Kulturelle Highlights im Jüdischen Museum Wien
Die Ausstellungen des Jüdischen Museums Wien laden ein, die jüdische Geschichte Wiens zu entdecken, und bieten Einblicke in universelle Themen wie Fürsorge und Erinnerung.
Das Jüdische Museum Wien ist das erste jüdische Museum der Welt und bewahrt eine der größten und bedeutendsten Judaica-Sammlungen. Mit seinen Wechselausstellungen an den zwei Standorten setzt es neue Maßstäbe in der Wiener Museumslandschaft.
Who Cares?
Wer sorgt sich wann um wen? Und um wen kümmert sich niemand? Die Ausstellung „Who Cares? Jüdische Antworten auf Leid und Not“fokussiert auf das, was unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält: menschliche Empathie und Solidarität. Sie führt auf eine Reise von den biblischen Ursprüngen des Helfens bis ins Wien der Jetztzeit und widmet sich in einem breiten Bogen sowohl der jüdischen Dimension von Care als auch den Menschen, die sich für andere einsetzten.
Künstlerische Annäherungen an das Thema stellen zu Beginn die vier Säulen des Care-Gedankens vor: das psychische, medizinische, soziale und ökologische Care. Der historische Teil der Ausstellung setzt anschließend mit den Prinzipien der „Zedaka“(Wohltätigkeit) und des „Tikun Olam“(Reparatur der Welt) im Judentum fort. Objekte des ältesten jüdischen Wohltätigkeitsvereins in Wien, der Chewra Kadischa (Beerdigungsbruderschaft), dokumentieren etwa, dass gemeindliches Zusammenleben ohne Organisationen, die sich Schwachen und Bedürftigen widmen, nicht denkbar ist.
Relevanz der Psyche
Über volksmedizinische Objekte, die neben jüdischen Amuletten zur Abwehr böser Geister auch wertvolle Objekte aus geistlichen Schatzkammern zeigen, widmet sich die Ausstellung der Entwicklung der Psychologie und damit Persönlichkeiten wie Sigmund Freud oder der Individualpsychologin Margarete Hilferding.
Psychische Leiden nicht mehr als Abnormität, sondern als Krankheit zu begreifen, stellte dabei einen wesentlichen Schritt hin zu einem
modernen Gesundheits- und Sozialsystem dar.
Ein großes Kapitel ist schließlich der medizinischen Forschung und deren jüdischen Protagonist:innen im Wien des 19. und frühen 20. Jh. gewidmet. Dabei werden nicht nur bekannte Ärzte, wie etwa der Ohrenarzt Adam Politzer, und deren Innovationen vorgestellt, sondern immer auch nach der oft übersehenen Rolle von Frauen in der Care-Arbeit gefragt: sei es bei der Gynäkologin Bianca Bienenfeld oder bei Henriette Weiss, der Begründerin einer jüdischen Krankenschwesternschule.
Vorreiter in Fürsorge
Armut und Not waren im Wien der Jahrhundertwende allgegenwärtig. Dennoch entwickelte sich die Stadt zu einem Zentrum medizinischer Forschung und einem Vorreiter in der sozialen Fürsorge. Beispiele wie
das „Tröpferlbad“, der Erste-HilfeKoffer des Arbeitersamariterbundes sowie der Damiani-Rauchanzug
aus Hirschleder bieten Einblicke in die Anfänge der allgemeinen Hilfsorganisationen und Vereine, die sich um das Wohl der Bevölkerung bemühten. Die Fotoserie „Jüdisches Elend in Wien“des Journalisten Bruno Frei und die zahlreichen sozialen Einrichtungen der jüdischen Gemeinde Wiens verweisen hingegen auf die Hilfsbedürftigkeit der jüdischen Bevölkerung, die durch Zuwanderung aus den östlichen Teilen der Habsburgermonarchie im Ersten Weltkrieg stark angewachsen war.
Der Nationalsozialismus stellt auch in Bezug auf jüdische Hilfsorganisationen eine Zäsur dar. Jüdischen Ärzten wurde die Berufserlaubnis entzogen und nur wenige durften sich um jüdische Kranke kümmern. Die Fürsorgestelle der Israelitischen Kultusgemeinde war mit der Zahl der Bedürftigen überfordert. Aber selbst in dieser Zeit waren Einzelpersonen bereit, auch unter Gefährdung ihres eigenen Lebens, anderen zu helfen. Franzi Löw kümmerte sich bis zuletzt um jüdische Kinder, Aron Menczer sorgte mit der Jugendaliah dafür, dass viele fliehen konnten, bevor er selbst in Auschwitz ermordet wurde.
Aktuelle Nächstenliebe
„Who Cares?“spannt damit einen weiten Bogen der Hilfe und Fürsorge, an die gerade in Zeiten von Krieg, Terrorismus und Klimawandel nicht oft genug erinnert werden kann.
Die Ausstellung fragt nicht nur nach den Menschen hinter sozialer, psychischer und medizinischer Hilfe und Pflege, sondern stellt auch immer wieder die Frage an uns: Kümmern wir uns um andere? „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ist als Essenz der Tora auf einem Objekt zu lesen – eine Aufforderung, die auch heute ganz besonders aktuell ist.