Spielplatz für Österreichs Schreihälse
Homophobie und Verunglimpfungen trüben den Derby-Sieg, „tradierte Sprache“und fehlende Selbstreflexion machen den Ton, sagt Sportsoziologe Otmar Weiß. Jetzt ist Rapid gefragt.
Sport generell, vor allem aber Fußball ist seit jeher Schmelztiegel der Gesellschaft. Auf Tribünen, in VIP-Klubs und auf dem Rasen treffen sich unterschiedliche Kulturen, je einem Verein oder Nationalteam folgende Flora und Fauna. Weltansichten, Abseitsregel und Farbenlehre verwachsen im Torjubel und werden bis zum nächsten Wochenende wieder getrennt durch Abpfiff, Sieg oder Niederlage. Fußball ist für viele aber mehr als nur ein Spiel über 90 Minuten. „Es gibt Menschen“, sagt der in Österreich als Autorität geltende Sportsoziologe Otmar Weiß, „für die Fußball tatsächlich den Lebensinhalt darstellt. Sie spielen selbst, gehen auf den Platz, leben und leiden mit – unserer – Mannschaft.“
Warum es hierzulande selten ohne negative Nebengeräusche gelingt, ist Folge von Begleiterscheinungen, die psychologische und soziologische Wurzeln haben. Und wie nach dem 342. Wiener Derby Nerven trifft, die in Tabuzonen reichen. Hier stehen Österreicher dann vor ihrer Barriere: Eklat, geliebte Beleidigung, „political correctness“, gewolltes Foul oder der Euphorie geschuldeter Fehler?
Mit Geheul und Gesten
Ob Nationalsport, Zuschauer, Fan, Spieler, Trainer oder Funktionär: Fußball basiert laut Weiß auf „einer klaren Sprache“, darum glaube jeder, mitreden zu können im Land der Teamchefs. Nicht bloß das Proletariat schimpft, selbst Manager und Politiker pflegen im Stadion eine andere Kommunikation. Eine, die (nur) mit negativer Konnotation auf breites Gehör trifft.
„Fußball ist in Österreich ein Unterschichtsphänomen“, sagt Weiß und blickt nach England, Deutschland oder Frankreich. Der Unterschied sei markant, Güte des Spiels und Reflexion seien dort im Lauf der Zeit, mit Modernisierung und Professionalisierung gewachsen, „dem Odium der Unterschicht“entwichen. Personalverfehlungen dieser Größenordnung haben dort zumeist nur eine Folge. Und bei uns? Gesten, Getrommel, Geheul; viele empfinden das Martialische als real. Dass Fußball bloß ein Spiel ist und mit Schlusspfiff endet,
wird überhört. Stammtisch hin, „Wickel“her: Was sind jetzt die Folgen bei Rapid?
Nach dem 3:0-Sieg gehen die Wogen in Politik und Sport weiter hoch, weil Steffen Hofmann Austrianer beschimpfte – auf einem in sozialen Netzwerken veröffentlichten Video dokumentiert – und in einer zweiten Aufnahme Co-Trainer und Spieler mit homophoben Aussagen auffällig wurden. Für Weiß fällt es genau in diese Thematik. Es brauche dringende Aufarbeitung, man müsse die Auslöser verstehen und gezielte Maßnahmen setzen, um eine Wiederholung auszuschließen.
„Problem, das Österreich hat“
Ob „Wir-Konstruktion“am Arbeitsplatz, Folge des charmant oder brutal zu interpretierenden Wiener Jargons („Oaschloch“) samt nicht zu tolerierender Verletzung sexueller Tabuzonen: Fußball, ein nationales Gut, versinkt schnell in solch Brühe. In einem Mix aus Floskeln, „tradierter Sprache“, schnell Gesagtem, fehlendem Bewusstsein, krassem Wunschdenken und kapitalen Widersprüchen in der Bildung. „Aber:
Homophobie ist kein reines Wiener oder gar nur Hütteldorfer Problem, sondern eines, das ganz Österreich betrifft.“
Im Lauf der Jahrzehnte verschwand NS-Rhetorik, Rassismus (u. a. Affenlaute) wurde rar. Homophobie werde eines Tages auch aus den Stadien verschwunden sein, sagt Weiß, es brauche allerdings noch sehr viel Zeit und weiteren Wandel wie bei all dem anderen, vorangegangenen Geheul.
Da spielen Elternhaus, Erziehung, Umfeld, Fanklub und Verein tragende Rollen, die Politik könnte mit- bis einwirken, wobei das „Fantasie“bleibe. Gewollte VerbalFouls sind, in welcher Form auch immer, Teil dieses Spiels, dessen Besucher auf Rängen wie Rasen unbestritten einen breiten, kunterbunten Querschnitt der Gesellschaft abbilden.
Es braucht mehr Bewusstsein
Outings fallen im Fußball auffallend schwerer denn in allen anderen Sportarten, mit solchen Videos erklärt sich auch, warum. Es ist Folge der unreflektierten Sichtweise aller Schreihälse.
Bundesliga und Verband machten Anzeigen und verlangen Klärung, Rapid kündigte Untersuchungen an. „Bewusstseinsschaffung“, erklärt Österreichs anerkannter Sportsoziologe, wäre jedenfalls weitaus sinnvoller, denn (harmlose) bedingte oder gar extreme Strafen (Punktabzug) zu verhängen. Alles dürfe man jedoch in einem Fußballstadion nicht umgehend auf die soziale Waage legen. Es bleibt ein Ort des Eskapismus, mit Geborgenheit in der Masse, „Wir“-Gefühl, Farbe und Gesang, Freude im Erfolg und Enttäuschung in der Niederlage. Es ist ein Ventil der Seele. Allerdings, es muss Grenzen geben, die jeder versteht – in einfacher Sprache.