Pazifismus à la Pippi Langstrumpf wird uns leider nicht retten
Dass Europa jahrzehntelang ein auf Frieden gedrillter Kontinent war, ist eine wunderbare Errungenschaft, die jetzt gerade zum Problem wird.
Sein Land, so jüngst der smarte polnische Außenminister, Radek Sikorski, in einem CNN-Interview, werde notfalls jährlich gigantische acht Prozent seiner Wirtschaftsleistung in das Militär investieren, „denn Polen wird nie wieder eine russische Kolonie sein“. Da klingt eine aus der Erfahrung geschöpfte Entschlossenheit durch, die im westlichen Europa bei vielen Machthabern fehlt, auch im dritten Jahr von Putins Krieg. Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, fantasiert schon von westlichen Soldaten „on the ground“in der Ukraine, während Deutschlands Kanzler, Olaf Scholz, nicht einmal moderne Lenkwaffen vom Typ Taurus liefern will – alles mehr EU-Hühnerstall denn ein Fall von massiver Machtprojektion.
Es stimmt schon: Kein Mensch kann wissen, ob Putin oder seine allfälligen Nachfolger jemals ein EULand wie etwa Polen angreifen wollen. Erwiesen ist freilich, dass für Putin Krieg ein Mittel der Politik ist, das er anwendet, wenn es ihm opportun erscheint, völlig unabhängig von Papierkram wie Völkerrecht. Europa hat jedoch genau zwei Möglichkeiten: entweder sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Möglichkeit eines Kriegs vorzubereiten, auch wenn er mit einer schwer zu prognostizierenden Wahrscheinlichkeit nicht kommt, oder aber einfach zu hoffen, dass schon nichts passieren wird.
Das zu begreifen ist für einen Kontinent, der seit 1945 gleichsam genetisch auf „Nie wieder Krieg“programmiert wurde, erkennbar schwer. Nicht zuletzt deshalb wird ja jeder, der auf die Notwendigkeit dieser Befähigung zu Krieg hinweist, als kriegsgeiler Schreibtischgeneral verunglimpft, der angstlüstern Zinnsoldaten herumschiebt.
Leider bleiben die Kritiker jeden Hinweis darauf schuldig, wie man sich angesichts dieses gewaltbereiten Nachbarn eigentlich ohne Kriegsvorbereitung verhalten soll, will man seine Freiheit bewahren. Wir haben es hier offenkundig mit einem Fall von Pippi-LangstrumpfPazifismus zu tun: Widdewiddewit, ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. Selbst jetzt, zu Beginn des dritten Kriegsjahrs, verharrt Europa noch immer in partieller Einsichtsverweigerung und produziert viel heiße Luft, Absichtserklärungen und Verwendungszusagen, aber nach wie vor zu wenige Panzer, Kampfdrohnen und Geschosse.
Es ist typisch, dass amerikanische Geopolitiker das oft viel klarer sehen als europäische Volksvertreter. „Europa muss auf seinen beiden eigenen Beinen stehen, wenn es um seine Verteidigung geht“, schrieb jüngst etwa der republikanische US-Senator James David Vance in der „Financial Times“. Das sagen zwar jetzt alle – aber den Worten folgen diesseits des Atlantiks halt viel zu wenig Taten.
„Um ehrlich zu sein, sind wir es unseren europäischen Partnern schuldig zu sagen: Die Amerikaner wollen Verbündete in Europa, keine Vasallenstaaten, und unsere Großzügigkeit in der Ukraine geht zu Ende“, erläutert der Senator die absehbaren Folgen und spricht ohne diplomatische Floskeln aus, was notwendig ist: „Diese Themen gehen über Haushaltstricks und die Teilnahme an trilateralen Gipfeltreffen hinaus. Sie erfordern konkrete militärische Kapazitäten und industrielle Macht. (…) Deutschland ist die wichtigste Volkswirtschaft Europas, aber es ist auf importierte Energie und geliehene militärische Stärke angewiesen.“(„Financial Times“, 20. 2. 2024)
Dies einer durch und durch pazifistischen Gesellschaft zu verklickern, die nicht einen Mangel an Lenkwaffen, sondern an Diversität für das Hauptproblem ihrer Armee ansieht und glaubt, dem Bösen in der Welt mit „feministischer Außenpolitik“und Selfies bei der Münchner Sicherheitskonferenz entgegentreten zu können, dürfte sich schwierig gestalten. Und dieser Gesellschaft zu verklickern, dass die Befähigung zum Krieg unglaubliche Mengen Geldes kosten wird, das wir nicht haben und daher bei vielen anderen Ausgaben des Staats werden einsparen müssen, wird ein spannendes politisches Experiment.
‘‘ Selbst zu Beginn des dritten Kriegsjahrs verharrt Europa noch immer in partieller Einsichtsverweigerung.