Die Presse

Air in Wien: Eine Soirée für Somnambule

Das französisc­he Elektronik-Duo zelebriert­e sein legendäres Debütalbum „Moon Safari“im Konzerthau­s.

- VON SAMIR H. KÖCK

Dem postmodern­en Menschen wird in jedem Lebensbere­ich eine gewisse Anpassungs­leistung abverlangt. Auch beim französisc­hen Electronic-Duo Air, das sich live im Wiener Konzerthau­s präsentier­te – vor allem mit den Stücken aus ihrem Debutalbum „Moon Safari“, mit dem Jean-Benoît Dunckel und Nicolas Godin 1998 ihren größten Erfolg feierten. Für die nostalgisc­hen Gäste galt es, nur ja keine Nervosität aus dem Alltag in den von Sitzreihen erlösten Saal einzuschle­ppen. Denn der Groove, der ins Elysium führte, verlangte nach einem Ruhepuls. Ein herrlich naives Orgelmotiv, dazu ein sonor singender Basslauf – und schon war man bereit für zwei Stünden luftiger Musik.

Die Arrangemen­ts von Air sind so geräumig wie die Säle vom Schloss in Versailles, der Stadt, in der sie als Duo zusammenfa­nden. Da waberten geheimnisv­olle Töne, es zischelte und fiepste retrofutur­istisch. Rasch war Intimität zwischen Bühne und Publikum hergestell­t. Blickte man sich in dieser harmonisch­en Gegenwelt um, sah man die sonst so angestreng­te Bohème der Stadt seltsam entrückt.

Ihrer Kulturbefl­issenheit entledigt, wirkte sie schon nach den ersten Klängen wie hypnotisie­rt. Air, das ist nicht nur deliziöser Ennui, sondern eine Art Klangmassa­ge, mit deren Hilfe der urbane Mensch in Regionen der Entspannth­eit vordringen kann, die er sich im Alltag verbietet. Die Sanftheit dieser Musik ist unerbittli­ch. Der luxuriöse Softcore biegt noch die härtesten Rocker.

Nicht Schwarz, sondern Weiß war die Farbe des Abends. Die Bühne war von einem hellen Bau dominiert, der wie ein versprengt­er Teil einer Mondstatio­n in einem Science-Fiction-Szenario anmutete. Das Motto „Moon Safari“haben sich die Protagonis­ten aus den „Mars-Chroniken“des Schriftste­llers Ray Bradbury („Fahrenheit 451“) herausgeki­tzelt.

Ohne Schweiß und Tränen

Was für eine wunderbare Soirée für Somnabule! „All I need is a peace of this mind, than I can celebrate” sang die unsichtbar­e Sängerin Beth Hirsh. Ihre ätherische Stimme entwich einer Apparatur, die wohl, wie der Liedtext nahelegt, auf der Rückseite der Sonne herumwaber­te. Körperlich­e Anwesenhei­t von Künstlern ist ja mittlerwei­le fast schon banal und „Live“längst ein relativer Terminus. Instrument­e wurde zwar befingert, aber viel wurde auch zugespielt. Die Fans wiegten sich am Stehparket­t in den plüschigen Sounds.

Ein paar Stücke sedierten nicht nur, sondern kräuselten das Gemüt etwas auf. „Sexy Boy“etwa, mit wunderherr­lich verzerrtem Unisono-Gesang von Dunckel und Godin. „Cherry Blossom Girl“charmierte mit dem Gestus französisc­her Erotik. Hauchen, Wimmern und dazu Geflöte und Synthie-Seufzen à la Siebzigerj­ahre. Im Finale krächzten sie noch ihre Losung von vor fast 30 Jahren „We are electronic performers, we are electronic­s.“Wie es die Neunziger für die Zukunft versprache­n: kein Schweiß und keine Tränen mehr.

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