Die Presse

Warum schmerzen bei einem Wetterwech­sel die Gelenke?

Kälte nimmt der Gelenkflüs­sigkeit ihre Funktion als „Stoßdämpfe­r“. Muskeln, Sehnen und Gelenke verspannen und verfestige­n sich.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT Senden Sie Fragen an wissen@diepresse.com

Wenn sich der ausklingen­de Winter anfühlt wie früher der April, nehmen durch Wetterumsc­hwung verstärkte Beschwerde­n zu. Betroffene suchen zum Beispiel wegen Kopfschmer­zen, Schwindel, Müdigkeit und Schlafstör­ungen Hilfe. „Viele beschreibe­n auch Probleme mit dem Bewegungs- und Stützappar­at“, weiß Richard Crevenna, Leiter der Uniklinik für Physikalis­che Medizin, Rehabilita­tion und Arbeitsmed­izin an der Med-Uni Wien.

Ein Zusammenha­ng derartiger Beschwerde­n mit dem Wetter galt lang als eingebilde­t, die darüber klagenden Menschen als überempfin­dlich. Auch heute wird der von Crevenna favorisier­te Grundsatz „Die Patientin/der Patient hat immer recht“nicht überall ernst genommen. Doch mittlerwei­le haben Studien gezeigt, dass Wetterfühl­igkeit durchaus einen realen Hintergrun­d haben kann. „Die Hauptursac­he dafür scheint der atmosphäri­sche Druck bzw. Luftdruck zu sein“, sagt der Schmerzexp­erte. Kurz bevor das Wetter umschlägt, sinkt der Luftdruck. „Dadurch wirkt weniger atmosphäri­scher Druck und damit Gewicht auf unseren Körper ein, wodurch sich unsere Gewebe ausdehnen. Sie üben Druck und Dehnreize auf unsere Gelenkstru­kturen aus. Das kann zu Schmerzen führen.“

Gelenkflüs­sigkeit wird zäher

Durch Feuchtigke­it und Kälte verspannen und verfestige­n sich Muskeln, Sehnen und Gelenke. Kälte macht die Gelenkflüs­sigkeit zähflüssig­er. „Sie verliert dann ihre abschwäche­nde, dämpfende Funktion als ‚Stoßdämpfe­r‘“, so Crevenna. Deshalb werden Gelenke steifer, die Reibung wird erhöht. Schmerzen und Bewegungse­inschränku­ngen können zunehmen. Allerdings weisen Studien und Metaanalys­en darauf hin, „dass die Einflüsse durch Wetterumsc­hwünge äußerst gering sind. Nur bei Gicht scheint es eindeutige Zusammenhä­nge zu geben“, schränkt er ein.

Plötzlich eintretend­e Feuchtigke­it, Kälte, Wind oder Zug können besonders ältere Patientinn­en und Patienten, chronisch Kranke sowie Menschen mit rheumatolo­gischen Erkrankung­en oder nach Amputation­en zwingen, medizinisc­he Hilfe zu suchen. Denn bei Wetterumsc­hwüngen können „bestehende Gelenkabnu­tzungen und Erkrankung­en vermehrt aktiv werden. Man spricht dann von aktivierte­n Arthrosen“, erklärt der Forscher, der auch Geriater ist und dazu im Bereich der onkologisc­hen Rehabilita­tion an der Med-Uni Verantwort­ung trägt. Bei aktivierte­n Arthrosen kann es „zu Schmerzen, Schwellung­en,

zur Überwärmun­g, Bewegungse­inschränku­ng und Rötungen kommen. Wichtig ist, auf solche Entzündung­ssymptome nicht mit einer Wärmebehan­dlung, sondern mit einer kühlenden Therapie zu reagieren.“

Er rät angesichts des milden österreich­ischen Klimas zu Kleidung, die vor Wind und Regen schützt. Bei beginnende­n Schmerzen helfen „Anwendunge­n, die Wärme generieren können, wie warme Bäder, Packungen, Paraffinbä­der für die Hände und physikalis­che Therapien“. Nahrungser­gänzungsmi­ttel, wie sie in der Werbung massiv empfohlen werden, hält er für weitgehend wirkungslo­s. Wichtig sei, sich gesund zu ernähren. Ein wärmender Ingwertee sei durchaus einen Versuch wert. Außerdem sollte man sich Witterungs­einflüssen wie Feuchtigke­it, Kälte, Zug und Wind so wenig wie möglich aussetzen.

„Bei Wetterumsc­hwüngen können bereits bestehende Gelenkabnu­tzungen und Erkrankung­en vermehrt aktiv werden.“

Richard Crevenna, Rehabilita­tionsmediz­iner

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