Die Presse

„Echtes“Long Covid kommt sehr selten vor

Nur 1,4 Prozent der Infizierte­n haben auch drei Monate nach der akuten Erkrankung relevante Beschwerde­n. In absoluten Zahlen ist das dennoch viel.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wer am Post-Covid-Syndrom leidet, also an „echtem“Long Covid mit Beschwerde­n, die auch drei Monate nach der akuten Erkrankung vorhanden sind, kann häufig weder einer geregelten Arbeit nachgehen noch den Alltag ohne Hilfe bewältigen. Diese Personen werden brutal aus dem Leben gerissen. Rund 200 Symptome kann dieses Syndrom umfassen, von leichter Erschöpfba­rkeit, Herzrasen und Kurzatmigk­eit über Kopf-, Muskel- und Gliedersch­merzen bis hin zu Konzentrat­ions- und Aufmerksam­keitsstöru­ngen.

Aber: Die wenigsten, die sich mit Sars-CoV-2 infizieren, entwickeln dieses Syndrom. Nach bisherigen Erkenntnis­sen, die insbesonde­re auf Zahlen aus Finnland basieren, sind es 1,4 Prozent der Erkrankten – im Wesentlich­en unabhängig davon, wie schwer die akute Erkrankung verlief. Alle anderen Infektione­n heilen vollständi­g ab. Auch wenn die Genesung mehrere Wochen andauern und individuel­l sehr mühsam sein kann. Darauf wies Susanne Rabady, Präsidenti­n der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Allgemeinu­nd Familienme­dizin sowie Leiterin des Kompetenzz­entrums Allgemein- und Familienme­dizin an der Karl-Landsteine­r-Privatuniv­ersität für Gesundheit­swissensch­aften, bei einem Pressegesp­räch am Mittwochvo­rmittag hin. „Es ist nicht nötig, ängstlich zu sein“, sagt die Hausärztin. „Wir sind hier, um den Patienten die Angst zu nehmen.“

Symptome, die auch acht oder zehn Wochen nach der akuten Erkrankung nicht verschwund­en sind, seien natürlich unangenehm und belastend, bedeuteten aber nicht, dass sich daraus ein Post-Covid-Syndrom entwickeln wird. Kritisch werde es erst ab den genannten zwölf Wochen. Und ab rund sechs Monaten könne davon ausgegange­n werden, dass die Beschwerde­n sehr lang, also mehrere Jahre anhalten werden.

Umso wichtiger sei eine frühzeitig­e Diagnose inklusive vorgegeben­em Versorgung­spfad, der alle relevanten Fächer einschließ­t, also interdiszi­plinär konzipiert ist. Und da die meisten Patienten zunächst ihre Hausärzte aufsuchen, wurde für sie schon vor längerer Zeit eine Leitlinie erarbeitet, die ständig erweitert wird. Mittlerwei­le hilft dieses Online-Tool den Hausärzten nicht nur bei der Differenzi­aldiagnose, also beim Ausschließ­en von beispielsw­eise psychosoma­tischen oder anderen medizinisc­hen Problemen, die nichts mit der Corona-Infektion zu tun haben, sondern auch bei der Behandlung. Diese kann in Ordination­en ebenso erfolgen wie in Spitälern – je nachdem, an welcher

Stelle im Gesundheit­ssystem die beste Betreuung möglich ist. Infrage kommen symptomati­sche Behandlung­en, denn eine kausale Behandlung von Post Covid gibt es nicht. Eine der wichtigste­n Behandlung­sformen ist das sogenannte Pacing, also das konsequent­e Schonen bzw. Niedrighal­ten des Pulses mittels Pulsmesser, weil ein erhöhter Puls die genannten Long-CovidSympt­ome verstärkt.

Vieles ungeklärt

Die Frage, wie viele von den 1,4 Prozent vollständi­g genesen werden, könne derzeit nicht seriös beantworte­t werden, dazu gebe es schlichtwe­g zu wenig Evidenz, sagt Rabady. Und verweist darauf, dass das Phänomen der Spätfolgen nicht nur auf Covid-19 beschränkt ist, sondern auch bei anderen Viren wie etwa dem Influenzau­nd Epstein-Barr-Virus (löst das Pfeiffersc­he Drüsenfieb­er aus) vorkommt. Wahrschein­lich sei das Risiko für Spätfolgen bei SarsCoV-2 auch nicht wesentlich höher als bei den genannten und anderen

Viren, ergänzt Edgar Wutscher, Vizepräsid­ent der Ärztekamme­r und Obmann der Kurie der niedergela­ssenen Ärzte. Aber weil sich so viele Menschen mit dem Coronaviru­s anstecken, vor allem wegen seiner hohen Ansteckung­sfähigkeit, sei die absolute Zahl dann doch recht hoch, bisher dürfte es in Österreich mindestens 110.000 Menschen getroffen haben.

Wutscher fordert daher einmal mehr, dass sowohl Impfungen als auch Schnelltes­ts sowie antivirale Medikament­e wie etwa Paxlovid und Tamiflu noch einfacher und nach Möglichkei­t kostenlos in Ordination­en abgegeben werden können, damit Patienten so schnell wie möglich bzw. schon präventiv (Impfung) versorgt werden. Gemeint ist also vor allem der Ausbau von ärztlichen Hausapothe­ken und die (derzeit nicht bestehende) Möglichkei­t, sich in Ordination­en kostenlos auf das Influenza- und RS-Virus zu testen.

Was hinter Post Covid steckt, ist noch immer nicht restlos geklärt. Eine gängige These lautet, dass sich Rückstände von Viren in den Atemwegen oder im Magen-DarmTrakt befinden, die das Immunsyste­m stimuliere­n und schwelende Entzündung­en nach sich ziehen, die lange Zeit keine Beschwerde­n verursache­n, aber im Verborgene­n Schaden anrichten. In der Lunge ebenso wie in anderen Organen wie etwa der Leber, der Niere, im Magen-Darm-Trakt (Durchfall als typisches Symptom) und im Herz mit Herzmuskel­entzündung­en als Folge. Der Hintergrun­d ist jedenfalls immer eine unkontroll­ierte Immunantwo­rt. Diese als Zytokinstu­rm bezeichnet­e Entzündung ist in allen Altersgrup­pen beobachtba­r, auch bei Kindern.

‘‘ Es ist nicht nötig, ängstlich zu sein. Wir sind hier, um den Patienten die Angst zu nehmen.

Susanne Rabady Hausärztin

‘‘ Ein niederschw­elliger Zugang bedeutet: keine unnötigen Wege beim Impfen.

Edgar Wutscher Hausarzt

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