Harte Zeiten für die Wirtschaft
Steigende Löhne und Gehälter, teure Energie und fehlende Fachkräfte: Das Umfeld für heimische Betriebe könnte besser sein. Dennoch kann Österreich weiterhin auch mit einigen Vorteilen punkten.
In der Musik ist das Lamento eine eigene Gattung. Der Begriff leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet so viel wie Wehklage. Auch wenn sie nicht gesungen werden, sind derlei Klagen immer öfter auch von österreichischen Unternehmen zu vernehmen. Steigende Löhne machen zu schaffen, es muss mit Energiepreisen kalkuliert werden, die deutlich höher liegen als noch vor Kriegsausbruch in der Ukraine.
Erleichtert geseufzt dürften diese Woche so einige Firmenchefs haben, als die EUStaaten dem Lieferkettengesetz nicht mehrheitlich zugestimmt haben. Gut gemeint, aber nicht gut gemacht, findet die Industriellenvereinigung (IV). In letzter Minute wurde ein „massiver Wettbewerbsnachteil für den europäischen Wirtschafts- und Industriestandort verhindert“, sagte Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung. Doch wie ist es abseits dieser Thematik um den Standort Österreich eigentlich bestellt?
Zunächst : „Es gibt nicht den einen Standort-Indikator“, stellt Holger Bonin, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), im Gespräch mit der „Presse“klar. Faktoren wie Energiepreise oder Lohnkosten spielen eine Rolle, aber etwa auch die Qualität der öffentlichen Infrastruktur, das technologische Niveau einer Volkswirtschaft, die demografische Entwicklung und politische Stabilität. Auf den Mix kommt es an.
Die Zeit günstiger Energie ist vorbei
Ein zentraler Faktor ist für viele Betriebe der Energiepreis. Die gute Nachricht: Im Jahr zwei nach der Energiekrise ist die Stromund Gasversorgung im Land weitgehend gesichert, so die E-Control. Erdgas ist mittlerweile wieder so billig wie vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und ausreichend vorhanden. Zudem gingen die exorbitanten Preisspitzen zurück, dennoch entspannt das die Industriebetriebe nicht.
„Die Energiepreise werden in Europa deutlich höher bleiben als etwa in den USA“, sagt Wifo-Industrie-Ökonom Werner Hölzl. Das bemerken alle heimischen Firmen bei ihren Exporten, vor allem jene Betriebe, die viel Energie für ihre Waren brauchen. Diese energieintensive Industrie umfasst in Österreich 16 Prozent der Erwerbstätigen, rund 21 Prozent der Wertschöpfung in der Industrie und 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIPs). In der Regel gilt eine Produktion dann als energieintensiv, wenn über fünf Prozent der Herstellungskosten auf Energie entfallen. In Sektoren wie der Zementherstellung sind es etwa 16 Prozent. Überhaupt gilt die Baustoffindustrie als einer der Sektoren, die viel Energie brauchen. Aber auch die Metall-, Glas- und Keramikerzeugung, die chemische Industrie und die Papier- und Pappeherstellung brauchen viel Energie und dabei vor allem Gas.
Arbeit wird knapper und teurer
Der demografische Wandel betrifft ganz Europa, wobei Österreich weniger erfolgreich darin ist, qualifizierte Zuwanderung anzulocken, als etwa die nordischen Staaten. Kopfzerbrechen bereitet Österreichs Firmen noch ein anderer Trend: Seit Ausbruch der Pandemie wurde Arbeit überall in Europa teurer, aber in Österreich stiegen die Lohnstückkosten je Arbeitsstunde – ein Indikator für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit – stärker anderswo in Europa. Nimmt man den Zeitraum von 2013 bis 2023 betrug das Plus in Österreich 23 Prozent, während die Lohnstückkosten im EU-Schnitt nur um 13 Prozent zugelegt haben. In Deutschland stiegen die Lohnstückkosten im selben Zeitraum um 20 Prozent, in Italien nur um neun Prozent.
