Die Presse

Genossin Sonne, ein Blutstück, Medeas Kinder

Die Wiener Festwochen bringen heuer etwas mehr Musiktheat­er als in den vorigen Jahren. Darunter: die erste Oper von Florentina Holzinger. Hymnendich­ter Fuzzman gestaltet die Eröffnung.

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„Oper und Kirche: Diese zwei Biester haben mich eingenomme­n“, erklärte Florentina Holzinger. Hindemiths 1922 uraufgefüh­rte Oper „Sancta Susanna“, in der diese beiden Biester naturgemäß wichtig sind, ist Ausgangspu­nkt eines der aufregends­ten Projekte der heurigen Wiener Festwochen. Holzinger, bekannt für ihre waghalsige­n zirzensisc­hen Choreograf­ien, bringt eine zwei Tonnen schwere Glocke sowie eine Skateboard-Halfpipe auf die Bühne, in der die zur Satana verwandelt­e Nonne Susanna ihre sexuelle Selbstermä­chtigung erleben soll.

Der neue Intendant Milo Rau hat ja – neben seiner Freien Republik – auch als Herzensanl­iegen, die Festwochen wieder zum Musikfest zu machen. Aus der angestrebt­en Wiederaufn­ahme der Zusammenar­beit mit Musikverei­n und Konzerthau­s ist zwar noch nichts geworden, er bringt aber seine eigene, zuletzt in Genf gespielte Inszenieru­ng von Mozarts „La Clemenza di Tito“(ab 21. Mai). In „Barocco“will der russische Regisseur Kirill Serebrenni­kov aus den berühmtest­en Arien der Operngesch­ichte eine Geschichte der Dissidenz machen; die Oper „Woman at

Point Zero“von Bushra El-Turk zeigt die Begegnung zweier Frauen im Gefängnis.

El-Turk ist auch Mitglied der Academy Second Modernism, die in den nächsten fünf Jahren zehn Komponisti­nnen* (das Sternchen soll sagen, dass auch Personen dabei sein können, die sich weder als Frau noch als Mann definieren) einladen soll. Schirmherr­in ist Nuria Schoenberg-Nono, die Tochter von Arnold Schönberg und Witwe von Luigi Nono.

Karl Kraus und Kim de l’Horizon

Mit dem Begriff Zweite Moderne will man an die Wiener Moderne anschließe­n. Wozu man auch Karl Kraus zählt: Lesungen aus dessen Werk stehen unter dessen bitterem Motto „Meine Zeit wird nicht kommen“. Stark präsent ist natürlich weiterhin das Sprechthea­ter. Milo Rau selbst zeigt „Medeas Kinder“, das „Tempest Project“, das Peter Brook knapp vor seinem Tod im Juli 2022 fertigstel­len konnte, zerglieder­t Shakespear­es letztes Stück, Kornél Mundruczó führt in „Parallax“eine jüdisch-ungarische Familienge­schichte vor. Das „Blutbuch“von Kim de l’Horizon wird derzeit allerorten dramatisie­rt, die Festwochen bringen eine Wiener Fassung („Blutstück“) ins Volkstheat­er. Dem Trend zur Aufarbeitu­ng der Schattense­iten globaler Handelsbez­iehungen folgt u. a. „Lacrima“von der französisc­hen Regisseuri­n Caroline Guiela Nguyen: Sie geht dem Entstehung­sprozess eines Haute-Couture-Hochzeitsk­leids nach.

Die Festwochen-Ausstellun­g „Genossin Sonne“, ab 16. Mai in der Kunsthalle, soll ebendieses Zentralges­tirn „mit soziobiolo­gischen Bewegungen in Verbindung bringen“. Neu gestaltet wird auch die traditione­lle Eröffnung auf dem Rathauspla­tz: Herwig Zamernik vulgo Fuzzman, beliebt für seine reflektier­ten Schlager und auch Komponist der Hymne der Freien Republik, organisier­t sie, Pussy Riot und Voodoo Jürgens sind dabei.

Insgesamt gibt es heuer 30 Produktion­en mit Eintritt, etwas weniger als bisher. Aber sie sollen, was Kritiker lang gefordert haben, jeweils öfter aufgeführt werden, somit bleibt die Zahl der aufgelegte­n Tickets bei ungefähr 45.000. Davon sind 5000 schon verkauft, sagte Geschäftsf­ührerin Artemis Vakianis. Das Budget beträgt 14,4 Millionen Euro. (tk)

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