Festwochen mit „Volksprozessen“
Die Wiener Festwochen rufen eine „Freie Republik“aus und halten „Wiener Prozesse“ab. Ein doch etwas anstößiges Spiel in der Grauzone zwischen Kultur und Politik.
Steht auf, steht auf, ihr Töchter und ihr Söhne! Steht auf, steht auf, für aller Menschen Recht, lasst den Faschisten keine Chance, und wehrt den Anfängen wie felsenfest!“Diese Zeilen sind die erste Strophe der Hymne der Freien Republik, als die sich die Wiener Festwochen ab heuer verstehen. So wurden sie zum Abschluss von deren Programmpressekonferenz gesungen, angeleitet von einem Trupp junger Menschen mit rot und grün vermummten Gesichtern, zur Gitarre und im Stehen, wie es sich gehört.
Dieses kleine Revolutionstheater, aufgeführt originellerweise im Hotel Imperial vor einem Spruchband mit der Losung „Ihr wollt es doch auch“, hatte natürlich einen leicht selbstironischen Touch, befördert durch ungelenke Zeilen wie „Nur die Weite ist der Freiheit Schmaus“. Zugleich mag sie Sensible verstört haben, die sich bei Volkserhebungen mit gereckten Fäusten (solche sah man etliche beim Absingen der Hymne) unwohl fühlen. Beide Wirkungen kann die gesamte Inszenierung der seit heuer von Milo Rau verantworteten Festwochen zeitigen, sie ist geradezu darauf angelegt, spielt damit.
Auch Yanis Varoufakis wird Rat
Die Freie Republik, die am 17. Mai zur Eröffnung der Festwochen am Rathausplatz ausgerufen werden soll, hat durchaus nicht den
Charakter einer westlichen repräsentativen Demokratie, sondern erinnert an eine Räterepublik. Schon durch die Nomenklatur: Gelenkt wird sie durch einen „Rat der Republik“, der sich aus zwei Gruppen zusammensetzt. Erstens 31 von oben, also von der Festwochenleitung, bestimmten Mitgliedern, darunter neben Autorinnen wie Elfriede Jelinek und Annie Ernaux der mit Che Guevara und Gaddafi sympathisierende Schweizer Soziologe Jean Ziegler, der ehemalige griechische Außenminister Yanis Varoufakis – derzeit auch als Erstunterzeichner der Petition zum Ausschluss Israels von der Biennale Venedig im Gespräch – und die Aktivistin Carola Rackete. Eine politisch nicht perfekt ausgewogene Auswahl. Dazu sollen allerdings 69 Vertreter der 23 Wiener Bezirke kommen, die, wie Milo Rau verspricht, repräsentativ für die Bevölkerung sein sollen, also etwa auch Parteigänger der FPÖ.
FPÖ-Verbot wird debattiert
Diese Partei und die Frage, ob sie verboten werden solle, wird im Fokus eines von drei „Wiener Prozessen“stehen, die im Odeon stattfinden sollen, geleitet von echten Juristen wie Irmgard Griss und Alfred Noll. Die Prozesse seien ergebnisoffen, betont Milo Rau, es könne sogar herauskommen, dass andere oder gar alle Parteien außerhalb des Verfassungsbogens stehen. Im zweiten Prozess soll der Umgang mit Corona aufgearbeitet werden, im dritten geht es um „Heuchelei der Gutmeinenden“, aber auch um linken Antisemitismus, in diesem Prozess will sich auch Rau selbst anklagen lassen.
Es sollen jedenfalls „Volksprozesse“mit wirklichen Urteilen sein, wie immer man sich das vorstellen will. Man sehe die Anklage als „emanzipatives Projekt“, erklärte Noll auf Anfrage dunkel. Der Publizist und Buchautor Robert Misik, der dieses FestwochenProgramm organisiert, verspricht immerhin, dass dort keine hetzerische Schauprozessstimmung aufkommen soll. Man habe mit FPÖ-Vertretern eine gute Gesprächsbasis, bei den „Zürcher Prozessen“, die Rau in Zürich bereits abgehalten hat, sei die Zeitung „Weltwoche“wegen Verhetzung angeklagt gewesen, doch freigesprochen worden.
Zum Abschluss des ersten Jahres der Freien Republik soll eine Verfassung beschlossen werden, die ein „konkretes Regelwerk für das Festival der Zukunft“sein soll. Verlesen wird sie am 23. Juni im „Haus der Republik“, als welches das Volkskundemuseum in der Josefstadt dienen soll. Dieses sowie die dort ansässige Freie Republik arbeiten mit vielen Vereinen zusammen, darunter die Letzte Generation, Fridays for Future Austria, Extinction Rebellion Wien, Klimavolksbegehren usw. usf. Zumindest um die Repräsentation der Klimaschutzaktivisten muss man sich in dieser Kunstrepublik also keine Sorgen machen.