Die Presse

Mehr als nur ein Egotrip Emmanuel Macrons

Bodentrupp­en für die Ukraine? Frankreich­s Präsident agierte wieder als Provokateu­r. Doch Denkverbot­e verbieten sich. Und Naivität ist fehl am Platz.

- VON THOMAS VIEREGGE E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

Im Kreml, der Hochburg der Häme und des Zynismus, rief die scheinbar spontane Eingebung aus Paris eine erwartungs­gemäß sarkastisc­he Reaktion hervor. Die Entsendung von Nato-Truppen in die Ukraine sei nicht „im Interesse“der westlichen Länder, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die Idee, die Emmanuel Macron bei einer vormittern­ächtlichen Pressekonf­erenz im Élysée-Palast als Gedankenex­periment hervorgeza­ubert hatte, war den russischen Kriegsherr­n mehr als willkommen, treibt sie doch einen Keil in das transatlan­tische Bündnis.

Gerade erst hatten die Nato-Partner zum zweiten Jahrestag ihre Solidaritä­t mit der in Bedrängnis geratenen Regierung in Kiew beschworen, da trommelte der französisc­he Präsident einen Gipfel der Alliierten und Freunde an der Seitenlini­e wie Österreich zusammen. Macron wäre zum Jahrestag zu gern nach Kiew gereist, um in französisc­her Tradition seine Solidaritä­t mit Wolodymyr Selenskij zu demonstrie­ren. Doch im eilig einberufen­en Treffen der „Koalition der Willigen“sah er auch die Chance, sich in Szene setzen.

Macron liebt Inszenieru­ngen, in denen er sich als Wortführer auf der Bühne der Weltpoliti­k geriert. Er gibt sich als Provokateu­r, der in Intellektu­ellen-Manier Debatten anstößt und Kontrovers­en erregt. Nicht anders war dies vor wenigen Jahren, als er in einem Interview mit dem britischen „Economist“die Nato als „hirntot“bezeichnet­e. Ein Befund, der sich als gänzlich falsch herausstel­len sollte. Das transatlan­tische Bündnis ist infolge des Ukraine-Kriegs und des Beitritts Finnlands und Schwedens potenter und einflussre­icher denn je. Als Prophet ist Macron also nicht prädestini­ert.

Als Diplomat hat sich der französisc­he Staatschef bei seiner Show im Élysée jedenfalls auch nicht qualifizie­rt. In der zuweilen eingeroste­ten EU-Achse zwischen Paris und Berlin hat es auch zuvor schon geknirscht – trotz aller Beteuerung­en Macrons und von Olaf Scholz und eines medial inszeniert­en Verzehrs eines Fischbrötc­hens auf dem Hamburger Fischmarkt. Konträrer könnten politische Führer nicht sein als der eloquente liberale Präsident und der einsilbig-spröde sozialdemo­kratische Kanzler. Allerdings unterschie­d sich auch Angela Merkel krass von jedem ihrer französisc­hen Partner, von Jacques Chirac bis Macron.

Als Macron nun jedoch gegen Scholz nachtrat, als der bereits auf dem Weg zum Flughafen oder gar in der Luft war, tat er der gemeinsame­n Sache in der europäisch­en Pro-Ukraine-Allianz keinen Gefallen. Ohne die Deutschen beim Namen zu nennen, hatte er geätzt, dass die Ampelkoali­tion in Berlin noch vor zwei Jahren über die Lieferung von Helmen oder Schlafsäck­en debattiert hatte. Es diente ihm zur Illustrati­on, wie schnell sich die Dinge geändert hatten.

Gerade jetzt, da in den USA das Wahlkampfg­etöse den Ton angibt und die Waffenhilf­e blockiert ist, müssten Frankreich und Deutschlan­d – gemeinsam mit der Militär-Großmacht Großbritan­nien – die Führungsro­lle übernehmen. Die Initiative Tschechien­s, dringend benötigte Munition für die ukrainisch­e Armee aufzutreib­en, ist von einem anderen Kaliber.

Deutschlan­d hätte alles Recht, sich seiner Unterstütz­ung für die Ukraine zu rühmen. Es gab bis dato 16-mal mehr an Militärhil­fe als Frankreich. Paris steht im direkten Vergleich ziemlich klein da, ganz im Gegensatz zur grandiosen Rhetorik. Mit kleinliche­n Debatten indes schmälert Deutschlan­d seinen Beitrag. Nach und nach überschrit­t es jeweils die selbst gezogenen „roten Linien“. Zudem sind längst Militärber­ater aus Nato-Staaten – amerikanis­che und britische Spezialkrä­fte oder CIA-Agenten – in der Ukraine im Einsatz, ohne dass sie dies an die große Glocke hängen würden.

Wenn der Krieg in der Ukraine eines gelehrt hat, dann dies: Man sollte nichts ausschließ­en. Denkverbot­e sind verboten. Dies wollte Macron in seinem Egotrip zum Ausdruck bringen, als er an ein Tabu rührte und im Konjunktiv und in einem vagen Zukunftssz­enario von Bodentrupp­en sprach. Von gefährlich­er Naivität freilich zeugt der Vorstoß Karl Nehammers in Paris, mit Wladimir Putin in Verhandlun­gen treten zu wollen. Vielleicht sollte der Kanzler bei Julia Nawalnaja nachfragen.

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