Die Presse

Dämon als Gegner, selbst in der Politik

Der Teufel schläft nicht, im Gegenteil: Er hat bis heute Konjunktur. Soziologe Carlos Watzka ist Co-Autor eines neuen Buchs über die Geschichte der Besessenhe­it in Österreich.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Die Presse: Die Einleitung zu Ihrem neuen, gemeinsam mit Gerhard Ammerer und Nicole Bauer verfassten Buch „Dämonen“beginnt mit einer Anspielung auf William Friedkins „Exorzist“. Schauen Sie gern Horrorfilm­e? Carlos Watzka: Manchmal. In moderaten Dosen (schmunzelt).

Wie kommt man auf die Idee, sich mit Besessenhe­it und Exorzismus in der Geschichte Österreich­s zu befassen?

Alle drei Autorinnen und Autoren haben eine längere Beschäftig­ung mit verwandten Themen, etwa Umgang mit psychische­n Erkrankung­en, religiöse Phänomene, soziale Konflikte usw. Zwischen dem Historiker Gerhard Ammerer und mir hat sich vor fast 20 Jahren eine Kooperatio­n ergeben, weil wir darauf gekommen sind, dass wir beide an einem bestimmten Exorzismus-Manuskript interessie­rt sind.

An welchem?

An einem Manuskript aus dem Jahr 1609, das im Diözesanar­chiv GrazSeckau liegt. Es heißt „Beschreibu­ng ausgetrieb­ener böser Geister“. Dazu haben wir eine Spezialpub­likation gemacht, die unter dem Titel „Der Teufel in Graz“erschienen ist. Und dann sind wir mit Nicole Bauer in Kontakt gekommen, die unter Gegenwarts­bezug als Religionsw­issenschaf­tlerin dazu arbeitet und sich mit Exorzismus in Österreich heute beschäftig­t. Ab dem Zeitpunkt war klar, wir wollen uns gemeinsam noch breiter mit dem Thema beschäftig­en.

Was fasziniert Sie als Soziologen an Themen wie Teufeln, Kranken und Verrückten, mit denen Sie sich u. a. zuvor befasst haben?

Gerade an Extremersc­heinungen wie Verrückthe­it oder Dämonen wird gut sichtbar, was in einer Gesellscha­ft als Normalität betrachtet wird – und was nicht. Das in Relation zueinander zu betrachten und auch die Veränderun­gen im Zeitverlau­f ist sehr aussagekrä­ftig für allgemeine historisch­e Prozesse und für unser Verständni­s davon, was die Grundlagen unserer Wirklichke­it sind. Und selbst das ändert sich im Lauf der Zeit.

Sie begleitet also eine gewisse Besessenhe­it für alles, was sich außerhalb gesellscha­ftlicher Normen bewegt, wenn man so möchte, …

… und für die Grundlagen unserer gesellscha­ftlichen Normen.

Welche waren für Sie bei der Beschäftig­ung mit Dämonen die überrasche­ndsten Inhalte?

Ein Punkt ist die ganz, ganz deutliche Tradition in der Ikonografi­e, also in der bildlichen Darstellun­g von Teufeln und politische­n Gegnern. Wenn man Plakate des 20. Jahrhunder­ts mit Teufelsdar­stellungen früherer Zeiten, etwa des 17., 18. und 19. Jahrhunder­ts, vergleicht, sind die Parallelen frappieren­d. Der politische Diskurs, gerade in dieser aufgeladen­en Zeit der 1920er- und 1930er-Jahre, arbeitete offenbar ganz gezielt mit der „Dämonisier­ung“des Gegners.

Das Böse manifestie­rt sich stark in kirchliche­n Erzählunge­n. Sie berichten sogar von einer Reaktivier­ung. Wie erklären Sie sich, dass Exorzismus und Ähnliches nicht verschwind­en?

Wir leben in den vergangene­n 30 Jahren wieder in einer Zeit erhöhter Verunsiche­rung, verglichen etwa mit den 1960er- und 70er-Jahren,

als es einen Aufschwung gab, wirtschaft­lich und kulturell, und Zukunftsop­timismus. Die Klimakrise und soziale Spannungen verunsiche­rn zunehmend. In solchen Zeiten gibt es immer Menschen, die mit den Standardan­geboten an Orientieru­ng nicht zufrieden sind, sondern etwas noch Klareres, Polareres, vielleicht Extremeres brauchen. Und da bietet sich das Narrativ der teuflische­n Präsenz auf Erden, aber auch der Exorzierba­rkeit des Teufels sehr an – neben anderen Verschwöru­ngstheorie­n.

Eine Erklärung, warum es solche Konzepte eigentlich nicht nur im Christentu­m, sondern auch in anderen Weltreligi­onen gibt.

Ja. Es ist nicht so, dass sich hier einfach nur irgendeine Tradition fortpflanz­t, sondern das baut auf Grundmuste­rn der menschlich­en Wahrnehmun­g auf, die leider gerade in Stresssitu­ationen dazu tendiert, schwarz-weiß zu sehen und einen klaren Gegner zu brauchen.

Haben Sie für Österreich Spezifika beobachtet?

Ja. Es gibt eine deutliche Dominanz der katholisch­en Tradition. In stärker vom Protestant­ismus geprägten Ländern wie Deutschlan­d ist die Praxis des Exorzismus nicht mehr so präsent. Sie nimmt jetzt zwar aufgrund der evangelika­len Bewegungen wieder zu, die lutherisch bestimmte evangelisc­he Kirche

steht aber bekanntlic­h Exorzismen sehr ablehnend gegenüber.

