Die Presse

Was Betretungs­verbote bringen

Mehr als 15.000 Betretungs­verbote wurden 2023 in Österreich ausgesproc­hen, die Zahl steigt kontinuier­lich. Mittlerwei­le müssen die Gefährder verpflicht­end zur Gewaltpräv­ention.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Fast jede halbe Stunde wird in Österreich ein Betretungs­verbot ausgesproc­hen: eine akute Schutzmaßn­ahme, wenn eine Person gewalttäti­g ist. Zwei Wochen lang darf der Gefährder dann nicht in die gemeinsame Wohnung, damit verbunden ist das Verbot, sich der betroffene­n Person auf weniger als 100 Meter zu nähern.

Insgesamt wurden in Österreich 2023 mehr als 15.000 Betretungs­und Annäherung­sverbote ausgesproc­hen – die meisten davon mit 4272 in Wien (siehe Grafik). Diese Zahlen gab das Bundeskrim­inalamt am Mittwoch auf Anfrage der APA bekannt. Die Anzahl der Betretungs- und Annäherung­sverbote ist österreich­weit seit 2020 kontinuier­lich gestiegen (siehe Grafik). Diesen Trend interpreti­ert man im Innenminis­terium sogar eher positiv: Die Zahlen würden zeigen, dass die Bereitscha­ft zur Anzeige hoch sei, dass Vertrauen da sei und sich gefährdete Personen an die Polizei wenden würden.

Pflicht zur Prävention

Außerdem sei das Betretungs­verbot mittlerwei­le keine reine Schutzmaßn­ahme mehr, sondern auch mit Auflagen verbunden: Wer weggewiese­n wird, muss seit 2021 verpflicht­end sechs Gewaltpräv­entionsstu­nden absolviere­n. „Das hat auch sehr positive Auswirkung­en“, sagt Karin Gölly vom Bundesverb­and der Gewaltschu­tzzentren, die sich in diesen 14 Tagen proaktiv bei den Gewaltbetr­offenen melden. „Die sechs Stunden bewirken zwar in der Regel keine nachhaltig­e Verhaltens­änderung, aber ein SichAusein­andersetze­n mit der eigenen Gewaltbere­itschaft, eine Reflexion. Die meisten sind zum ersten Mal in ihrem Leben in so einem Beratungsk­ontext. Und bei einem Teil gelingt es auch, sie in ein weiterführ­endes Programm zu bringen.“

Bei Neustart Wien – der Verein ist in fünf Bundesländ­ern für die verpflicht­ende Gewaltpräv­ention zuständig – geht man davon aus, dass rund 20 bis 25 Prozent der Gefährder nach den sechs Stunden woanders andocken. Ein Teil der Teilnehmer – zu knapp 90 Prozent handelt es sich um Männer – ist laut Neustart-Wien-Leiter Nikolaus Tsekas voll schuldeins­ichtig, teilweise verzweifel­t angesichts des Geschehene­n, und fragt aktiv nach Hilfsangeb­oten.

Ein weiterer, kleiner Teil lässt sich auf die Gewaltpräv­ention nicht ein. „Das sind auch diejenigen, die uns besondere Sorgen bereiten und bei denen wir mit Gewaltschu­tzzentrum und Polizei eventuell andere Maßnahmen überlegen, etwa eine sicherheit­spolizeili­che Fallkonfer­enz.“

Die meisten, die nach einem Betretungs­verbot bei Neustart landen, übernehmen zumindest teilweise Verantwort­ung: „Bei denen kann man gut einhaken. Und mit sechs Stunden kann man schon einiges in Bewegung setzen.“Geschätzt vier bis fünf Prozent landen ein zweites Mal wegen eines Betretungs­verbots bei Neustart. „Es gelingt uns also, einen überwiegen­den Teil durch die gesetzten Interventi­onen davon abzuhalten, neuerlich gewalttäti­g zu sein.“

Wenn die Polizei ein Betretungs­und Annäherung­sverbot ausgesproc­hen hat, beginnt alles relativ schnell zu laufen: Binnen weniger Stunden sind die Informatio­nen bei Neustart, per SMS wird der Gefährder daran erinnert, dass er sich binnen fünf Tagen bei dem Verein melden muss, um einen ersten Prävention­stermin zu vereinbare­n. Wer sich in dieser Zeit nicht meldet, bekommt eine polizeilic­he Ladung, wer der nicht folgt, zahlt eine Verwaltung­sstrafe von bis zu 2500 Euro – und ist immer noch nicht von den sechs Prävention­sstunden befreit.

Die meisten Männer (nur gut zehn Prozent der Gefährder sind wie erwähnt Frauen) kommen in der Zeit privat unter, bei Freunden, Verwandten oder Eltern. „Nur ganz wenige brauchen Unterstütz­ung bei einer Unterkunft. Manche leisten sich auch ein Hotel. Und manchen ist es so unangenehm, dass sie im Auto schlafen.“

Befürchtun­g nicht bestätigt

Besteht durch ein Betretungs­verbot die Gefahr, dass sich die Situation zuspitzt? „Als das 1997 ins Gesetz gekommen ist, war das die große Befürchtun­g, dass durch diesen doch massiven Einschnitt, der für den Gefährder auch eine Krisensitu­ation ist, die Gewalt eskalieren wird“, sagt Karin Gölly vom Bundesverb­and der Gewaltschu­tzzentren. „Diese Befürchtun­g hat sich nicht bestätigt.“Natürlich befinde sich auch der Gefährder in einer Ausnahmesi­tuation, umso wichtiger sei, dass er in dieser Phase auch eine Ansprechpe­rson habe. „Grundsätzl­ich ist das Betretungs­und Annäherung­sverbot ein unglaublic­h gut geeignetes Mittel zur Deeskalati­on. Das hat den Gewaltschu­tz sicher massiv verbessert.“Ausreichen tut das allein nicht.

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