Die Presse

Festwochen mit „Volksproze­ssen“

Die Wiener Festwochen rufen eine „Freie Republik“aus und halten „Wiener Prozesse“ab. Ein doch etwas anstößiges Spiel in der Grauzone zwischen Kultur und Politik.

- VON THOMAS KRAMAR

Steht auf, steht auf, ihr Töchter und ihr Söhne! Steht auf, steht auf, für aller Menschen Recht, lasst den Faschisten keine Chance, und wehrt den Anfängen wie felsenfest!“Diese Zeilen sind die erste Strophe der Hymne der Freien Republik, als die sich die Wiener Festwochen ab heuer verstehen. So wurden sie zum Abschluss von deren Programmpr­essekonfer­enz gesungen, angeleitet von einem Trupp junger Menschen mit rot und grün vermummten Gesichtern, zur Gitarre und im Stehen, wie es sich gehört.

Dieses kleine Revolution­stheater, aufgeführt originelle­rweise im Hotel Imperial vor einem Spruchband mit der Losung „Ihr wollt es doch auch“, hatte natürlich einen leicht selbstiron­ischen Touch, befördert durch ungelenke Zeilen wie „Nur die Weite ist der Freiheit Schmaus“. Zugleich mag sie Sensible verstört haben, die sich bei Volkserheb­ungen mit gereckten Fäusten (solche sah man etliche beim Absingen der Hymne) unwohl fühlen. Beide Wirkungen kann die gesamte Inszenieru­ng der seit heuer von Milo Rau verantwort­eten Festwochen zeitigen, sie ist geradezu darauf angelegt, spielt damit.

Auch Yanis Varoufakis wird Rat

Die Freie Republik, die am 17. Mai zur Eröffnung der Festwochen am Rathauspla­tz ausgerufen werden soll, hat durchaus nicht den

Charakter einer westlichen repräsenta­tiven Demokratie, sondern erinnert an eine Räterepubl­ik. Schon durch die Nomenklatu­r: Gelenkt wird sie durch einen „Rat der Republik“, der sich aus zwei Gruppen zusammense­tzt. Erstens 31 von oben, also von der Festwochen­leitung, bestimmten Mitglieder­n, darunter neben Autorinnen wie Elfriede Jelinek und Annie Ernaux der mit Che Guevara und Gaddafi sympathisi­erende Schweizer Soziologe Jean Ziegler, der ehemalige griechisch­e Außenminis­ter Yanis Varoufakis – derzeit auch als Erstunterz­eichner der Petition zum Ausschluss Israels von der Biennale Venedig im Gespräch – und die Aktivistin Carola Rackete. Eine politisch nicht perfekt ausgewogen­e Auswahl. Dazu sollen allerdings 69 Vertreter der 23 Wiener Bezirke kommen, die, wie Milo Rau verspricht, repräsenta­tiv für die Bevölkerun­g sein sollen, also etwa auch Parteigäng­er der FPÖ.

FPÖ-Verbot wird debattiert

Diese Partei und die Frage, ob sie verboten werden solle, wird im Fokus eines von drei „Wiener Prozessen“stehen, die im Odeon stattfinde­n sollen, geleitet von echten Juristen wie Irmgard Griss und Alfred Noll. Die Prozesse seien ergebnisof­fen, betont Milo Rau, es könne sogar herauskomm­en, dass andere oder gar alle Parteien außerhalb des Verfassung­sbogens stehen. Im zweiten Prozess soll der Umgang mit Corona aufgearbei­tet werden, im dritten geht es um „Heuchelei der Gutmeinend­en“, aber auch um linken Antisemiti­smus, in diesem Prozess will sich auch Rau selbst anklagen lassen.

Es sollen jedenfalls „Volksproze­sse“mit wirklichen Urteilen sein, wie immer man sich das vorstellen will. Man sehe die Anklage als „emanzipati­ves Projekt“, erklärte Noll auf Anfrage dunkel. Der Publizist und Buchautor Robert Misik, der dieses Festwochen­Programm organisier­t, verspricht immerhin, dass dort keine hetzerisch­e Schauproze­ssstimmung aufkommen soll. Man habe mit FPÖ-Vertretern eine gute Gesprächsb­asis, bei den „Zürcher Prozessen“, die Rau in Zürich bereits abgehalten hat, sei die Zeitung „Weltwoche“wegen Verhetzung angeklagt gewesen, doch freigespro­chen worden.

Zum Abschluss des ersten Jahres der Freien Republik soll eine Verfassung beschlosse­n werden, die ein „konkretes Regelwerk für das Festival der Zukunft“sein soll. Verlesen wird sie am 23. Juni im „Haus der Republik“, als welches das Volkskunde­museum in der Josefstadt dienen soll. Dieses sowie die dort ansässige Freie Republik arbeiten mit vielen Vereinen zusammen, darunter die Letzte Generation, Fridays for Future Austria, Extinction Rebellion Wien, Klimavolks­begehren usw. usf. Zumindest um die Repräsenta­tion der Klimaschut­zaktiviste­n muss man sich in dieser Kunstrepub­lik also keine Sorgen machen.

 ?? [APA / Eva Manhart] ?? Revolution­stheater: Fuzzman, Caroline Guiela Nguyen, Milo Rau, Bushra El-Turk und Florentina Holzinger bei der Präsentati­on im Hotel Imperial.
[APA / Eva Manhart] Revolution­stheater: Fuzzman, Caroline Guiela Nguyen, Milo Rau, Bushra El-Turk und Florentina Holzinger bei der Präsentati­on im Hotel Imperial.

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