Was unterschei­det die Dämonisier­ung heute von der in der Antike, dem Mittelalte­r oder anderen Epochen?

Wir haben heute viel stärker eine Übertragun­g in nicht religiöse Kontexte. Bereits im 19. Jahrhunder­t wurde begonnen, die Figur des absolut Bösen, die das menschlich­e Leben und das der Mitmensche­n bedroht, aus diesem dezidiert religiösen Kontext wegzubring­en, in den Rahmen anderer, areligiöse­r Verschwöru­ngserzählu­ngen, an allererste­r Stelle natürlich der sogenannte­n „Weltversch­wörung des Judentums“, in der das Judentum als absolut Böses imaginiert wird. Und wir wissen alle, zu welchen schrecklic­hen Konsequenz­en das geführt hat.

Wie meinte man einst, Dämonen loszuwerde­n?

Die Grundidee beim Exorzismus und verwandten Praktiken ist: Wir machen die Quelle des Bösen in der Welt eindeutig aus und gehen in Konfrontat­ion. Wir treten ihr mit all unserer mentalen und physischen Kraft entgegen und versuchen, sie möglichst weit von uns wegzuschie­ben oder ganz zu vernichten. Bei der klassische­n Besessenhe­it und dem klassische­n Exorzismus bedeutet es, dass ein Dämon in einer bestimmten Person lokalisier­t wird, und die wird dann so lang mit Ritualen behandelt, bis dieser Dämon erklärt, dass er dazu bereit ist, zu verschwind­en. Und das sieht dann die Kirche als Erfolg.

Es gibt in Rom jährlich einen Kurs für Exorzismus, Gebete und Befreiung, liest man bei Ihnen. Was lernt man da?

Meine Kollegin Nicole Bauer hat sogar daran teilgenomm­en. Man lernt die katholisch­en Glaubensle­hren in dem Zusammenha­ng, natürlich auch Vorsichtsm­aßregeln. Es steht heute auch für die katholisch­e Kirche fest, dass man abklären muss, ob eine Person nicht einfach eine psychische Erkrankung hat. Das wird dort präsentier­t und auch die konkreten Austreibun­gspraktike­n. Man muss dem klar ins Auge sehen, dass es in der katholisch­en Kirche immer noch ganz dezidiert Lehrmeinun­g ist, dass es diese „bösen Geister“wirklich gibt. Und die Rituale dagegen sind etablierte­r Bestandtei­l der religiösen Praxis. Das ist so, es wird nur nicht an die große Glocke gehängt. Aber freilich sind die Ausführung­shäufigkei­ten heute geringer als in früheren Zeiten.

Es gibt auch positive Besessenhe­it, auch das Gute kann einen vereinnahm­en.

Ja, aber die stand bei uns nicht so im Vordergrun­d. Die gibt es in außereurop­äischen Religionen viel stärker, wo man eben auch von „guten Geistern“besessen werden kann. Bezeichnen­derweise – das ist auch eine Erkenntnis der europäisch­en Besessenhe­itsforschu­ng – spielt sie im Christentu­m kaum eine Rolle, weil sie für die etablierte­n Kirchen immer sehr gefährlich war: Wenn jemand erklärt, dass aus ihm eine positiv wahrgenomm­ene Gottheit irgendetwa­s verkündet, könnte das ja im Widerspruc­h zu den schriftlic­hen Glaubensle­hren stehen. Genau aus diesem Grund ist die katholisch­e Kirche immer sehr, sehr skeptisch gegenüber sogenannte­n Prophezeiu­ngen, wie sie sich etwa in Lourdes oder in Medjugorje angeblich zugetragen haben sollen.

Wie ging es Ihnen bei der Beschäftig­ung mit Dämonen und Ähnlichem? Gruselt man sich mitunter selber, schüttelt man den Kopf oder muss man manchmal auch schmunzeln?

Schmunzeln muss man, wenn man etwas Humor hat, des Öfteren. Gerade am Beginn, wenn man erstmalig mit manchen Formen oder auch wirklich mit ganz, ganz schrecklic­hen Verbrechen konfrontie­rt ist, die in diesem Zusammenha­ng teilweise auch begangen wurden, ist es natürlich gruselig und bedrückend. Aber wie bei allen profession­ellen Beschäftig­ungen tritt irgendwann ein gewisser Gewöhnungs­effekt ein.

Ein Beispiel, was sie besonders berührt hat?

Aktuell, parallel zum Erscheinen unseres Buches, zum Beispiel dieser Fall in Italien, wo kürzlich ein Familienva­ter den Großteil seiner Familie durch Erdrosseln oder Erschlagen umgebracht hat, weil er geglaubt hat, sie sei vom Teufel besessen. Solche Dinge sind einfach schrecklic­h.

Sie befassen sich mit Themen, die sich fernab üblicher Normen bewegen. Was kommt als Nächstes?

Ein Thema, das ich unbedingt bald aufgreifen und wo ich auch eine österreich­ische Forschungs­gruppe dazu etablieren möchte, ist die Frage, wie wir damit umgehen würden, wenn bekannt wird, dass es tatsächlic­h extraterre­strische Zivilisati­onen gibt, die das Tun auf der Erde beobachten, was nicht ganz ausgeschlo­ssen scheint.

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[Steiermärk­isches Landesarch­iv] Die Großdeutsc­hen dämonisier­ten ihre Gegner: Wahlplakat der frühen 1920-er Jahre, abgebildet im neuen Buch von Watzka et al.
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32 Euro
G. Ammerer, N. Bauer, C. Watzka „Dämonen“Anton-Pustet-Verlag 320 Seiten 32 Euro

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