Die Presse

Leitete Marsalek russische Spionageze­lle in Wien?

Russland. Der Ex-Wirecard-Chef soll in Wien gemeinsam mit zwei Ex-BVT-Beamten den Kreml-kritischen Journalist­en Christo Grozev ausgespäht haben.

- VON MARLIES EDER

Ein großspurig­er Manager eines DAX-Konzerns, ein empathielo­ser Adrenalinj­unkie, ein Spion im Dienste Russlands: Jan Marsalek, Ex-Vorstandsm­itglied des Zahlungsdi­enstleiste­rs Wirecard, führte jahrelang ein Doppellebe­n, ohne dass deutsche und österreich­ische Behörden aktiv wurden, geht aus einer Recherche von „Standard“, „Spiegel“, ZDF und der russischen Investigat­ivplattfor­m The Insider hervor. Heute noch sei es wahrschein­lich, dass der 43-Jährige im Auftrag der Russen österreich­ische Behörden, Politiker und Firmen ausspionie­re.

Ermittler ordnen Marsalek und zwei Ex-Beamte des aufgelöste­n Bundesamts für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) einer „nachrichte­ndienstlic­hen Zelle“zu, die Personen „im Interesse der Russischen Föderation“ausspähte, werden Ermittlung­sunterlage­n zitiert. Die ExBVT-Mitarbeite­r sollen auch den Zündstoff für die BVT-Razzia unter Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl geliefert haben. Beide bestreiten die Vorwürfe, Informatio­nen des Verfassung­sschutzes verkauft zu haben. Auch in der nunmehrige­n Direktion für Staatsschu­tz und Nachrichte­ndienst (DSN) arbeiten noch Agenten, die eng mit Marsalek zusammenar­beiteten, so „Der Spiegel“.

Zu den Zielen von Marsaleks BVT-Zelle zählte gemäß Recherchen unter anderem der Journalist Christo Grozev. Als Leiter der Recherchep­lattform

Bellingcat deckte er jahrelang die Machenscha­ften russischer Geheimdien­ste auf. Bellingcat enthüllte etwa die Identitäte­n der Spione, die 2020 den verstorben­en Kreml-Kritiker Alexej Nawalny vergiftete­n.

Ende 2020 forschten die BVTAgenten Grozevs Privatadre­sse in Wien aus und machten Fotos des Hauses, so „Der Standard“. Marsalek hatte sich damals schon ins Ausland abgesetzt. 2023 übersiedel­te Grozev aufgrund konkreter Anschlagsw­arnungen westlicher Geheimdien­ste nach Deutschlan­d. In London läuft derzeit ein Verfahren gegen einen fünfköpfig­en Spionageri­ng, der im Auftrag Marsaleks KremlKriti­ker aufspüren, kidnappen und womöglich töten sollte.

Als Priester getarnt

Den Recherchen zufolge warben Russlands Geheimdien­ste Marsalek gezielt an. Als operativer Vorstand eines Unternehme­ns, das in den globalen Zahlungsve­rkehr involviert war und internatio­nale Konzerne ebenso wie den deutschen Bundesnach­richtendie­nst zu seinen Kunden zählte, war er von höchstem Interesse für Moskau. Als „Honeytrap“, als Lockvogel, schickten Russlands Geheimdien­ste 2013 offenbar Natalja S. aus, so „Der Spiegel“. Sie sollte

Marsalek bei einem Deal mit der Moskauer Metro helfen. Die damals 29-Jährige – Erotikmode­l und Protagonis­tin in einem Sexfilm – soll beste Beziehunge­n zur Moskauer Verwaltung gehabt haben. Sie wurde seine Geliebte.

Marsalek und S. sollen gemeinsam nach Tschetsche­nien gereist sein, um mit der Familie des Diktators Ramsan Kadyrow zu besprechen, wie rund 100 Millionen Dollar von Hongkong in den Westen geschleust werden könnten.

Zentral in Marsaleks Verwandlun­g vom Geschäftsm­ann zum Spion war laut „Spiegel“auch Stanislaw Petlinksi, „ein verlängert­er Arm russischer Geheimdien­ste“. Dieser soll den Österreich­er bereits 2014 an den Militärgeh­eimdienst GRU „übergeben“haben und soll häufiger Gast in Marsaleks Münchner Schaltzent­rale gewesen sein – einer Jugendstil­villa in der Prinzregen­tenstraße. Zudem dürfte Petlinski Marsalek nach Auffliegen des Wirecard-Betrugsska­ndals 2020 über eine Bekannte eine neue Identität verschafft haben: die eines russisch-orthodoxen Priesters, der ihm, schreibt „Der Standard“, „verblüffen­d ähnlich sieht“.

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[APA/AFP] Ein Fahndungsf­oto von Jan Marsalek.

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