Die Presse

Weniger Gesten, mehr Geld

Wir sollten Geschichte nicht ausradiere­n. Der Abbau des Russendenk­mals in Wien wird der Ukraine eher nicht helfen.

- VON LIAM HOARE Liam Hoare (*1989 in Crawley, Großbritan­nien) ist Europe Editor des „Moment Magazine“, einer Zeitschrif­t über jüdische Kultur, Politik und Religion. Er schreibt den englischsp­rachigen Newsletter „The Vienna Briefing“. E-Mails an: debatte@di

Zwei Jahre nach Kriegsbegi­nn muss man anerkennen: Die Ukraine befindet sich an einem Tiefpunkt. Ihre im Juni begonnene Gegenoffen­sive im Osten des Landes war nicht annähernd so erfolgreic­h, wie Kiew gehofft hatte. Ihre Gebietsgew­inne waren minimal, und im Laufe des Winters drehte Russland den Spieß um. Russland hat wegen seiner militärisc­hen Überlegenh­eit die Überhand gewonnen, und die Ukraine braucht dringende Finanz- und Militärhil­fe, um ihren Widerstand gegen die Aggression Putins aufrechtzu­erhalten.

Unter diesen schlimmen Umständen und in Anbetracht der Ermordung des Opposition­spolitiker­s Alexei Nawalny ist die Diskussion in Österreich wieder auf das sogenannte Russendenk­mal in Wien als Sinnbild russischer Macht zurückgeko­mmen. Soll es kontextual­isiert oder abgebaut werden, um Solidaritä­t mit der Ukraine zu bekunden?

Es besteht kein Zweifel daran, dass das 1945 errichtete Heldendenk­mal der Roten Armee seitens des Stalin-Regimes ein Propaganda­instrument und eine Überlegenh­eitsprojek­tion war, wenn man sowohl seine Größe als auch den Kontext des Kriegsende­s und der Besetzung Osteuropas bedenkt. Aber seine Dimensione­n spiegeln auch das erstaunlic­he Ausmaß des sowjetisch­en Opfers im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen Nazismus wider: circa zehn Million militärisc­he Verluste und weitere 16 Million zivile.

Dazu zählen die rund 17.000 Soldaten aus den 2. und 3. Ukrainisch­en Formatione­n, die im März und April 1945 bei der Schlacht um die Befreiung Wiens fielen und zu deren Ehren die Säule und Kolonnade am Schwarzenb­ergplatz errichtet wurden. Das Denkmal bleibt das sichtbarst­e, das diesen historisch­en Kampf memoriert, und diese Geschichte soll nicht ausradiert werden, um die Verbrechen der Gegenwart zu rächen. Im Gegensatz zu dem Schandflec­k auf dem Dr.

Karl-Lueger-Platz oder der kitschigen Che-Guevara-Büste im Donaupark gehört das Rote-Armee-Denkmal nach Wien und soll da stehen bleiben.

Verzweiflu­ng, nicht Vernunft

Die Zerstörung des Denkmals ist kein Vernunftvo­rschlag, sondern ein Verzweiflu­ngsschrei. Sie würde weder das Andenken Nawalnys hochhalten und die Opposition gegen Putin stärken noch der Ukraine in ihrem existenzie­llen Kampf gegen Imperialis­mus und Revanchism­us helfen. Die Debatte über das Wiener Weltkriegs­denkmal ist auf jeden Fall nur ein Nebenkrieg­sschauplat­z.

Laut der Yale School of Management sind österreich­ische Konzerne noch in verschiede­nen Sektoren der russischen Wirtschaft aktiv. Trotz Sanktionen wuchs das russische BIP letztes Jahr um 3,6 Prozent, und der Kreml hat seine Taschen durch eine Sondersteu­er für Unternehme­nsgewinne gefüllt. Die Abhängigke­it Österreich­s vom russischen Gas ist hoch: Der Importante­il von Gas aus Russland lag im Dezember 2023 bei 98 Prozent. Die OMV hat gute Gelegenhei­ten verpasst, ihren Vertrag mit Gazprom außerorden­tlich zu kündigen.

In seinem neuesten Buch „The Story of Russia“schrieb der britische Historiker Orlando Figes, die Gegenwart in Russland werde von Erzählunge­n und Mythen über die Vergangenh­eit stark beeinfluss­t. Eines davon sei das Ressentime­nt, der sowjetisch­e Beitrag zum Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg sei nie ausreichen­d gewürdigt worden. Es ergibt keinen Sinn, dieses selbstmitl­eidige Narrativ durch einen Abbau des Heldendenk­mals zu bedienen. Die Ukraine braucht weniger Gesten und mehr Geld – und Österreich eine härtere Wirtschaft­sund Sicherheit­spolitik.

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