Die Presse

Harte Zeiten für die Wirtschaft

Steigende Löhne und Gehälter, teure Energie und fehlende Fachkräfte: Das Umfeld für heimische Betriebe könnte besser sein. Dennoch kann Österreich weiterhin auch mit einigen Vorteilen punkten.

- VON MELANIE KLUG UND ALOYSIUS WIDMANN

In der Musik ist das Lamento eine eigene Gattung. Der Begriff leitet sich aus dem Lateinisch­en ab und bedeutet so viel wie Wehklage. Auch wenn sie nicht gesungen werden, sind derlei Klagen immer öfter auch von österreich­ischen Unternehme­n zu vernehmen. Steigende Löhne machen zu schaffen, es muss mit Energiepre­isen kalkuliert werden, die deutlich höher liegen als noch vor Kriegsausb­ruch in der Ukraine.

Erleichter­t geseufzt dürften diese Woche so einige Firmenchef­s haben, als die EUStaaten dem Lieferkett­engesetz nicht mehrheitli­ch zugestimmt haben. Gut gemeint, aber nicht gut gemacht, findet die Industriel­lenvereini­gung (IV). In letzter Minute wurde ein „massiver Wettbewerb­snachteil für den europäisch­en Wirtschaft­s- und Industries­tandort verhindert“, sagte Georg Knill, Präsident der Industriel­lenvereini­gung. Doch wie ist es abseits dieser Thematik um den Standort Österreich eigentlich bestellt?

Zunächst : „Es gibt nicht den einen Standort-Indikator“, stellt Holger Bonin, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), im Gespräch mit der „Presse“klar. Faktoren wie Energiepre­ise oder Lohnkosten spielen eine Rolle, aber etwa auch die Qualität der öffentlich­en Infrastruk­tur, das technologi­sche Niveau einer Volkswirts­chaft, die demografis­che Entwicklun­g und politische Stabilität. Auf den Mix kommt es an.

Die Zeit günstiger Energie ist vorbei

Ein zentraler Faktor ist für viele Betriebe der Energiepre­is. Die gute Nachricht: Im Jahr zwei nach der Energiekri­se ist die Stromund Gasversorg­ung im Land weitgehend gesichert, so die E-Control. Erdgas ist mittlerwei­le wieder so billig wie vor dem russischen Angriffskr­ieg auf die Ukraine und ausreichen­d vorhanden. Zudem gingen die exorbitant­en Preisspitz­en zurück, dennoch entspannt das die Industrieb­etriebe nicht.

„Die Energiepre­ise werden in Europa deutlich höher bleiben als etwa in den USA“, sagt Wifo-Industrie-Ökonom Werner Hölzl. Das bemerken alle heimischen Firmen bei ihren Exporten, vor allem jene Betriebe, die viel Energie für ihre Waren brauchen. Diese energieint­ensive Industrie umfasst in Österreich 16 Prozent der Erwerbstät­igen, rund 21 Prozent der Wertschöpf­ung in der Industrie und 3,7 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIPs). In der Regel gilt eine Produktion dann als energieint­ensiv, wenn über fünf Prozent der Herstellun­gskosten auf Energie entfallen. In Sektoren wie der Zementhers­tellung sind es etwa 16 Prozent. Überhaupt gilt die Baustoffin­dustrie als einer der Sektoren, die viel Energie brauchen. Aber auch die Metall-, Glas- und Keramikerz­eugung, die chemische Industrie und die Papier- und Pappeherst­ellung brauchen viel Energie und dabei vor allem Gas.

Arbeit wird knapper und teurer

Der demografis­che Wandel betrifft ganz Europa, wobei Österreich weniger erfolgreic­h darin ist, qualifizie­rte Zuwanderun­g anzulocken, als etwa die nordischen Staaten. Kopfzerbre­chen bereitet Österreich­s Firmen noch ein anderer Trend: Seit Ausbruch der Pandemie wurde Arbeit überall in Europa teurer, aber in Österreich stiegen die Lohnstückk­osten je Arbeitsstu­nde – ein Indikator für die preisliche Wettbewerb­sfähigkeit – stärker anderswo in Europa. Nimmt man den Zeitraum von 2013 bis 2023 betrug das Plus in Österreich 23 Prozent, während die Lohnstückk­osten im EU-Schnitt nur um 13 Prozent zugelegt haben. In Deutschlan­d stiegen die Lohnstückk­osten im selben Zeitraum um 20 Prozent, in Italien nur um neun Prozent.

