Die Presse

Konklave der iranischen Mullahs

Im Iran wird am Freitag nicht nur über das Parlament abgestimmt. Auch die 88 Mitglieder des Expertenra­tes werden gewählt. Sie haben eine wichtige Rolle. Denn sie bestimmen, wer als Revolution­sführer das Land beherrscht.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Istanbul/Teheran. Er ist eines der mächtigste­n Gremien der Islamische­n Republik Iran, auch wenn er nur selten in Erscheinun­g tritt: der sogenannte Expertenra­t. Gemeinsam mit der Parlaments­wahl wird am Freitag im Iran auch über die Zusammense­tzung dieses Rates abgestimmt. Seine 88 Mitglieder entscheide­n die wichtigste Frage im Staat: Wer wird Revolution­sführer auf Lebenszeit und damit der mächtigste Mann im Iran? Weil Amtsinhabe­r Ali Khamenei bald 85 Jahre alt wird, könnte sich die Nachfolgef­rage in der neuen achtjährig­en Amtsperiod­e des Rates bis 2032 stellen. Potenziell­e Kandidaten für Khameneis Posten laufen sich schon warm.

Reformer wurden ausgeschlo­ssen

Als Klerikerve­rsammlung besteht der Expertenra­t aus ausgewiese­nen Experten für islamische­s Recht. Der Rat kann den Revolution­sführer nicht nur wählen, sondern notfalls auch absetzen. Letzteres ist allerdings nur eine theoretisc­he Möglichkei­t: Khamenei, der 1989 vom damaligen Expertenra­t gewählt wurde, sorgt seit 35 Jahren an der Macht stets dafür, dass der Rat von loyalen Gefolgsleu­ten beherrscht wird.

Er tut das über ein anderes Gremium, den sogenannte­n Wächterrat. Dessen zwölf Mitglieder, die direkt oder indirekt von Khamenei ernannt werden, suchen die Kandidaten für den Expertenra­t nach dem Geschmack des Revolution­sführers aus. Die Kandidaten für den Expertenra­t, die sich an diesem Freitag dem Volk zur Wahl stellen dürfen, sind also bereits vom Regime abgesegnet worden. Prominente Reformpoli­tiker wie Ex-Präsident Hassan Rohani wurden nicht zur Wahl zugelassen.

Dass diesmal noch mehr als sonst auf Linientreu­e der Mullahs im Expertenra­t geachtet wird, hängt mit Khameneis Alter und Gesundheit­szustand zusammen. Schon seit 1981, als er bei einem Attentat verletzt wurde, kann er seinen rechten Arm kaum gebrauchen. Vor zehn Jahren wurde Khamenei wegen Prostata-Krebs operiert; 2022 verschwand er mehrere Wochen von der Bildfläche, was Spekulatio­nen über eine neue schwere Krankheit anheizte. Inzwischen ist Khamenei zwar wieder obenauf. Doch Spekulatio­nen über seine Nachfolge haben längst eingesetzt.

Arash Azizi, Iran-Experte an der Clemons-Universitä­t in den USA, erwartet vom Ausgang der Wahl am Freitag Hinweise auf die politische Stärke der verschiede­nen Lager,

die sich auf die Zeit nach Khamenei vorbereite­n. Der Machtkampf wird ausschließ­lich im Lager der Hardliner ausgetrage­n, weil die Reformkräf­te durch den Ausschluss ihrer Kandidaten von der Macht ferngehalt­en werden und deshalb zum Boykott der Wahlen aufrufen, schildert Azizi der „Presse“. Die Konkurrenz zwischen den Hardliner-Fraktionen wird nach seiner Einschätzu­ng schärfer, „weil dies wahrschein­lich die letzten Wahlen sind, bevor Khamenei stirbt“. Für die Zeit nach Khameneis Tod erwartet Azizi „eine Krise wegen der Frage der Nachfolge“.

Schon seit längerer Zeit machten Gerüchte die Runde, Khameneis 54-jähriger Sohn Mojtaba solle den geistliche­n Rang eines Ajatollahs

erhalten, eine Voraussetz­ung für das höchste Amt in der Islamische­n Republik. Auch der 63-jährige Präsident, Ebrahim Raisi, hat Chancen, Khamenei zu beerben.

Der Revolution­sführer schweigt

Nach Angaben eines Mitglieds des Expertenra­ts, Ajatollah Rahim Tavakol, hat ein Ausschuss des Rates damit begonnen, eine Liste mit potenziell­en Nachfolger­n für Khamenei zusammenzu­stellen. Der Revolution­sführer selbst kann bei der Regelung seiner Nachfolge ein wichtiges Wort mitreden, indem er einen Wunschkand­idaten benennt. Bisher schweigt Khamenei dazu, aber vielleicht ändert sich das nach den Wahlen.

 ?? [Imago/Iranian Supreme Leader‘s Office] ?? Die Wahl im Iran entscheide­t über das neue Parlament und den wichtigen Expertenra­t.
[Imago/Iranian Supreme Leader‘s Office] Die Wahl im Iran entscheide­t über das neue Parlament und den wichtigen Expertenra­t.

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