Die kräftigen Lohnsteigerungen sind mit ein Grund, weshalb auch die Inflation in Österreich über dem EU-Schnitt liegt und made in Austria immer teurer wird. Ein Teufelskreis, weil eine höhere Inflation wieder zu kräftigen Lohnerhöhungen führt. Wobei Österreich
im OECD-Schnitt auch den vierthöchsten Steuerkeil – also die Steuern und Abgaben gemessen an den Arbeitskosten – aufweist. Würden die Lohnnebenkosten etwa um ein Prozent vom Bruttolohn gesenkt, würden die Betriebe laut Wifo um rund 1,6 Mrd. Euro entlastet und es entstünden zusätzlich ein Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent und 11.200 neue Stellen.
‘‘ Es gibt nicht den einen StandortIndikator. Holger Bonin, IHS-Chef
Was können Österreichs Exporteure?
Höhere Kosten durch Energie und Arbeit sind nicht gerade Ingredienzen, die dem Preiswettbewerb mit der internationalen Konkurrenz zuträglich sind. Wobei Österreichs Exporteure, so betonte etwa WKOPräsident Mahrer vor wenigen Wochen, vor allem über Qualität punkten und deshalb höhere Preise durchsetzen können. Doch der Mitbewerber schläft nicht, und gerade Betriebe aus Ländern mit deutlich niedrigeren Produktionskosten – etwa in Lateinamerika oder Ostasien – seien zunehmend in der Lage, mit der guten Qualität mitzuhalten.
Auch wenn Österreichs Exporteure immer mehr unter Druck kommen, ist Österreich nach wie vor ein Top-Standort. Gemessen an den Pro-Kopf-Exporten rangiert man auf Platz acht weltweit. Den Betrieben hilft auch, dass sie oft aufwendige Nischenprodukte herstellen. Österreichs Volkswirtschaft ist – um im Fachjargon zu bleiben – relativ komplex. Darunter versteht sich eine Ökonomie, die stark diversifiziert und gleichzeitig auf Güter spezialisiert ist, die kaum anderswo erzeugt werden.
So ist Österreich zum Beispiel Heimat von Unternehmen, die eine wichtige Rolle in der Lieferkette für Hightech-Computerchips spielen. Und dass die Komplexität laut einer Eco-Austria-Studie tendenziell zunimmt (wie etwa der immer größere Anteil von Pharma-Exporten zeigt), sind gute Nachrichten, weil damit auch das Wachstumspotenzial der österreichischen Wirtschaft zunimmt. Aber dem internationalen Preiswettbewerb entziehen kann sich freilich auch ein Top-Standort nicht.
Wie lästig ist die Bürokratie wirklich?
Dass die Bürokratie von Österreichs Firmen als Bürde wahrgenommen wird, zeigt der Indikator Burden of Government Regulation des World Economic Forum (WEF). Dieser basiert auf Umfragen und weist für Österreich eine höhere Last durch Bürokratie auf als im EU-Schnitt.
Wobei Bürokratie gerade im europäischen Vergleich schwer messbar sei, wie Experten betonen – schließlich gilt in allen Mitgliedstaaten EU-Recht und daher oftmals ähnliche Regeln. Im europäischen Standortvergleich zählen deshalb vor allem Aspekte wie die Umsetzung von Regulierung, die Dauer von Genehmigungen und die Ausstattung von Behörden.
Gut gemachte Regulierung muss nicht teuer sein. Schlecht gemachte Regulierung kann dafür kosten, wenn etwa externe Expertise eingekauft werden muss oder viel Arbeitszeit für unproduktive Zettelwirtschaft draufgeht. Im schlimmsten Fall sorgt Regulierung sogar für Rechtsunsicherheit.
Österreich hat hierbei Stärken und Schwächen. Zieht man etwa den WeltbankIndikator Doing Business zurate, sind beispielsweise Unternehmensgründungen in weltweit 126 Ländern einfacher als hierzulande. Dafür funktioniert der grenzüberschreitende Handel in keinem einzigen Land reibungsloser als in Österreich. Die schlechte Nachricht ist allerdings: Laut dem WEFIndikator nimmt die Last der Bürokratie in Österreich zu.
Ein „drohendes Bürokratiemonster“ist aus Sicht der Industriellenvereinigung und vieler Unternehmer nun mit der Ablehnung des EU-Lieferkettengesetzes abgewendet worden. Nachhaltiges Handeln solle nicht mit „zusätzlichem Bürokratieaufwand bestraft“werden, findet Knill.