Konsequenzen für Kurz-Richter
Der Leiter des Prozesses gegen Sebastian Kurz hat früher, als er noch Staatsanwalt war, disziplinäre Verfehlungen begangen. Dies könnte sich auf das Falschaussage-Verfahren auswirken.
Er handelte „fortgesetzt fahrlässig und erkannte dadurch auch nicht, dass er durch sein Verhalten die allgemeinen Pflichten eines Staatsanwaltes (...) verletzt“. Dieses Erkenntnis des Oberlandesgerichts (OLG) Graz sorgt nun für Aufregung. Der darin erwähnte Staatsanwalt hat mittlerweile die Fronten gewechselt. Er ist seit Anfang vorigen Jahres Richter. Es handelt sich um Michael Radasztics, den Leiter des Falschaussage-Prozesses gegen Sebastian Kurz.
Der eingangs zitierte Tadel des OLG Graz erging in einem Disziplinarverfahren. In diesem wurde Radasztics schuldig gesprochen. Und zur Zahlung eines halben Monatsbezugs verurteilt. Als Grundlage wurde der Bruttomonatsbezug vom Mai 2023 herangezogen – dieser wurde mit 7520,60 Euro beziffert.
Geldstrafe vom Mai 2023
Zur Erinnerung: Erst am Freitag hat Radasztics Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der Falschaussage vor dem parlamentarischen Ibiza-U-Ausschuss schuldig gesprochen. Und erstinstanzlich zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Kurz hat Berufung gegen das Urteil angemeldet.
Der Disziplinar-Schuldspruch gegen Radasztics erging bereits im Mai 2023. Die anonymisierte schriftliche Ausfertigung dieses Spruchs tauchte aber erst am Montag im Rechtsinformationssystem (RIS) des Bundes auf. Wollte man durch die späte Veröffentlichung Irritationen während der laufenden Kurz-Verhandlung vermeiden? Auf diese Idee könnte man sehr wohl kommen. Allerdings muss man zwei Dinge berücksichtigen: Disziplinarverfahren sind nicht öffentlich. Es ist daher keineswegs selbstverständlich, die Ergebnisse derartiger Verfahren in öffentlicher Verhandlung zu verbreiten. Und: Erst im Dezember (und damit erst nach Beginn des Kurz-Prozesses) wurde der Disziplinar-Schuldspruch rechtskräftig. Vielleicht hätte der Richter also spätestens im Dezember darüber informieren müssen.
Der Äpfel-Birnen-Vergleich
Klar ist: Das Disziplinarverfahren hat mit dem Kurz-Prozess inhaltlich nichts zu tun. Vielmehr drehen sich die Disziplinarvorwürfe um Vorgänge, die Radasztics als früherer Staatsanwalt des EurofighterKorruptionsverfahrens zu verantworten hatte. Daher erklärte am Mittwoch der Präsident des Straflandesgerichts Wien, Friedrich Forsthuber: „Hier werden Äpfel mit
Birnen vermischt. Das Disziplinarverfahren hat überhaupt nichts mit der Führung des aktuellen Verfahrens gegen den ehemaligen Bundeskanzler Kurz zu tun.“Und dass die Entscheidung erst am Montag, drei Tage nach dem Urteil gegen Kurz, veröffentlicht wurde, sei laut OLG Graz Zufall. Die Anonymisierung habe viel Zeit in Anspruch genommen.
Es spricht aber auch einiges dafür, dass die Prozessöffentlichkeit zu informieren gewesen wäre. Denn die Verteidigung hatte zu Beginn des Kurz-Verfahrens auf die Causa Eurofighter und die vormalige Rolle von Michael Radasztics aufmerksam gemacht. Mehr noch: Sie hatte ebendiesen (als Richter) wegen des Anscheins der Befangenheit abgelehnt. Begründung: Radasztics habe als EurofighterStaatsanwalt ein zu enges Verhältnis zum vormaligen Grünen-Parlamentarier Peter Pilz gepflegt. Und damit zu einem Vertreter der gegen die ÖVP bzw. gegen Kurz agierenden Opposition. Der Befangenheitsantrag ging aber ins Leere.
Was waren die Gründe für die Disziplinarstrafe? Nun, es gibt zwei Punkte. Erstens: Radasztics hat im Rahmen des 2011 eröffneten Eurofighter-Korruptionsverfahrens auch Ex-FPÖ-Finanzminister KarlHeinz Grasser als Beschuldigten geführt. Und zwar lange Jahre – zwischen 2012 und 2019. Allerdings köchelte das Verfahren bestenfalls auf Sparflamme. Es wurde sogar (bis auf Weiteres) abgebrochen, aber – rein formal gesehen – eben nicht zur Gänze eingestellt. Das Problem: Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Abbruch lagen nicht vor. Außerdem wurde Grasser nicht über seinen BeschuldigtenStatus informiert. Konnte also seine Beschuldigtenrechte nicht wahrnehmen. Dies hatte damals „Die Presse“aufgedeckt, weshalb sich nun ein Hinweis auf die diesbezügliche Berichterstattung im Disziplinarerkenntnis wiederfindet.
Als Pilz hellhörig wurde
Die zweite Verfehlung: Radasztics hatte am 20. Dezember 2018 Peter Pilz als Zeugen in sein Büro geladen. Es ging um die Causa „Eurofighter“. Radasztics verriet Pilz, dass es eine Weisung gebe, wonach bestimmte Aktenteile an das Verteidigungsministerium zurückzuschicken seien. Aus Gründen der nationalen Sicherheit. Pilz wurde hellhörig. Schon am nächsten Tag brachten „Pilz und Freunde“eine parlamentarische Anfrage bezüglich dieser Weisung ein.
Radasztics hätte, so das Disziplinarerkenntnis, die „amtsgeheime Information“über die Weisung nicht dem Abgeordneten Pilz „stecken“dürfen. Dass Pilz später, im Rahmen eines U-Ausschusses, ohnedies auch offiziell von der Weisung erfuhr, ändere nichts an der „Sorgfaltswidrigkeit“des damaligen Staatsanwalts, meinte das OLG Graz.
Rückblickend war es für den einstigen Eurofighter-Staatsanwalt so richtig eng geworden, als wegen der Grasser-Ermittlung, die ja eben auf die lange Bank geschoben worden war, sogar die Staatsanwaltschaft Eisenstadt aktiv wurde. Und eine Amtsmissbrauchs-Anklage schrieb. Dieser entging Radasztics aber, da er Einspruch einbrachte.
ÖVP-General Christian Stocker ortet den „Anschein der Befangenheit“beim nunmehrigen KurzRichter – denn: Radasztics hätte während des Prozesses von seiner Disziplinarstrafe berichten sollen. Nun wird es Sache der zweiten Instanz sein, diese Frage zu prüfen. Wird der Kurz-Richter nachträglich als befangen eingestuft, muss der Falschaussage-Prozess mit einem neuen Richter wiederholt werden.