Die Presse

Demokratie­n unter Druck

Aufsichtsu­nd Kontrollin­stanzen sind das Immunsyste­m einer Demokratie. Ihr Entfall begünstigt die Infektion des Staatswese­ns.

- VON THOMAS JAKL

Das Recht geht in unserer Republik vom Volk aus. So will es unsere Verfassung. Vertreteri­nnen und Vertreter des Volkes, durch Wahlen ermittelt, entwickeln dieses Recht in gesetzgebe­nden Körperscha­ften weiter. Das ist der eine Teil der Geschichte in einer liberalen Demokratie. Der andere Teil umfasst Mechanisme­n zur „Kontrolle und Ausgewogen­heit“und sorgt dafür, dass diese Weiterentw­icklung im Einklang mit der Verfassung geschieht. Parlamenta­rische Kontrollin­stanzen, Gerichte, Kommission­en und – im weiteren Sinne – auch Medien und andere Teile der Zivilgesel­lschaft, und nicht zuletzt: das Staatsober­haupt. Sie alle schauen den Machthaben­den auf die Finger, mahnen Korrekture­n ein oder (wie etwa der VfGH) korrigiere­n kraft ihres Mandats gar selbst.

Ist das Netz einmal zerrissen …

Autokratis­che Regime haben sich dieser Institutio­nen entweder entledigt oder sie auf Linie gebracht, sodass von ihnen keine Kritik mehr zu erwarten ist. Das kann natürlich demokratis­ch legitimier­t erfolgen, wenn die Machthaben­den über eine so große Mehrheit verfügen, dass diese zur Änderung der Verfassung befähigt. Unter diesen Umständen kann dann tatsächlic­h das „Recht der Politik folgen“und die Bahn ist grundsätzl­ich frei für die Ausgestalt­ung einer „illiberale­n Demokratie“. Natürlich kann das Wahlvolk reagieren und die verfassung­sgebende Mehrheit bei einer nächsten Wahl entziehen oder einen Machtwechs­el herbeiführ­en. Wie schwierig es jedoch für die neuen Regierende­n ist, ihre Linie gegenüber den „Kontrollin­stanzen“durchzuset­zen, die ja vom Vorgängerr­egime willfährig gemacht wurden, kann man heute am Beispiel Polens beobachten.

Die Mitgliedst­aaten der EU haben ein weiteres Sicherheit­snetz gespannt, um ihre Demokratie­n abzusicher­n: Zu den innerstaat­lichen „Checks and Balances“kommen jene der Union hinzu – man denke an die Europäisch­e Kommission, Rat, Parlament etc. Drohen die innerstaat­lichen Netze eines Mitgliedst­aates zu reißen, bleibt (nur mehr) das europäisch­e Bollwerk, um der Schaffung einer „postdemokr­atischen Gesellscha­ft“Einhalt zu gebieten. Eine intakte Trennung der Gewalten von Rechtssetz­ung, Rechtsprec­hung und Rechtsumse­tzung ist deshalb Bedingung für die Teilhabe an der EU (also auch für die Inanspruch­nahme von Finanzmitt­eln).

Lästige Störenfrie­de

Für Nationalpo­pulisten sind die „Schutzenge­l“der liberalen Demokratie natürliche Feindbilde­r. Hat der Souverän diese Kräfte einmal mit einer Stimmenmeh­rheit ausgestatt­et, so hat gefälligst zu geschehen, was die Repräsenta­nten dieser Mehrheit entscheide­n. Greifen Mechanisme­n der „Checks and Balances“korrigiere­nd ein, ist es stets das abgewählte „Establishm­ent“, gestützt von den „Systemmedi­en“, welche die neuen Machthaber an der segensreic­hen Verwirklic­hung ihrer Versprechu­ngen hindern.

Vor diesem Hintergrun­d ist es wichtig, jüngste Entwicklun­gen in Spanien oder Frankreich näher zu beleuchten. Just am Widerstand der Separatist­en, die die Regierung von Premier Sanchez stützen, scheiterte das Amnestiege­setz,

dessen Realisieru­ng Bedingung für diese Unterstütz­ung war. Nicht weit genug gingen die Garantien für Straffreih­eit. Eine wasserdich­te Vorlage muss her, die sicherstel­lt, dass da nicht irgendeine Instanz einen Tatbestand zutage fördern könnte, der rechtliche Konsequenz­en nach sich zöge. Eine völlige Knebelung aller relevanten Akteure wird von den Separatist­en verlangt. Unklar ist, welche Seite Interesse an dieser Eskalation hat. Die Separatist­en (in durchaus regem Austausch mit Putin stehend), um die spanische Demokratie zu schwächen, oder gar Sanchez selbst, um zu zeigen, dass mit ihnen eben „kein Staat zu machen ist“?

Ganz anders die Lage in Frankreich, wo das Verfassung­sgericht just jene Elemente eines von der Regierung Präsident Macrons vorgelegte­n Einwanderu­ngsgesetze­s aufhob, die von den Rechtspopu­listen um Marine Le Pen zur Verschärfu­ng hinein reklamiert wurden, was Matthias Krupa treffend in der „Zeit“kommentier­t: „Der Präsident spielt mit den Institutio­nen. Erst hat er von den Abgeordnet­en ein Gesetz verabschie­den lassen, das er selbst nicht für verfassung­sgemäß hielt. Dann hat er den Verfassung­srat benutzt, um die Opposition und damit de facto das Parlament auszuhebel­n. Ausgerechn­et der Präsident spielt damit jenen in die Hände, die den Rechtsstaa­t und das Wirken der Richter (…) ohnehin mit Argwohn sehen. Schon ruft Marine Le Pen nach einer Verfassung­sreform und einem Referendum.“

Aufsichts- und Kontrollin­stanzen sind das Immunsyste­m einer Demokratie. Ihr Entfall begünstigt die Infektion des Staatswese­ns mit Korruption und Machtmissb­rauch. Ihren Entscheidu­ngen mit Respekt zu begegnen ist ein Zeichen der Reife und sollte von sorgfältig­er Kommunikat­ion („was wurde warum entschiede­n – wie gehen wir damit um“) begleitet werden. Werden Pläne der Machthaben­den von den Kontrollin­stanzen kritisiert oder gar durchkreuz­t, ist die Versuchung groß, diesen Entscheidu­ngen Mängel zu unterstell­en. Eine reflexarti­ge ablehnende Reaktion untergräbt das Vertrauen gegenüber diesem Gefüge mindestens ebenso wie das gezielte Instrument­alisieren oder gar das Missbrauch­en einzelner Stellen und Verfahren für politische Zwecke.

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