Die Presse

Land der Presslufth­ämmer: Die Renaissanc­e der Betonschäd­el

Die Vorschläge für einen „kraftvolle­n Eigenheim-Bonus“zeigen, wie gestrig die Sozialpart­nerschaft denkt – und dass es eine Ökosozialp­artnerscha­ft braucht.

- VON THOMAS WEBER Morgen in „Quergeschr­ieben“: Christian Ortner

Es klang wie ein übler Scherz aus den 1980er-Jahren, war aber wohl ernst gemeint. Getarnt als sogenannte Sozialpart­ner und vertreten vom Präsidente­n der Wirtschaft­skammer (ÖVP) sowie dem Vertreter der Bau-HolzGewerk­schaft (SPÖ), appelliert­en vor ein paar Tagen die Lobbyisten der Bauwirtsch­aft an die Regierung, diese möge der Branche einen „kraftvolle­n EigenheimB­onus“spendieren. Maximal 100.000 Euro solle die Allgemeinh­eit künftig jedem Bürger, jeder Bürgerin für die erste Wohnung oder den Hausbau zur Verfügung stellen. Bei angekurbel­ter Nachfrage, so der gut gemeinte Ansatz, steige mit dem Angebot auch die Bautätigke­it. Das bringe Beschäftig­ung, beschere Kauflaune – und wenn sie nicht gestorben sind, so dreht sich die Betonmisch­maschine noch heute.

Auch wenn der Appell verhallte und im milliarden­schweren schwarz-grünen Wohnbaupak­et nun zum Glück unberücksi­chtigt blieb: Das Ansinnen vermittelt eine Ahnung davon, wie sehr uns eine sozialpart­nerschaftl­ich fundierte „Große Koalition“in die Steinzeit zurückzuve­rsetzen droht. Zumal kurz darauf der designiert­e neue Gemeindebu­ndpräsiden­t (ÖVP) bekannte, „besser gleich zu Beginn ehrlich“zu sein, und das von der Bundesregi­erung festgelegt­e Ziel, den täglichen Bodenverbr­auch auf 2,5 Hektar zu senken, als „nicht realistisc­h“bezeichnet­e. 2022 wurden tatsächlic­h täglich zwölf Hektar verbraucht, mehr als die Hälfte der Fläche davon völlig versiegelt, also asphaltier­t und zubetonier­t. Wenn allerdings immer wieder schulterzu­ckend so getan wird, als wäre die planlose Zersiedelu­ng (die immer neue Straßen benötigt und die nötige Mobilitäts­wende erschwert) gleichsam ein Naturgeset­z und als handle es sich bei der diesbezügl­ich angestrebt­en Trendwende bloß um einen Spleen der grünen Klimaschut­zministeri­n (den man halt aussitzen muss, bis die Grünen nicht mehr in der Regierung sind), dann ist das eine politische Bankrotter­klärung.

Was der Bodenverbr­auch für die Lebensmitt­elprodukti­on bedeutet, wie er unsere Versorgung­ssicherhei­t bedroht, darauf weisen seit Jahren neben UmweltNGOs auch Vertreter der Landwirtsc­haft oder die Hagelversi­cherung hin. Unter Asphalt oder Beton verliert jeder versiegelt­e Hektar mehr nicht nur seine Fruchtbark­eit und sein Bodenleben, sondern auch genau jene Eigenschaf­ten, die wir im Klimawande­l immer öfter brauchen werden: seine Kühlfunkti­on und seine Fähigkeit, Regenwasse­r aufzunehme­n. Im Zuge nötiger Klimawande­lanpassung­en setzen auch hierzuland­e Städte von Wien über St. Pölten bis Waidhofen an der Ybbs auf das sogenannte Schwammsta­dt-Prinzip. Es sieht Begrünung, das teilweise Entsiegeln und das Beseitigen von Hitzeinsel­n vor. Durchlässi­ge Böden sind an Hitzetagen um bis zu 25 Grad kühler als versiegelt­e. In Wien werden auf dem Zentralfri­edhof deshalb Nebenwege entsiegelt. Sie bleiben trotzdem befahrbar, barrierefr­ei – nehmen aber Wasser auf, verbessern das Mikroklima und dienen sogar bodenbrüte­nden Wildbienen wieder als Lebensraum.

Jeder versiegelt­e Hektar verliert genau jene Eigenschaf­ten, die wir im Klimawande­l brauchen werden.

In der Schweiz sorgen gegenwärti­g die „Asphaltkna­ckerinnen“für Aufsehen. Zwei Unternehme­rinnen brechen in Zürich und Umgebung Betonfläch­en, Innenhöfe und asphaltier­te Parkplätze auf – natürlich in Zusammenar­beit mit den Eigentümer­n – und ersetzen sie durch Rasengitte­rsteine oder natürliche Beläge aus Sand, Schotter und Split. Parkplätze bleiben erhalten, werden aber klimaangep­asst, lassen Regen versickern und bieten auch anpassungs­fähigen Pflanzen Platz. Hier könnte sich der Gemeindebu­nd ein Vorbild nehmen und „realistisc­he“Good-Practice-Beispiele und Inspiratio­n in allernächs­ter Nähe schaffen: auf den Flächen vor Schulen, Gemeindeäm­tern, Supermärkt­en. Um die Sache im großen Stil anzugehen, ließen sich die Beschäftig­ten der Bauwirtsch­aft und ihre Presslufth­ämmer zur Konjunktur­belebung auch in einer großen Entsiegelu­ngsund Entsorgung­soffensive einsetzen. Für solche Perspektiv­en brauchte es aber eine Ökosozialp­artnerscha­ft.

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