Etwas weniger Hausverstand, bitte
Ich habe ihn schon in der Werbung nicht leiden können: den Hausverstand. Warum mir dieser sagen soll, bei welchem Supermarkt ich einzukaufen habe, anstatt dass ich mich an relevante Kategorien wie Nähe, Preis-Leistung oder Lieblingsprodukte halte, war mir nie verständlich. Aber Werbung ist nicht immer logisch und funktioniert oft gerade deshalb trotzdem.
Das denkt man sich wohl auch in der Politik. Dort wird der Hausverstand wieder öfter bemüht – 2023 schaffte er es sogar auf die Hotlist der Wörter des Jahres. Ganz besonders beliebt ist der „Klimaschutz mit Hausverstand“. Was übersetzt so viel bedeutet wie: nur nicht zu viel, nicht zu schnell, und bloß nicht der Wissenschaft, sondern der Wählermeinung folgend. Dagegen, den eigenen Verstand zu bemühen, ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Wenn es aber um große, komplexe Dinge geht, ist es dann nicht besser, sich auf Experten zu berufen? Nur mit Hausverstand hätte man wohl auch keine wirksame Behandlung gegen Aids gefunden, wäre wohl nicht bis auf den Mond gekommen oder hätte das Internet erfunden. Warum also sich auf ihn verlassen, wenn es um die wahrscheinlich größte Herausforderungen geht, mit der sich die Menschheit im kommenden Jahrhundert konfrontiert sieht?
Auch beim EU-Renaturierungsgesetz, das Ökosysteme und damit Lebensgrundlagen in der EU schützen soll und ein wichtiger Pfeiler für den Green Deal der EU ist, gab es die gleiche Diskussion. Mit den Worten „Hausverstand statt ideologiegetriebener Belastungspakete“bekämpfte etwa der EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber (ÖVP) das Gesetz – letztlich vergeblich. Es wurde am Dienstag im EU-Parlament verabschiedet. Alle Streitpunkte sind freilich nicht geklärt. Es ist zu erwarten, dass der Klima- und Naturschutz bei der EUWahl noch stärker zur Frontlinie wird. Was es nun braucht, hat Rafaela Schinegger von der Boku Wien in einem Interview auf FM4 am Dienstag gut zusammengefasst: „Eine Politik zum Wohle der Bevölkerung, nicht mit Hausverstand, sondern mit Sachverstand.“