ausstoßen. Unter dem Strich könnten diese Flexibilit­ätsmechani­smen das heimische Defizit von 21 auf knapp 14 Millionen Tonnen CO2 senken, heißt es in der Studie im Auftrag von Oecolution. Drei Viertel der gesamten Zielverfeh­lungen der EU gingen hingegen auf das Konto von nur drei Staaten. Frankreich, Deutschlan­d und Italien sind aus heutiger Sicht auch nach Nutzung von Gutschrift­en mit Abstand am weitesten von der Ziellinie entfernt (siehe Grafik).

1,1 Milliarden Euro teure Lücke

Gelingen nicht noch überrasche­nd große und schnell wirksame Würfe bei der Emissionsr­eduktion, bleibt der Mehrheit der Staaten nur noch der Zukauf von Zertifikat­en, um ihre Ziele zu erreichen. Spart ein Land in einem Jahr mehr CO2 ein als vorgesehen, kann es diese Gutschrift entweder in die nächsten Jahre mitnehmen oder aber damit handeln. Bei einem Preis von 80 bis 100 Euro je Tonne CO2 müsse Österreich bis 2030 mit 1,1 bis 1,4 Milliarden Euro an Kosten rechnen, so die Studie. Bisherige Schätzunge­n des Wifo lagen mit zuletzt 4,7 Milliarden Euro weit darüber.

Voraussetz­ung dafür ist aber, dass überhaupt genug Zertifikat­e auf dem Markt sind. Der Handel ist nur unter EU-Vertragspa­rteien erlaubt. Da diese aber mehrheitli­ch ihre Ziele verpassen, fehlen unter dem Strich Zertifikat­e über 290 Millionen Tonnen CO2. „Der Kauf und Verkauf von CO2-Rechten wird nicht genügen, um die Klimaziele zu erreichen“, so Oswald. Umso weniger, als viele Staaten ihre Gutschrift­en wohl lieber behalten dürften, um sich einen Puffer für die noch schärferen Ziele bis 2040 zu verschaffe­n.

Länder, die ihre Ziele auch über den Zukauf von Zertifikat­en nicht erreichen können, müssen damit rechnen, dass die EU-Kommission zunächst weitere Maßnahmen einfordert. Als schärfstes Instrument bliebe die Einleitung eines EU-Vertragsve­rletzungsv­erfahrens. Angesichts der Tatsache, dass just die EU-Schwergewi­chte Deutschlan­d, Frankreich und Italien 2030 zu den größten Klimasünde­rn zählen dürften, ist jedoch fraglich, wie hart die Kommission die Umsetzung der Ziele einfordern wird (können).

Die EU sollte es den Staaten einfacher machen, die Ziele grundsätzl­ich erreichen zu können, ohne dabei den Nutzen für das Klima zu schmälern, heißt es in der Studie. Bis 2020 war es EU-Ländern etwa erlaubt, auch Gutschrift­en für nachgewies­ene Emissionsr­eduktionen in Staaten außerhalb der EU auf ihr eigenes Konto anrechnen zu lassen. Ein ähnlicher Mechanismu­s könnte verhindern, dass die Klimaziele dasselbe Schicksal erleiden wie die Fiskalrege­ln. Seit es die Maastricht-Regeln gibt, werden sie regelmäßig von EU-Ländern ungestraft gebrochen. Alle Drohungen und Vertragsve­rletzungsv­erfahren änderten daran nichts, Geldstrafe­n gab es bis heute noch nie.

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