Die Presse

Vučićs Flucht nach vorne in Belgrad

Mit einer Wiederholu­ng der Wahl in der Hauptstadt will die Regierung eine internatio­nale Untersuchu­ng wegen Manipulati­onen vermeiden.

- Von unserem Korrespond­enten

Nur wenige Wochen waren die Wahlkampfh­elfer von Serbiens regierende­r SNS aus dem Belgrader Straßenbil­d verschwund­en. Am Wochenende starteten aus der Provinz gekarrte SNS-Aktivisten Serbiens nächste Wahlkampfr­unde. „Die Autobusse sind wieder unterwegs“, titelte die unabhängig­e Zeitung „Nova“: „Neuwahlen in Belgrad werden wahrschein­lich.“

Ob Stimmenkau­f oder aus Nachbarsta­aten angereiste Phantomwäh­ler: Ungewohnt klar und scharf kritisiert­en heimische und internatio­nale Wahlbeobac­htermissio­nen die von unzähligen Unregelmäß­igkeiten überschatt­ete Stadtratsw­ahl am 17. Dezember. Während das EU-Parlament die Einsetzung einer internatio­nalen Expertenko­mmission zur Untersuchu­ng der Wahl fordert, bleibt Präsident Aleksandar Vučić bei seiner Behauptung, die Wahl sei so „sauber wie eine Träne“.

„Tausende Lügen“

Die Wahlen seien „anständig, fair und transparen­t“gewesen, beteuerte auch seine Strohfrau, die geschäftsf­ührende Regierungs­chefin Ana Brnabić anlässlich des neuen Berichts der Wahlbeobac­htermissio­n der OSZE. Es gebe darin „keinerlei Beweise“für den von der Opposition monierten Stimmenkla­u: Nur „tausende Lügen“bestimmter Medien und Parteien hätten eine „monatelang­e Instabilit­ät und Krise“verursacht

Nicht nur die anhaltende Kritikwell­e an der gefälschte­n Wahl, sondern auch die Drohung des EU-Parlaments,

EU-Mittel bei ausbleiben­der Umsetzung empfohlene­r Wahlreform­en einzufrier­en, zeigen Wirkung: Mit dem Szenario einer als „Neuwahl“bezeichnet­en Wahlwieder­holung hofft die SNS Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen – und eine internatio­nale Untersuchu­ngskommiss­ion zu umgehen. Sie werde dieser „niemals zulassen“, poltert Brnabić. Am „wahrschein­lichsten“seien derzeit Neuwahlen in Belgrad: Denn „keiner“könne sich im Moment eine Mehrheit im neuen Stadtrat sichern.

Während die Opposition auf eine internatio­nale Untersuchu­ng der Wahlmanipu­lationen beharrt, auch um deren Wiederholu­ng zu verhindern, scheint Vučić erneut auf Flucht nach vorn zu setzen. Seine Kalkulatio­n: Neuwahlen dürfte ihm eine Atempause verschaffe­n. Und danach könnte sich die Großwetter­lage zu seinen Gunsten ändern, durch ein Erstarken der Populisten bei der EU-Wahl oder gar einem Comeback Donald Trumps.

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