Hoffnungsschimmer am Horizont
Durch einen prominenten Patienten ist eine seltene Form der Demenz ins öffentliche Bewusstsein gelangt. Für die bislang unheilbare Krankheit könnte es in nicht allzu ferner Zukunft Therapien geben.
Selbst bei einem Star wie Bruce Willis dauerte es von den ersten Anzeichen seiner Erkrankung bis zur Diagnose fast drei Jahre. Schon im Juni 2020 bemerkte Regisseur Mike Burns, so ein Bericht der „LA Times“, dass Willis Gedächtnisprobleme hatte. Erst Anfang 2023 gab es die richtige Diagnose: frontotemporale Demenz (FTD) – eine seltene Form der Demenz, die meist zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr, manchmal aber auch ab dem 20. und bis zum 85. Lebensjahr auftritt. Im Vergleich zu Alzheimer schreitet FTD rasch fort. Schon wenige Jahre nach dem schleichenden Beginn kommt es zu einem weitgehenden Ausfall aller kognitiven Fähigkeiten.
Eine relativ späte Diagnose wie bei Willis sei keineswegs selten, erläutert Hakan Cetin, Neurologe an der Med-Uni Wien: „Die frontotemporale Demenz ist selten, und es gibt anfangs sehr unterschiedliche Symptome.“Bei einem Teil der Patienten treten wie bei Willis Sprachstörungen auf, bei anderen Verhaltensstörungen. Manche Patienten ziehen sich komplett zurück, andere zeigen manisches oder aggressives Verhalten. „Für die Angehörigen ist das extrem belastend, weil sie die Betroffenen kaum wiedererkennen“, weiß Cetin. Die unspezifischen Symptome führen zu falschen Diagnosen. Persönlichkeitsund Verhaltensstörungen werden oft mit Midlife-Crisis, Burnout oder Depression assoziiert.
„Je mehr Erfahrung Mediziner mit neurodegenerativen Erkrankungen haben, desto rascher stellen sie die richtige Diagnose“, sagt Cetin. Er empfiehlt, bei entsprechenden Symptomen eine Ambulanz für Demenzerkrankungen aufzusuchen. Früh und sicher lässt sich FTD diagnostizieren, wenn genetische Faktoren die Ursache sind. Bisher kennt man zehn Gene als Auslöser, wobei zu erwarten ist, dass noch weitere entdeckt werden, weiß Cetin. Am häufigsten sind Mutationen des Gens C9ORF72. Sie lösen nicht nur FTD, sondern auch amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aus, die durch Stephen Hawking bekannte degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems.
Erb- und andere Faktoren
Rund ein Drittel der FTD-Fälle sind vererbt. Die Wahrscheinlichkeit, den Gendefekt auf einen Nachkommen zu übertragen, liegt bei 50 Prozent. Sporadisch – also ohne Erbfaktoren – auftretende Formen der FTD stellen die Mediziner noch vor Rätsel. „Unentdeckte Gene können eine Rolle spielen. Aber vermutlich ist es ein Zusammenspiel mehrerer Auslöser nach einem Muster, das wir noch nicht erkannt haben“, berichtet Johannes Levin, Professor für klinische Neurodegeneration an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Da die Krankheit selten auftritt, ist es schwierig, unterschiedliche Einflüsse, die sich meist auf molekularer Basis abspielen, zu entdecken. Auch bei der vererbten FTD spielen weitere Faktoren eine Rolle: „Nicht jeder, der diese Genmutation hat, erkrankt“, sagt Cetin, „die Wahrscheinlichkeit ist abhängig vom be
troffenen Gen und beträgt teilweise 60 bis 70 Prozent.“Ob sich Nachkommen von FTD- oder ALS-Patienten ohne Krankheitszeichen auf Genveränderungen testen lassen sollen, ist – so die Mediziner übereinstimmend – eine persönliche Entscheidung. Derzeit gibt es keine Therapie, die den Krankheitsverlauf beeinflussen könnte.
Aber die Wissenschaft macht Fortschritte. Bei der verwandten ALS konnten Forscher in den USA mit einem Medikament auf Basis von Antisense-Oligonukleotiden erstmals den Fortgang bei einzelnen Patienten mit einer seltenen genetisch verursachten ALS-Form stoppen. Weitere Studien sollen die Wirkung bestätigen.
„Je näher eine Behandlung in Sicht ist, desto relevanter ist es, frühzeitig die Veranlagung für diese Krankheit zu erkennen“, sagt Levin. Neue Therapien würden vermutlich nachhaltiger funktionieren, wenn sie möglichst früh einsetzen. Ein vielversprechendes AlzheimerMedikament auf Antikörper-Basis kann beispielsweise bereits vorhandene Schäden nicht heilen, aber den Fortgang der Erkrankung verlangsamen.
Hoffnung auf Gentherapie
Zur frontotemporalen Demenz laufen derzeit international mehrere Therapiestudien, zudem Studien zu den Ursachen oder um bessere Diagnosemöglichkeiten zu entwickeln. „Die Teilnahme an einer Therapiestudie heißt nicht erfolgreiche Therapie“, warnt Levin vor voreiliger Hoffnung. „Bei diesen Studien werden experimentelle Verfahren getestet, ob eine Wirkung eintritt, ist Gegenstand der Forschung“, betont der Experte. Die Mediziner sind jedenfalls optimistisch. „Es passiert sehr viel und wir bekommen immer bessere Möglichkeiten, um die mit FTD zusammenhängenden Prozesse zu verstehen und die Effizienz von neu entwickelten Therapieoptionen einzuschätzen“, meint Levin.
Auch Cetin sieht einen Hoffnungsschimmer am Horizont: „Gentherapien eröffnen heute Möglichkeiten, die noch vor einigen Jahren kaum denkbar waren“, konstatiert der Neurologe.. „In nicht allzu ferner Zukunft könnten bestimmte Formen der FTD therapierbar sein.“