Mehr als nur ein Egotrip Emmanuel Macrons
Bodentruppen für die Ukraine? Frankreichs Präsident agierte wieder als Provokateur. Doch Denkverbote verbieten sich. Und Naivität ist fehl am Platz.
Im Kreml, der Hochburg der Häme und des Zynismus, rief die scheinbar spontane Eingebung aus Paris eine erwartungsgemäß sarkastische Reaktion hervor. Die Entsendung von Nato-Truppen in die Ukraine sei nicht „im Interesse“der westlichen Länder, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die Idee, die Emmanuel Macron bei einer vormitternächtlichen Pressekonferenz im Élysée-Palast als Gedankenexperiment hervorgezaubert hatte, war den russischen Kriegsherrn mehr als willkommen, treibt sie doch einen Keil in das transatlantische Bündnis.
Gerade erst hatten die Nato-Partner zum zweiten Jahrestag ihre Solidarität mit der in Bedrängnis geratenen Regierung in Kiew beschworen, da trommelte der französische Präsident einen Gipfel der Alliierten und Freunde an der Seitenlinie wie Österreich zusammen. Macron wäre zum Jahrestag zu gern nach Kiew gereist, um in französischer Tradition seine Solidarität mit Wolodymyr Selenskij zu demonstrieren. Doch im eilig einberufenen Treffen der „Koalition der Willigen“sah er auch die Chance, sich in Szene setzen.
Macron liebt Inszenierungen, in denen er sich als Wortführer auf der Bühne der Weltpolitik geriert. Er gibt sich als Provokateur, der in Intellektuellen-Manier Debatten anstößt und Kontroversen erregt. Nicht anders war dies vor wenigen Jahren, als er in einem Interview mit dem britischen „Economist“die Nato als „hirntot“bezeichnete. Ein Befund, der sich als gänzlich falsch herausstellen sollte. Das transatlantische Bündnis ist infolge des Ukraine-Kriegs und des Beitritts Finnlands und Schwedens potenter und einflussreicher denn je. Als Prophet ist Macron also nicht prädestiniert.
Als Diplomat hat sich der französische Staatschef bei seiner Show im Élysée jedenfalls auch nicht qualifiziert. In der zuweilen eingerosteten EU-Achse zwischen Paris und Berlin hat es auch zuvor schon geknirscht – trotz aller Beteuerungen Macrons und von Olaf Scholz und eines medial inszenierten Verzehrs eines Fischbrötchens auf dem Hamburger Fischmarkt. Konträrer könnten politische Führer nicht sein als der eloquente liberale Präsident und der einsilbig-spröde sozialdemokratische Kanzler. Allerdings unterschied sich auch Angela Merkel krass von jedem ihrer französischen Partner, von Jacques Chirac bis Macron.
Als Macron nun jedoch gegen Scholz nachtrat, als der bereits auf dem Weg zum Flughafen oder gar in der Luft war, tat er der gemeinsamen Sache in der europäischen Pro-Ukraine-Allianz keinen Gefallen. Ohne die Deutschen beim Namen zu nennen, hatte er geätzt, dass die Ampelkoalition in Berlin noch vor zwei Jahren über die Lieferung von Helmen oder Schlafsäcken debattiert hatte. Es diente ihm zur Illustration, wie schnell sich die Dinge geändert hatten.
Gerade jetzt, da in den USA das Wahlkampfgetöse den Ton angibt und die Waffenhilfe blockiert ist, müssten Frankreich und Deutschland – gemeinsam mit der Militär-Großmacht Großbritannien – die Führungsrolle übernehmen. Die Initiative Tschechiens, dringend benötigte Munition für die ukrainische Armee aufzutreiben, ist von einem anderen Kaliber.
Deutschland hätte alles Recht, sich seiner Unterstützung für die Ukraine zu rühmen. Es gab bis dato 16-mal mehr an Militärhilfe als Frankreich. Paris steht im direkten Vergleich ziemlich klein da, ganz im Gegensatz zur grandiosen Rhetorik. Mit kleinlichen Debatten indes schmälert Deutschland seinen Beitrag. Nach und nach überschritt es jeweils die selbst gezogenen „roten Linien“. Zudem sind längst Militärberater aus Nato-Staaten – amerikanische und britische Spezialkräfte oder CIA-Agenten – in der Ukraine im Einsatz, ohne dass sie dies an die große Glocke hängen würden.
Wenn der Krieg in der Ukraine eines gelehrt hat, dann dies: Man sollte nichts ausschließen. Denkverbote sind verboten. Dies wollte Macron in seinem Egotrip zum Ausdruck bringen, als er an ein Tabu rührte und im Konjunktiv und in einem vagen Zukunftsszenario von Bodentruppen sprach. Von gefährlicher Naivität freilich zeugt der Vorstoß Karl Nehammers in Paris, mit Wladimir Putin in Verhandlungen treten zu wollen. Vielleicht sollte der Kanzler bei Julia Nawalnaja nachfragen.