Die kräftigen Lohnsteige­rungen sind mit ein Grund, weshalb auch die Inflation in Österreich über dem EU-Schnitt liegt und made in Austria immer teurer wird. Ein Teufelskre­is, weil eine höhere Inflation wieder zu kräftigen Lohnerhöhu­ngen führt. Wobei Österreich

im OECD-Schnitt auch den vierthöchs­ten Steuerkeil – also die Steuern und Abgaben gemessen an den Arbeitskos­ten – aufweist. Würden die Lohnnebenk­osten etwa um ein Prozent vom Bruttolohn gesenkt, würden die Betriebe laut Wifo um rund 1,6 Mrd. Euro entlastet und es entstünden zusätzlich ein Wirtschaft­swachstum von 0,2 Prozent und 11.200 neue Stellen.

‘‘ Es gibt nicht den einen StandortIn­dikator. Holger Bonin, IHS-Chef

Was können Österreich­s Exporteure?

Höhere Kosten durch Energie und Arbeit sind nicht gerade Ingredienz­en, die dem Preiswettb­ewerb mit der internatio­nalen Konkurrenz zuträglich sind. Wobei Österreich­s Exporteure, so betonte etwa WKOPräside­nt Mahrer vor wenigen Wochen, vor allem über Qualität punkten und deshalb höhere Preise durchsetze­n können. Doch der Mitbewerbe­r schläft nicht, und gerade Betriebe aus Ländern mit deutlich niedrigere­n Produktion­skosten – etwa in Lateinamer­ika oder Ostasien – seien zunehmend in der Lage, mit der guten Qualität mitzuhalte­n.

Auch wenn Österreich­s Exporteure immer mehr unter Druck kommen, ist Österreich nach wie vor ein Top-Standort. Gemessen an den Pro-Kopf-Exporten rangiert man auf Platz acht weltweit. Den Betrieben hilft auch, dass sie oft aufwendige Nischenpro­dukte herstellen. Österreich­s Volkswirts­chaft ist – um im Fachjargon zu bleiben – relativ komplex. Darunter versteht sich eine Ökonomie, die stark diversifiz­iert und gleichzeit­ig auf Güter spezialisi­ert ist, die kaum anderswo erzeugt werden.

So ist Österreich zum Beispiel Heimat von Unternehme­n, die eine wichtige Rolle in der Lieferkett­e für Hightech-Computerch­ips spielen. Und dass die Komplexitä­t laut einer Eco-Austria-Studie tendenziel­l zunimmt (wie etwa der immer größere Anteil von Pharma-Exporten zeigt), sind gute Nachrichte­n, weil damit auch das Wachstumsp­otenzial der österreich­ischen Wirtschaft zunimmt. Aber dem internatio­nalen Preiswettb­ewerb entziehen kann sich freilich auch ein Top-Standort nicht.

Wie lästig ist die Bürokratie wirklich?

Dass die Bürokratie von Österreich­s Firmen als Bürde wahrgenomm­en wird, zeigt der Indikator Burden of Government Regulation des World Economic Forum (WEF). Dieser basiert auf Umfragen und weist für Österreich eine höhere Last durch Bürokratie auf als im EU-Schnitt.

Wobei Bürokratie gerade im europäisch­en Vergleich schwer messbar sei, wie Experten betonen – schließlic­h gilt in allen Mitgliedst­aaten EU-Recht und daher oftmals ähnliche Regeln. Im europäisch­en Standortve­rgleich zählen deshalb vor allem Aspekte wie die Umsetzung von Regulierun­g, die Dauer von Genehmigun­gen und die Ausstattun­g von Behörden.

Gut gemachte Regulierun­g muss nicht teuer sein. Schlecht gemachte Regulierun­g kann dafür kosten, wenn etwa externe Expertise eingekauft werden muss oder viel Arbeitszei­t für unprodukti­ve Zettelwirt­schaft draufgeht. Im schlimmste­n Fall sorgt Regulierun­g sogar für Rechtsunsi­cherheit.

Österreich hat hierbei Stärken und Schwächen. Zieht man etwa den WeltbankIn­dikator Doing Business zurate, sind beispielsw­eise Unternehme­nsgründung­en in weltweit 126 Ländern einfacher als hierzuland­e. Dafür funktionie­rt der grenzübers­chreitende Handel in keinem einzigen Land reibungslo­ser als in Österreich. Die schlechte Nachricht ist allerdings: Laut dem WEFIndikat­or nimmt die Last der Bürokratie in Österreich zu.

Ein „drohendes Bürokratie­monster“ist aus Sicht der Industriel­lenvereini­gung und vieler Unternehme­r nun mit der Ablehnung des EU-Lieferkett­engesetzes abgewendet worden. Nachhaltig­es Handeln solle nicht mit „zusätzlich­em Bürokratie­aufwand bestraft“werden, findet Knill.

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