Wenn die Frage nach genügender Kompetenz überflüssig wird
Der Moment, in dem man erkennt, dass die Gräueltaten der Hamas weniger Entsetzen auslösen als die Vergeltung Israels, ein Rückfall in die Barbarei akzeptiert wird.
Heute werde ich mir untreu. Bis jetzt hatte ich immer den Vorsatz, nie einen Meinungsartikel zu verfassen, wenn ich mich nicht ausreichend kompetent gefühlt hatte. Und so war es immer in Bezug auf den Nahen Osten. Auch auf Israel.
Nicht qualifiziert genug trotz der langjährigen Mitarbeit an einer Dokumentation über junge Israelis, die ihr Land aus Frustration über die hohen Lebenshaltungskosten, über die fehlenden Perspektiven auf Frieden, über die täglichen Unsicherheiten verließen. Diese jungen Israelis wanderten ausgerechnet in jene Länder aus, die ihre Großeltern vertrieben, ermordet, erniedrigt haben. Nach Deutschland und Österreich. Die Jungen waren nicht auf der Flucht.
Ich aber fühlte mich auch danach nicht sachkundig genug. Auch nicht nach vielen Aufenthalten in Israel. Nicht berechtigt auch heute. Aber heute zählt nicht Kompetenz, heute zählen Empathie und Entsetzen. Empathie mit den israelischen Opfern des 7.
Oktober 2023, obwohl sie für den Horror an diesem Tag nicht ausreicht. Der Moment, in dem man erkennt : Das war kein Terroranschlag, das war ein Massaker der radikalislamistischen Hamas, das war eine Explosion an Gewalt, die Jahrhunderte an Zivilisation ausradierte – aus purer Lust an Entmenschlichung und Brutalität.
Im Internet kursiert die Aussage eines Hamas-Terroristen bei seiner Vernehmung durch die Israelis. Frage: „Was wollten sie mit ihnen machen?“Antwort: „Was sie eben wollten. Schmutzige Dinge. Vergewaltigen.“Frage: „Und warum haben sie Kinder und Babys genommen?“Antwort: „Um sie zu vergewaltigen.“Für all diese Opfer, die Babys ohne Köpfe, die Kleinkinder ohne Gliedmaßen, die verbrannten Siedler, für all sie reicht die Empathie nicht aus.
Spätestens da setzt das Entsetzen ein, wenn man die Reaktion in vielen zivilisierten Staaten, so auch Österreich, sieht. Nicht die Barbarei der Hamas wird verurteilt, nicht von den verstümmelten Körpern auf dem Gelände des Musikfestivals wird geredet, nicht die Freilassung der verbliebenen über hundert Geiseln, darunter Kleinkinder und Jugendliche, wird verlangt. Offensichtlich wird die humanitäre Katastrophe in Gaza – auch sie forderte in den vergangenen Tagen Todesopfer – in der Propaganda der Hamas jetzt nachträglich auch als Rechtfertigung für die Barbarei vom 7. Oktober verwendet.
In Österreich wird in jedem Interview nach der „Verhältnismäßigkeit“der Reaktion Israels auf diese gefragt. Immer in einem etwas vorwurfsvollen Ton. Was aber ist verhältnismäßig? Wenn Hunderte Israelis in Gaza einfallen und 1139 Palästinenser abschlachten, 5400 verstümmeln? War der Krieg in Afghanistan eine verhältnismäßige Reaktion auf die 3000 Toten vom Anschlag auf das World Trade Center? Macht es womöglich einen Unterschied in der Analyse, ob ein „christlicher“Staat mit Vergeltung und Verteidigung reagiert oder ein jüdischer?
Und warum bitte konfrontiert man nicht in TV-Interviews in Österreich Vertreter arabischer Staaten mit der Frage, wie sie diese humanitäre Katastrophe zulassen können? Warum sie – außer Jordanien mit seiner Million palästinensischer Flüchtlinge aus den Nachkriegsjahren – nicht bereit sind, das Leid der Palästinenser durch Aufnahme in ihre Staaten zu lindern? In keiner der Pro-PalästinenserDemonstrationen der vergangenen Wochen wurden die arabischen Staaten dazu aufgefordert. Vielmehr wurde geistlos der Israel-Auslöschungsslogan der Hamas, „From the River to the Sea, Palestine Will Be Free“, hinausgebrüllt.
Ich muss, so denke ich heute, kein Nahost-Experte sein, um zu wissen: Wenn wir der Vernichtung eines Staats durch andere zustimmen, wenn wir als Zivilgesellschaften die blanke und sinnlose Zerstörungswut wieder als politisches Mittel akzeptieren, dann sind die Kriege in der Ukraine und in Gaza in ihrer Gleichzeitigkeit Vorboten unbeherrschbarer Entwicklungen.
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In Österreich wird in jedem Interview nach der Verhältnismäßigkeit der Reaktion Israels gefragt. … Was aber ist verhältnismäßig?