Der stille Protest gegen Khamenei
Bei der Parlamentswahl erwarteten Meinungsforscher eine äußerst geringe Beteiligung. Ein Boykott kommt einem Misstrauensvotum gegen Revolutionsführer Ali Khamenei gleich.
Kaum öffneten am Freitagmorgen im Iran die Wahllokale, erschien Revolutionsführer Ali Khamenei zur Stimmabgabe. Der 84-Jährige rief die 61 Millionen Iraner auf, ebenfalls zur Wahl zu gehen: Die Welt schaue auf das Land, sagte er. Bei dem Appell ging es Khamenei aber nicht so sehr um das internationale Image der Islamischen Republik, sondern vor allem um sich selbst und sein Regime: Die Wahlen sollen ihm dabei helfen, seine Nachfolge zu regeln. Eine Mehrheit der Iraner will dabei nicht mitmachen. Umfragen sagten ein neues Rekordtief bei der Wahlbeteiligung voraus.
Wie Khamenei versuchte auch Präsident Ebrahim Raisi, Wähler an die Urnen zu bringen. Die Wahlen seien ein Symbol der nationalen Einheit, sagte Raisi. Viele Wähler sehen allerdings ein Gegeneinander von Volk und Regierung: Die Wahlen waren die ersten seit der Niederschlagung der landesweiten Massenproteste vor zwei Jahren und fanden inmitten einer Wirtschaftskrise mit hoher Inflation und explodierenden Preisen für Grundnahrungsmittel wie Brot, Fleisch und Reis statt.
Erste Ergebnisse werden am Samstag erwartet, doch eine politische Richtungsentscheidung stand bei der Neubestimmung der 290 Sitze im Parlament und der 88 Mandate im sogenannten Expertenrat nicht an. Khamenei sicherte durch die Vorauswahl der Kandidaten einen Sieg der Hardliner in beiden Gremien.
Seit 36 Jahren an der Macht
Entscheidend war deshalb die Wahlbeteiligung. Bei der letzten Parlamentswahl war sie auf 42,6 Prozent gesunken, den bisher niedrigsten Wert seit der Staatsgründung 1979; im Jahr 2016 waren noch 62 Prozent der Iraner zur Wahl gegangen. Diesmal könnte er noch weiter absacken, viele Oppositionelle riefen zum Boykott auf. Eine Telefonumfrage für das Institut MEI in Washington ergab, dass 34 Prozent der Iraner zur Wahl gehen wollten. Der Ex-Abgeordnete Mahmoud Sadeghi zitierte Umfragen, nach denen die Beteiligung nur 27 Prozent erreichen werde.
Ein Ergebnis in dieser Größenordnung wäre eine Ohrfeige für Khamenei nach 35 Jahren an der Macht. Der im nordost-iranischen Maschhad geborene Ayatollah war ein Vertrauter von Staatsgründer Ruhollah Khomeini in der Revolution von 1979, die den Schah vom Thron stürzte und das islamische System errichtete. Zwei Jahre später wurde Khamenei bei einem Attentat schwer verletzt ; er kann deshalb bis heute seinen rechten Arm kaum gebrauchen. Von Khomeini wurde er vor dessen Tod 1989 zum Nachfolger bestimmt.
Jahrelang lieferte sich Khamenei einen Machtkampf mit dem langjährigen Präsidenten Ayatollah Akbar Haschemi Rafsandschani, der Pragmatismus in der Außenpolitik und eine wirtschaftliche Öffnung forderte. Khamenei dagegen steht bis heute an der Spitze der Konservativen, der Revolutionsgarde und der Hardliner, die dem Westen tief misstrauen. Ihnen ist der Erhalt der iranischen Theokratie wichtiger als wirtschaftlicher Erfolg.
Seit Rafsandschanis Tod 2017 regiert Khamenei unangefochten. Alex Vatanka, Iran-Experte beim MEI, der ein Buch über Khamenei und Rafsandschani geschrieben hat, nennt den Revolutionsführer einen „Mikromanager“, der sich um alles selbst kümmern will. „Er ist sehr stur, er hört sich nicht oft andere Meinungen an“, sagt Vatanka der „Presse“.
Diese Sturheit erlaubte keine Kompromisse gegenüber der Protestbewegung von 2022, die sich am Tod der jungen Mahsa Amini im Gewahrsam der Religionspolizei entzündet hatte. Khamenei lehnte Forderungen nach Reformen ab und ließ die Demonstrationen niederschlagen.
Expertenrat ist wichtiger
Für den Revolutionsführer, der im April 85 Jahre alt wird, waren die Wahlen vom Freitag ein Teil seines Plans, die Herrschaft der Hardliner über seinen Tod hinaus zu erhalten und einen grundlegenden politischen Wandel im Iran zu verhindern. Der alle acht Jahre neu gewählte Expertenrat ist dabei für Khamenei wichtiger als das Parlament. Der Rat bestimmt einen neuen Revolutionsführer, wenn der Amtsinhaber stirbt oder amtsunfähig wird, was angesichts von Khameneis Alter in den nächsten Jahren der Fall sein könnte.
Reformer wie Ex-Präsident Hassan Rohani durften diesmal nicht mehr für den Expertenrat kandidieren – ein Zeichen dafür, dass Khamenei bei der Sicherung seines Erbes kein Risiko eingehen will, wie Vatanka in einer Analyse für das MEI schrieb: „Er ist ganz darauf konzentriert, die Macht in den Händen einiger loyaler Gefolgsleute zu konsolidieren.“