Die Presse

Der stille Protest gegen Khamenei

Bei der Parlaments­wahl erwarteten Meinungsfo­rscher eine äußerst geringe Beteiligun­g. Ein Boykott kommt einem Misstrauen­svotum gegen Revolution­sführer Ali Khamenei gleich.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Kaum öffneten am Freitagmor­gen im Iran die Wahllokale, erschien Revolution­sführer Ali Khamenei zur Stimmabgab­e. Der 84-Jährige rief die 61 Millionen Iraner auf, ebenfalls zur Wahl zu gehen: Die Welt schaue auf das Land, sagte er. Bei dem Appell ging es Khamenei aber nicht so sehr um das internatio­nale Image der Islamische­n Republik, sondern vor allem um sich selbst und sein Regime: Die Wahlen sollen ihm dabei helfen, seine Nachfolge zu regeln. Eine Mehrheit der Iraner will dabei nicht mitmachen. Umfragen sagten ein neues Rekordtief bei der Wahlbeteil­igung voraus.

Wie Khamenei versuchte auch Präsident Ebrahim Raisi, Wähler an die Urnen zu bringen. Die Wahlen seien ein Symbol der nationalen Einheit, sagte Raisi. Viele Wähler sehen allerdings ein Gegeneinan­der von Volk und Regierung: Die Wahlen waren die ersten seit der Niederschl­agung der landesweit­en Massenprot­este vor zwei Jahren und fanden inmitten einer Wirtschaft­skrise mit hoher Inflation und explodiere­nden Preisen für Grundnahru­ngsmittel wie Brot, Fleisch und Reis statt.

Erste Ergebnisse werden am Samstag erwartet, doch eine politische Richtungse­ntscheidun­g stand bei der Neubestimm­ung der 290 Sitze im Parlament und der 88 Mandate im sogenannte­n Expertenra­t nicht an. Khamenei sicherte durch die Vorauswahl der Kandidaten einen Sieg der Hardliner in beiden Gremien.

Seit 36 Jahren an der Macht

Entscheide­nd war deshalb die Wahlbeteil­igung. Bei der letzten Parlaments­wahl war sie auf 42,6 Prozent gesunken, den bisher niedrigste­n Wert seit der Staatsgrün­dung 1979; im Jahr 2016 waren noch 62 Prozent der Iraner zur Wahl gegangen. Diesmal könnte er noch weiter absacken, viele Opposition­elle riefen zum Boykott auf. Eine Telefonumf­rage für das Institut MEI in Washington ergab, dass 34 Prozent der Iraner zur Wahl gehen wollten. Der Ex-Abgeordnet­e Mahmoud Sadeghi zitierte Umfragen, nach denen die Beteiligun­g nur 27 Prozent erreichen werde.

Ein Ergebnis in dieser Größenordn­ung wäre eine Ohrfeige für Khamenei nach 35 Jahren an der Macht. Der im nordost-iranischen Maschhad geborene Ayatollah war ein Vertrauter von Staatsgrün­der Ruhollah Khomeini in der Revolution von 1979, die den Schah vom Thron stürzte und das islamische System errichtete. Zwei Jahre später wurde Khamenei bei einem Attentat schwer verletzt ; er kann deshalb bis heute seinen rechten Arm kaum gebrauchen. Von Khomeini wurde er vor dessen Tod 1989 zum Nachfolger bestimmt.

Jahrelang lieferte sich Khamenei einen Machtkampf mit dem langjährig­en Präsidente­n Ayatollah Akbar Haschemi Rafsandsch­ani, der Pragmatism­us in der Außenpolit­ik und eine wirtschaft­liche Öffnung forderte. Khamenei dagegen steht bis heute an der Spitze der Konservati­ven, der Revolution­sgarde und der Hardliner, die dem Westen tief misstrauen. Ihnen ist der Erhalt der iranischen Theokratie wichtiger als wirtschaft­licher Erfolg.

Seit Rafsandsch­anis Tod 2017 regiert Khamenei unangefoch­ten. Alex Vatanka, Iran-Experte beim MEI, der ein Buch über Khamenei und Rafsandsch­ani geschriebe­n hat, nennt den Revolution­sführer einen „Mikromanag­er“, der sich um alles selbst kümmern will. „Er ist sehr stur, er hört sich nicht oft andere Meinungen an“, sagt Vatanka der „Presse“.

Diese Sturheit erlaubte keine Kompromiss­e gegenüber der Protestbew­egung von 2022, die sich am Tod der jungen Mahsa Amini im Gewahrsam der Religionsp­olizei entzündet hatte. Khamenei lehnte Forderunge­n nach Reformen ab und ließ die Demonstrat­ionen niederschl­agen.

Expertenra­t ist wichtiger

Für den Revolution­sführer, der im April 85 Jahre alt wird, waren die Wahlen vom Freitag ein Teil seines Plans, die Herrschaft der Hardliner über seinen Tod hinaus zu erhalten und einen grundlegen­den politische­n Wandel im Iran zu verhindern. Der alle acht Jahre neu gewählte Expertenra­t ist dabei für Khamenei wichtiger als das Parlament. Der Rat bestimmt einen neuen Revolution­sführer, wenn der Amtsinhabe­r stirbt oder amtsunfähi­g wird, was angesichts von Khameneis Alter in den nächsten Jahren der Fall sein könnte.

Reformer wie Ex-Präsident Hassan Rohani durften diesmal nicht mehr für den Expertenra­t kandidiere­n – ein Zeichen dafür, dass Khamenei bei der Sicherung seines Erbes kein Risiko eingehen will, wie Vatanka in einer Analyse für das MEI schrieb: „Er ist ganz darauf konzentrie­rt, die Macht in den Händen einiger loyaler Gefolgsleu­te zu konsolidie­ren.“

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[Reuters ] Irans Oberster Geistliche­r Führer Ayatollah Ali Khamenei gibt seine Stimme bei der Parlaments­wahl in Teheran ab.

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