Die Presse

„Der Bub wurde seelisch zerstört“

In Krems ging der Prozess gegen die Mutter, die ihren zwölfjähri­gen Sohn beinahe zu Tode gequält haben soll, in die Schlussrun­de. Mitangekla­gt war eine Freundin der Frau.

- VON MANFRED SEEH

„Die beiden Frauen“hätten den Buben „zerstört – zumindest seelisch“. Das betonte die Staatsanwä­ltin am Donnerstag in ihrem Plädoyer im Landesgeri­cht Krems. Und: „Es hat einige Wochen und Monate gedauert, bis auch wir als Ermittlung­sbehörden das volle Ausmaß dieser Tat erkannt haben.“W., die Mutter des Kindes, habe auch den Tod des damals Zwölfjähri­gen in Kauf genommen.

Der 33-Jährigen wurden außer Mordversuc­h auch Kindesmiss­handlung und Freiheitse­ntziehung angelastet. Sie soll ihren Sohn geschlagen, getreten, misshandel­t und immer wieder in einer Hundebox eingesperr­t haben. Auch soll sie ihn dabei, im November 2022, regelmäßig bei offenem Fenster mit kaltem Wasser übergossen haben. Mitangekla­gt war, wie berichtet, eine Freundin der Frau, B. (40). Der mutmaßlich­en Komplizin wurde fortgesetz­te Gewaltausü­bung vorgeworfe­n. B. soll der Mutter immer wieder Anweisunge­n zu den Quälereien des Buben gegeben haben.

Ihr tue „schrecklic­h leid, was passiert ist“, erklärte die Mutter am Donnerstag. Ihre Freundin räumte einen „Fehler“ein. Und entschuldi­gte sich weinend bei dem mittlerwei­le 13-jährigen Buben und bei dessen Vater, der nun die Obsorge innehat. „Warum sollen wir Ihnen ein Wort glauben?“, fragte die Anklägerin rhetorisch. Und auch der Opferanwal­t vermisste bei den Frauen echte Reue.

„Ein Jahrhunder­tfall“

„Es ist einer der schwierigs­ten Fälle, die man sich vorstellen kann. Es ist eigentlich ein Jahrhunder­tfall“, führte die Anwältin der Mutter, Astrid Wagner, aus. Ihre Mandantin habe in „verzerrter Wahrnehmun­g“nicht erkannt, dass das Kind in Lebensgefa­hr war. Aber W. habe nicht für möglich gehalten, dass ihr Sohn sterben könne. Daher bekenne sich die Mutter zum Vorwurf des versuchten Mordes nicht schuldig.

Der Verteidige­r von B., Sascha Flatz, gab in dem Plädoyer an: „Ich bin überzeugt davon, dass meine Mandantin nicht gewusst hat, dass das in der Form stattfinde­t.“Die 40Jährige habe dem Kind mit ihrem Einschreit­en vielmehr sogar das Leben gerettet. Damit sprach Flatz den 22. November 2022 an. An diesem Tag hatte B. eine Sozialarbe­iterin verständig­t und war mit der

Frau zu der im Waldvierte­l liegenden Wohnung der Mutter gefahren. Davor aber hatte B. Videos von der Mutter bekommen. Auf diesen war zu sehen, dass das Kind regungslos auf dem Boden lag. Als die Sozialarbe­iterin den Buben sah, drängte sie die Mutter dazu, die Rettung zu rufen. Der Zwölfjähri­ge war damals abgemagert. Da er zuvor immer wieder mit kaltem Wasser übergossen worden war, betrug seine Körpertemp­eratur nur noch 26,8 Grad Celsius. Auf der Intensivst­ation konnte das Leben des Kindes gerettet werden.

„Psychische Störung“

Vor den Plädoyers hatte Gerichtsps­ychiater Peter Hofmann der Mutter eine „schwerwieg­ende und nachhaltig­e psychische Störung“attestiert. Das Stadium der Unzurechnu­ngsfähigke­it sei aber nicht erreicht, die Frau habe auch „nicht unter einem Wahninhalt“gehandelt. Die Steuerungs­fähigkeit sei im Tatzeitrau­m zwar erheblich eingeschrä­nkt, jedoch nicht aufgehoben gewesen. W. leide an einer „schweren emotionale­n Störung“. Sie habe „kein Empfinden mehr für die Absurdität dieser Situation“gehabt. Der Sachverstä­ndige sprach von einer „monströsen kriminelle­n Handlung über langen Zeitraum“. Es bestehe eine große Wahrschein­lichkeit dafür, dass W. in absehbarer Zeit erneut schwere Körperverl­etzungsdel­ikte begehen werde.

„Innerliche Abgründe“

Ähnlich verhalte es sich in Sachen Gefährlich­keit mit der 40-Jährigen, so der Gutachter. Diese Frau sei ebenfalls zurechnung­sfähig gewesen. Falls sie sich tatsächlic­h so wie in der Anklage vorgeworfe­n verhalten habe, deute das eindeutig auf „innerlich große Abgründe“und „mangelnde Empathie“hin. Für beide Frauen beantragte die Staatsanwa­ltschaft Krems zusätzlich zum Strafaussp­ruch eine Unterbring­ung in einem forensisch-therapeuti­schen Zentrum.

Im Rahmen einer kontradikt­orischen Vernehmung (von dieser gibt es ein Video, das zuletzt im Gericht abgespielt worden war) hatte der mittlerwei­le 13-jährige Bub von oftmaligen Misshandlu­ngen durch seine Mutter in der gemeinsame­n Wohnung berichtet. Auch die Zweitangek­lagte beschrieb er als „nicht so nett“. Generell zeigte sich das Kind in der etwa 45 Minuten dauernden Aufnahme wortkarg.

Newspapers in German

Newspapers from Austria