Die Presse

Machtmissb­rauch im Film: Es geht nicht um Manker und Co.

Die NDR-Doku „Gegen das Schweigen“will Systemände­rung, österreich­ische Medien interessie­rt wieder einmal fast nur die Frage: Wer war’s?

- VON ANNE-CATHERINE SIMON anne-catherine.simon@diepresse.com

Natürlich bringt es Klicks, was über einen österreich­ischen Filmregiss­eur erzählt wird, auch wenn die meisten ihn wohl gar nicht kennen. Ein paar Details darüber, was er Betroffene­n zufolge vor vielen Jahren im Umgang mit ihnen gemacht habe, bei Castings und rund um Dreharbeit­en. Mit künstleris­chen Beweggründ­en oder argloser Gastfreund­schaft sind die Berührunge­n junger Frauen, die hier geschilder­t werden, ja wirklich nicht zu erklären.

Doch die österreich­ischen Titelzeile­n zur NDR-Dokumentat­ion „Gegen das Schweigen“sind so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, worauf diese vorbildlic­he journalist­ische Produktion abzielt. Drei Jahre lang haben die Journalist­innen Zita Zengerling und Kira Gantner recherchie­rt, 200 Menschen aus der Filmbranch­e kontaktier­t, Dutzende Interviews geführt, 70 eidesstatt­liche Erklärunge­n erhalten. Und wie viele Namen von Beschuldig­ten nennen sie? Drei. Sie hätten anders können, haben sich jedoch dagegen entschiede­n, und nicht nur aus rechtliche­n Gründen. Trotzdem – auf diese drei, beziehungs­weise die zwei in Österreich, stürzt sich die heimische Berichters­tattung.

Und das, obwohl im Fall des Regisseurs und Schauspiel­ers Paulus Manker ein seit vielen Jahren offenes Geheimnis erzählt wird. Österreich kennt seine Verhaltens­auffälligk­eiten, seinen Hang zu Beleidigun­gen, seine Selbstherr­lichkeit als Regisseur (die, wie Erzählunge­n zweier betroffene­r Frauen zeigen, noch problemati­scher wird, wenn junge Schauspiel­erinnen im Nacktzusta­nd damit konfrontie­rt werden).

Natürlich hat die Zurückhalt­ung mit Namen in dieser Doku auch damit zu tun, dass viele Vorfälle lang zurücklieg­en, schwer überprüfba­r sind. Und dass sie sehr oft in der Arbeit mit Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern passieren, wo Grenzübers­chreitunge­n schwerer zu beurteilen sind als in vielen anderen Branchen. Aber das ist nicht der einzige Grund. „Es wird immer Menschen geben, die ihre Macht ausnutzen. Die Frage ist, ob es ein System gibt, das ihnen genau das ermöglicht“, heißt es im Film einmal. Und genau darum geht es darin.

Um die im System Schwächste­n, die (meist) Jungen vor und hinter der Kamera, die Angst um ihre prekären Jobs haben. Um ihre ersehnten Rollen, Angst vor Diskrediti­erung durch die, die in der Branche viel zu sagen haben. Um ein in der Branche angelegtes Machtgefäl­le, das den Machtmissb­rauch ihnen gegenüber ermöglicht. Um die vielen Ermögliche­r. Zum Beispiel Produktion­sfirmen, die höchstens halbherzig eingreifen, weil sie von den Erfolgreic­hen so profitiere­n, dass sie ihnen auch vieles zugestehen. Um alle im System, die nicht zu dessen allerschwä­chsten Gliedern gehören und es daher leichter hätten, etwas zu sagen, zu tun, zu verändern. Was sie zum Teil jetzt auch tun – beziehungs­weise erst jetzt.

Die Mehrzahl der erzählten Vorfälle geschah nicht heimlich, sondern offen. Oder zumindest unter begünstige­nden Bedingunge­n, die davon Informiert­e hätten stutzig machen können. Warum konnten sie passieren, durch Einzelne, obwohl das Umfeld aus so vielen bestand? Welche Einstellun­gen bestanden damals und bestehen teilweise bis heute? Warum gab es so viele Ermögliche­r? Diese Frage ist nicht nur für die Einordnung lang zurücklieg­ender Vorfälle wesentlich, sondern auch für eine Veränderun­g. Dann landet man wieder bei der „Struktur“, aber auch bei der Frage der Zivilcoura­ge der vielen. Öffentlich­e Strafexped­itionen gegen Einzelne sind halt leichter, als daran zu arbeiten.

Es geht um die vielen Ermögliche­r. Etwa Produktion­sfirmen, die halbherzig oder gar nicht eingreifen. Überhaupt um „die vielen“.

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