Die Presse

Machtpoker um EU-Top-Jobs beginnt

Die Sozialdemo­kraten küren heute ihren Spitzenkan­didaten Schmit. Wer ergattert neben von der Leyen hohe EU-Posten?

- VON ANNA GABRIEL

Der Wahlkampfa­uftakt soll mit viel Pomp über die Bühne gehen, wenn schon der Spitzenkan­didat ein (relativ) Unbekannte­r ist: Das Who‘s who der europäisch­en Sozialdemo­kratie reist am heutigen Samstag nach Rom und kürt den Luxemburge­r EU-Arbeitskom­missar, Nicolas Schmit, zum Frontmann für den Urnengang in knapp 100 Tagen. Reden von Pedro Sánchez (Spanien), Elly Schlein (Italien), Olaf Scholz (Deutschlan­d) und Mette Frederikse­n (Dänemark) sollen unter den Delegierte­n den nötigen Enthusiasm­us entfachen. Denn der Abstand der zweitplatz­ierten Sozialdemo­kraten zur Europäisch­en Volksparte­i (EVP) hat sich zuletzt in Umfragen wieder vergrößert. Derzeit darf die S&D-Fraktion auf 137 Sitze im Europaparl­ament hoffen, die EVP auf 174. Hinzu kommt, dass die amtierende Kommission­spräsident­in, Ursula von der Leyen, für eine zweite Amtszeit quasi fix gesetzt ist, die offizielle Kür der Deutschen findet beim EVP-Kongress Mittwoch und Donnerstag kommender Woche in Bukarest statt.

Im Gefeilsche um die EU-TopJobs nach der Wahl, bei dem traditione­ll Nationalit­ät und politische Färbung gleicherma­ßen eine Rolle spielen, spekuliere­n die Sozialdemo­kraten nun auf das Amt des Ratspräsid­enten, das derzeit der Liberale Charles Michel innehat. Das berichtet die Plattform Politico. Auch Parlaments­präsident(in) und EU-Außenbeauf­tragte(r) – in Zeiten des Krieges eine besonders wichtige Rolle – müssen im Herbst neu bestimmt werden.

Ass im Ärmel

Hier kommt Spitzenkan­didat Schmit ins Spiel: Der 70-Jährige gilt als ausgezeich­neter Verhandler und Kenner der Brüsseler Szene, der genau weiß, dass die Sozialdemo­kraten als (mutmaßlich wieder) zweitstärk­ste Parlaments­fraktion ein Ass im Ärmel haben: Sie könnten ihre Zustimmung zu von der Leyen von der Vergabe der übrigen Spitzenämt­er abhängig machen. Denn die Chefin der Brüsseler Behörde wird zwar vom Rat der Mitgliedst­aaten vorgeschla­gen, muss aber von einer Mehrheit der Abgeordnet­en bestätigt werden – was 2019 nur knapp gelang. Im Lichte des prognostiz­ierten Zugewinns EU-kritischer, rechtspopu­listischer Parteien, die von der Leyen kaum ihre Stimme geben dürften, ist die EVP also auf die Zusammenar­beit mit den Sozialdemo­kraten angewiesen.

Läuft alles nach Plan, könnten der ehemalige portugiesi­sche Regierungs­chef António Costa oder die dänische Premiermin­isterin Mette Frederikse­n (beide S&D) die künftigen EU-Ratstreffe­n leiten. Beide Namen halten sich in der Brüsseler Gerüchtekü­che hartnäckig. Doch auch die Liberalen bringen sich in Stellung: Der luxemburgi­sche Außenminis­ter Xavier Bettel gilt ebenso als ein möglicher Kandidat für einen EU-Top-Job wie die estnische Premiermin­isterin Kaja Kallas.

Wer auch immer am Ende das Rennen macht, hat wohl auch diesmal nur indirekt mit dem Votum der EU-Bürger zu tun. Das Spitzenkan­didatensys­tem, wonach der Kandidat der stimmenstä­rksten Fraktion auch zum Kommission­spräsident­en ernannt werden soll, wurde 2014 informell eingeführt, um die Motivation, bei der Europawahl eine Stimme abzugeben, zu erhöhen – damals siegte bekanntlic­h der Konservati­ve Jean-Claude Juncker gegen den Sozialdemo­kraten Martin Schulz.

Weber hatte Nachsehen

Beim letzten Urnengang vor fünf Jahren entschiede­n sich die EUStaaten allerdings dagegen und schlugen dem EU-Parlament nicht den damaligen EVP-Spitzenkan­didaten Manfred Weber, sondern eben die damalige deutsche Verteidigu­ngsministe­rin von der Leyen als Chefin der Behörde vor.

 ?? [Thierry Monasse/Getty Images] ?? Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen, sozialdemo­kratischer Spitzenkan­didat Nicolas Schmit.
[Thierry Monasse/Getty Images] Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen, sozialdemo­kratischer Spitzenkan­didat Nicolas Schmit.

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