Machtmissbrauch im Film: Es geht nicht um Manker und Co.
Die NDR-Doku „Gegen das Schweigen“will Systemänderung, österreichische Medien interessiert wieder einmal fast nur die Frage: Wer war’s?
Natürlich bringt es Klicks, was über einen österreichischen Filmregisseur erzählt wird, auch wenn die meisten ihn wohl gar nicht kennen. Ein paar Details darüber, was er Betroffenen zufolge vor vielen Jahren im Umgang mit ihnen gemacht habe, bei Castings und rund um Dreharbeiten. Mit künstlerischen Beweggründen oder argloser Gastfreundschaft sind die Berührungen junger Frauen, die hier geschildert werden, ja wirklich nicht zu erklären.
Doch die österreichischen Titelzeilen zur NDR-Dokumentation „Gegen das Schweigen“sind so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, worauf diese vorbildliche journalistische Produktion abzielt. Drei Jahre lang haben die Journalistinnen Zita Zengerling und Kira Gantner recherchiert, 200 Menschen aus der Filmbranche kontaktiert, Dutzende Interviews geführt, 70 eidesstattliche Erklärungen erhalten. Und wie viele Namen von Beschuldigten nennen sie? Drei. Sie hätten anders können, haben sich jedoch dagegen entschieden, und nicht nur aus rechtlichen Gründen. Trotzdem – auf diese drei, beziehungsweise die zwei in Österreich, stürzt sich die heimische Berichterstattung.
Und das, obwohl im Fall des Regisseurs und Schauspielers Paulus Manker ein seit vielen Jahren offenes Geheimnis erzählt wird. Österreich kennt seine Verhaltensauffälligkeiten, seinen Hang zu Beleidigungen, seine Selbstherrlichkeit als Regisseur (die, wie Erzählungen zweier betroffener Frauen zeigen, noch problematischer wird, wenn junge Schauspielerinnen im Nacktzustand damit konfrontiert werden).
Natürlich hat die Zurückhaltung mit Namen in dieser Doku auch damit zu tun, dass viele Vorfälle lang zurückliegen, schwer überprüfbar sind. Und dass sie sehr oft in der Arbeit mit Schauspielerinnen und Schauspielern passieren, wo Grenzüberschreitungen schwerer zu beurteilen sind als in vielen anderen Branchen. Aber das ist nicht der einzige Grund. „Es wird immer Menschen geben, die ihre Macht ausnutzen. Die Frage ist, ob es ein System gibt, das ihnen genau das ermöglicht“, heißt es im Film einmal. Und genau darum geht es darin.
Um die im System Schwächsten, die (meist) Jungen vor und hinter der Kamera, die Angst um ihre prekären Jobs haben. Um ihre ersehnten Rollen, Angst vor Diskreditierung durch die, die in der Branche viel zu sagen haben. Um ein in der Branche angelegtes Machtgefälle, das den Machtmissbrauch ihnen gegenüber ermöglicht. Um die vielen Ermöglicher. Zum Beispiel Produktionsfirmen, die höchstens halbherzig eingreifen, weil sie von den Erfolgreichen so profitieren, dass sie ihnen auch vieles zugestehen. Um alle im System, die nicht zu dessen allerschwächsten Gliedern gehören und es daher leichter hätten, etwas zu sagen, zu tun, zu verändern. Was sie zum Teil jetzt auch tun – beziehungsweise erst jetzt.
Die Mehrzahl der erzählten Vorfälle geschah nicht heimlich, sondern offen. Oder zumindest unter begünstigenden Bedingungen, die davon Informierte hätten stutzig machen können. Warum konnten sie passieren, durch Einzelne, obwohl das Umfeld aus so vielen bestand? Welche Einstellungen bestanden damals und bestehen teilweise bis heute? Warum gab es so viele Ermöglicher? Diese Frage ist nicht nur für die Einordnung lang zurückliegender Vorfälle wesentlich, sondern auch für eine Veränderung. Dann landet man wieder bei der „Struktur“, aber auch bei der Frage der Zivilcourage der vielen. Öffentliche Strafexpeditionen gegen Einzelne sind halt leichter, als daran zu arbeiten.
Es geht um die vielen Ermöglicher. Etwa Produktionsfirmen, die halbherzig oder gar nicht eingreifen. Überhaupt um „die vielen“.