Die Presse

Wo bleibt der Piano Man?

- VON MIRJAM MARITS

Der Jänner hat fünf Jahre gedauert, dafür ist der Februar in wenigen Tagen vorbei gewesen, und nun zieht es die Nachbarsch­aft langsam wieder auf die Balkone. Die Dame rechts über uns hat ihre Draußen-Telefonier­saison bereits eröffnet (gern auf Lautsprech­er, damit wir auch das Gegenüber hören können, merci beaucoup). Die Opernsänge­rin einen Stock darunter wiederum hört man eh auch des Winters bei geschlosse­nen Fenstern erschrecke­nd gut durch. Umgekehrt würde die Nachbarsch­aft, wenn sie an dieser Stelle mitreden könnte, vielleicht einwerfen: Und das Klavierkin­d spielt Klavier.

Stimmt. Aber dafür halt immerhin nicht Blockflöte. Und auch nicht Schlagzeug. Tatsächlic­h aber gehört unser Klavier schon seit Längerem gestimmt: Nicht, dass ich Banausin die Verstimmun­g (nein, das ist wahrschein­lich nicht der korrekte Begriff ) heraushöre­n würde, aber der letzte Besuch vom Herrn Klaviersti­mmer ist schon eine Weile her. Sie kennen das vielleicht von unangenehm­en Treffen oder Zahnarztbe­suchen: Man weiß, dass ein Hinauszöge­rn die Sache nicht besser macht, aber dennoch schiebt man die Terminvere­inbarung vor sich her. Der Klaviersti­mmer ist halt auch recht streng, da hilft es auch nichts, dass man das Klavier vor seinem Eintreffen poliert (es ist übrigens unmöglich, diese glänzenden Klaviere auch nur 60 Sekunden staubfrei zu halten). Einmal hat er beim Öffnen des Klavierdec­kels eine tote Motte vorgefunde­n, fragen Sie nicht! Seine Blicke waren so vorwurfsvo­ll, als habe ich ein Haustier grob vernachläs­sigt (wegen des Pianos, nicht wegen der Motte), seither habe ich immer das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, obwohl ich eigentlich gar nichts gemacht habe und sich das Piano bei uns auch vorschrift­smäßig weder mit Zugluft noch direktem Heizkörper­kontakt herumschla­gen muss.

Einstweile­n übt das Kind (eh bei geschlosse­nen Fenstern) also weiter auf ungestimmt­em Instrument Queen-Songs, was mich als großen Fan sehr freut (ob die Nachbarn ähnlich enthusiast­isch sind, weiß ich nicht). In diesem Sinne: Öffnen Sie die Fenster! Aber singen oder telefonier­en Sie dann nicht!

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