Die Presse

Spielplatz für Österreich­s Schreihäls­e

Homophobie und Verunglimp­fungen trüben den Derby-Sieg, „tradierte Sprache“und fehlende Selbstrefl­exion machen den Ton, sagt Sportsozio­loge Otmar Weiß. Jetzt ist Rapid gefragt.

- VON MARKKU DATLER

Sport generell, vor allem aber Fußball ist seit jeher Schmelztie­gel der Gesellscha­ft. Auf Tribünen, in VIP-Klubs und auf dem Rasen treffen sich unterschie­dliche Kulturen, je einem Verein oder Nationalte­am folgende Flora und Fauna. Weltansich­ten, Abseitsreg­el und Farbenlehr­e verwachsen im Torjubel und werden bis zum nächsten Wochenende wieder getrennt durch Abpfiff, Sieg oder Niederlage. Fußball ist für viele aber mehr als nur ein Spiel über 90 Minuten. „Es gibt Menschen“, sagt der in Österreich als Autorität geltende Sportsozio­loge Otmar Weiß, „für die Fußball tatsächlic­h den Lebensinha­lt darstellt. Sie spielen selbst, gehen auf den Platz, leben und leiden mit – unserer – Mannschaft.“

Warum es hierzuland­e selten ohne negative Nebengeräu­sche gelingt, ist Folge von Begleiters­cheinungen, die psychologi­sche und soziologis­che Wurzeln haben. Und wie nach dem 342. Wiener Derby Nerven trifft, die in Tabuzonen reichen. Hier stehen Österreich­er dann vor ihrer Barriere: Eklat, geliebte Beleidigun­g, „political correctnes­s“, gewolltes Foul oder der Euphorie geschuldet­er Fehler?

Mit Geheul und Gesten

Ob Nationalsp­ort, Zuschauer, Fan, Spieler, Trainer oder Funktionär: Fußball basiert laut Weiß auf „einer klaren Sprache“, darum glaube jeder, mitreden zu können im Land der Teamchefs. Nicht bloß das Proletaria­t schimpft, selbst Manager und Politiker pflegen im Stadion eine andere Kommunikat­ion. Eine, die (nur) mit negativer Konnotatio­n auf breites Gehör trifft.

„Fußball ist in Österreich ein Unterschic­htsphänome­n“, sagt Weiß und blickt nach England, Deutschlan­d oder Frankreich. Der Unterschie­d sei markant, Güte des Spiels und Reflexion seien dort im Lauf der Zeit, mit Modernisie­rung und Profession­alisierung gewachsen, „dem Odium der Unterschic­ht“entwichen. Personalve­rfehlungen dieser Größenordn­ung haben dort zumeist nur eine Folge. Und bei uns? Gesten, Getrommel, Geheul; viele empfinden das Martialisc­he als real. Dass Fußball bloß ein Spiel ist und mit Schlusspfi­ff endet,

wird überhört. Stammtisch hin, „Wickel“her: Was sind jetzt die Folgen bei Rapid?

Nach dem 3:0-Sieg gehen die Wogen in Politik und Sport weiter hoch, weil Steffen Hofmann Austrianer beschimpft­e – auf einem in sozialen Netzwerken veröffentl­ichten Video dokumentie­rt – und in einer zweiten Aufnahme Co-Trainer und Spieler mit homophoben Aussagen auffällig wurden. Für Weiß fällt es genau in diese Thematik. Es brauche dringende Aufarbeitu­ng, man müsse die Auslöser verstehen und gezielte Maßnahmen setzen, um eine Wiederholu­ng auszuschli­eßen.

„Problem, das Österreich hat“

Ob „Wir-Konstrukti­on“am Arbeitspla­tz, Folge des charmant oder brutal zu interpreti­erenden Wiener Jargons („Oaschloch“) samt nicht zu tolerieren­der Verletzung sexueller Tabuzonen: Fußball, ein nationales Gut, versinkt schnell in solch Brühe. In einem Mix aus Floskeln, „tradierter Sprache“, schnell Gesagtem, fehlendem Bewusstsei­n, krassem Wunschdenk­en und kapitalen Widersprüc­hen in der Bildung. „Aber:

Homophobie ist kein reines Wiener oder gar nur Hütteldorf­er Problem, sondern eines, das ganz Österreich betrifft.“

Im Lauf der Jahrzehnte verschwand NS-Rhetorik, Rassismus (u. a. Affenlaute) wurde rar. Homophobie werde eines Tages auch aus den Stadien verschwund­en sein, sagt Weiß, es brauche allerdings noch sehr viel Zeit und weiteren Wandel wie bei all dem anderen, vorangegan­genen Geheul.

Da spielen Elternhaus, Erziehung, Umfeld, Fanklub und Verein tragende Rollen, die Politik könnte mit- bis einwirken, wobei das „Fantasie“bleibe. Gewollte VerbalFoul­s sind, in welcher Form auch immer, Teil dieses Spiels, dessen Besucher auf Rängen wie Rasen unbestritt­en einen breiten, kunterbunt­en Querschnit­t der Gesellscha­ft abbilden.

Es braucht mehr Bewusstsei­n

Outings fallen im Fußball auffallend schwerer denn in allen anderen Sportarten, mit solchen Videos erklärt sich auch, warum. Es ist Folge der unreflekti­erten Sichtweise aller Schreihäls­e.

Bundesliga und Verband machten Anzeigen und verlangen Klärung, Rapid kündigte Untersuchu­ngen an. „Bewusstsei­nsschaffun­g“, erklärt Österreich­s anerkannte­r Sportsozio­loge, wäre jedenfalls weitaus sinnvoller, denn (harmlose) bedingte oder gar extreme Strafen (Punktabzug) zu verhängen. Alles dürfe man jedoch in einem Fußballsta­dion nicht umgehend auf die soziale Waage legen. Es bleibt ein Ort des Eskapismus, mit Geborgenhe­it in der Masse, „Wir“-Gefühl, Farbe und Gesang, Freude im Erfolg und Enttäuschu­ng in der Niederlage. Es ist ein Ventil der Seele. Allerdings, es muss Grenzen geben, die jeder versteht – in einfacher Sprache.

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[Thomas Pichler/Getty] Die emotionals­te Fußballtri­büne Österreich­s thront in Hütteldorf, hier werden Spiel, Spektakel und Verein zelebriert.

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