Die RAF-Terroristin als freundliche Nachbarin
Die 65-jährige Daniela Klette versteckte sich jahrelang unter falschem Namen im Berliner Bezirk Kreuzberg. Sie fiel nicht weiter auf – und gab sogar Capoeira-Kurse.
„Dies könnten auch ihre Nachbarn sein“, steht auf einem Fahndungsaufruf des Landeskriminalamtes in Niedersachsen. Darunter die Fotos von drei früheren Mitgliedern der linksextremen Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF), die mit einem Dutzend Raubüberfällen in Niedersachen und Nordrhein-Westfalen in Verbindung gebracht werden. Der letzte geschah vor acht Jahren. Eine der drei Gesuchten war bis vor Kurzem die 65-jährige Daniela Klette.
Am Montagabend wurde sie festgenommen. Und sie war tatsächlich für viele eine nette Nachbarin. Klette lebte jahrelang, wie viele genau ist unklar, in einer Wohnung in einem grauen, mehrstöckigen Wohnhaus in der Berliner Sebastianstraße 73 im heute hippen Bezirk Kreuzberg. Viele Bäume, breite Gehsteige, viele Fahrradständer und sanierte Fassaden mit Balkonen gegenüber.
Deckname: Claudia Ivone
Sie soll den Namen Claudia Ivone angenommen, sich mit einem italienischen Pass ausgewiesen haben. Vor Jahren legte sich die ehemalige Kämpferin gegen Kommerz und Kapitalismus sogar ein eigenes Konto der USPlattform Facebook zu. Sie tanzte in einer Capoeira-Gruppe, verdiente sich ein bisschen Geld, indem sie Mathe-Nachhilfe gab. Sie kaufte beim Diskonter ein. Einem Nachbarn
schenkte sie zu Weihnachten ein paar Kekse. Eine andere Nachbarin erzählte dem Berliner „Tagesspiegel“, Klette habe einen großen Hund gehabt, der viel bellte. Auch ins Ausland dürfte die Gesuchte gereist sein.
Klette gehört zu einem Trio an Flüchtigen, die in den Boulevardmedien gern als „RAF-Rentner“bezeichnet werden. Dabei dürfte wohl die fehlende Versorgung im Alter das größte Problem der untergetauchten ehemaligen Mitglieder der Terrorismusorganisation gewesen sein. Zusammen mit ErnstVolker Staub (69) und Burkhard Garweg (55) soll die heute 65-jährige Klette mehrere Geldtransporter überfallen haben. Darauf deuten DNA-Spuren hin, sagen die Ermittler. Weil die drei dabei bewaffnet waren, wird ihnen auch versuchter Mord vorgeworfen.
Sechs Haftbefehle wurden gegen Klette ausgestellt, mindestens zwei betreffen Überfälle im Jahr 2016, wie die zuständige niedersächsische Staatsanwaltschaft am Dienstag bekannt gab. Zu diesem Zeitpunkt soll sie laut deutschen Medienberichten bereits mehrere Jahre in Berlin gewohnt haben.
In der Kreuzberger Wohnung fanden die Polizisten zwar Munition – aber keine Waffe. Eine solche könnte vielleicht alte Rätsel lösen. Klette, Staub und Garweg gehörten zur dritten Generation der RAF, deren Taten nicht bis ins Detail aufgeklärt sind. Sie ist für mehrere Morde und Terroranschläge verantwortlich. Wer genau diese verübt hat, ist in den meisten Fällen aber bis heute unklar. Klette steht laut Staatsanwalt zu, den Kronzeugenstatus zu beantragen.
Mindestens 15 Mitglieder zählte die dritte Generation der RAF, wenige wurden gefasst. Einer von ihnen versteckte sich Ende der Neunzigerjahre vier Jahre lang in einer WG in Wien. Im September 1999 wurde Horst Ludwig Meyer dann in einem Wiener Außenbezirk von einem Polizisten erschossen. Zuvor soll er mit einer Komplizin eine Bank für einen geplanten Überfall ausgespäht haben.
Fast von Journalisten gefunden
Offen ist, wie es Daniela Klette gelang, sich so lang in einem Sozialbau in Berlin zu verstecken. „Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist“, sagte Benjamin Jendro, Sprecher der Polizeigewerkschaft. Der „Tagesspiegel“zitierte einen Mann aus einem Nachbarhaus, der fassungslos auf die Festnahme Klettes reagiert haben soll. „Da habe ich jahrelang neben der Genossin gewohnt, das gibt’s ja nicht“, soll dieser laut „Tagesspiegel“gesagt und sich mit der linken Parole „Rotfront“verabschiedet haben.
Klette dürfte sich sicher gefühlt haben. Auf der Webseite eines Berliner Kulturvereins sind Fotos von ihr zu finden, sie dürfte Kinder und Jugendliche in Capoeira unterrichtet haben. Ein Podcast-Team entdeckte die Bilder des gealterten RAF-Mitglieds bereits im Dezember mittels einer Gesichtserkennungssoftware. Dass eine der meistgesuchten Personen des Landes sich mitten in Berlin aufhalten und dort Capoeira-Kurse geben könnte, erschien den Journalisten dann aber doch eine Spur zu abwegig.