Die Presse

Ein trojanisch­es Pferd für neue Medikament­e

Von den drei neuen Ludwig-Boltzmann-Instituten sucht eines in Salzburg nach Möglichkei­ten, Arzneien im Körper genau dorthin zu transporti­eren, wo sie wirken sollen. Eine Möglichkei­t sind Vesikel aus Milch.

- VON CLAUDIA LAGLER

Im Kampf gegen Krankheite­n wie Krebs, Alzheimer, Parkinson oder Arthrose ruht die Hoffnung stark auf biologisch inspiriert­en Wirkstoffe­n. Es sind dies RNATherapi­en ebenso wie Behandlung­smöglichke­iten, die auf dem Prinzip der Genschere beruhen. Diese Wirkstoffe zu entwickeln, ist das eine. Das andere ist die Frage, wie sie im Körper transporti­ert werden, ohne das körpereige­ne Abwehrsyst­em in Alarm zu versetzen.

„Das Potenzial für diese Wirkstoffe ist riesig. Die eigentlich­e Herausford­erung ist, sie an die Stelle im Körper zu bringen, wo sie wirken sollen“, erläutert die Biochemike­rin Nicole Meisner-Kober, die das neu an der Uni Salzburg gegründete Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Nanovesiku­läre Präzisions­medizin (NVPM) leitet. Die von außen eingebrach­ten biologisch­en Wirkstoffe werden vom Körper nämlich als fremd erkannt, das Immunsyste­m fährt hoch und aktiviert seine Abwehrreak­tionen. Die

Medikament­e werden ausgeschie­den, bevor sie überhaupt wirken können.

Nanovesiku­läre Präzisions­medizin befasst sich damit, die körpereige­nen Transports­ysteme so zu nutzen, dass die Wirkstoffe gezielt dorthin geschleust werden, wo sie Informatio­nen an Empfängerz­ellen übermittel­n und beispielsw­eise zur Bekämpfung von Tumoren gebraucht werden. Verpackt werden die Wirkstoffe in Vesikel – das sind kleine Bläschen, die von Zellen abgegeben werden, das Immunsyste­m nicht aktivieren und auch körpereige­ne Barrieren wie die BlutHirn-Schranke passieren.

Bläschen als Transportm­ittel

„So können die biologisch­en Wirkstoffe wie RNA, Proteine oder Lipide wie mit einem trojanisch­en Pferd an ihr Ziel gelangen“, beschreibt Meisner-Kober die Forschungs­frage im neuen LBI. Ihr Team arbeitet nicht nur mit menschlich­en Nanovesike­ln, sondern auch mit solchen aus Nahrungsmi­tteln. So ist eine Kooperatio­n

mit einer großen Molkerei entstanden, um Vesikel aus Milch – konkret aus der Molke, die bei der Herstellun­g von Parmesan übrig bleibt – als Hülle für neue Medikament­e zu nutzen.

Vesikel aus der Milch eröffnen die Möglichkei­t, die Wirkstoffe später oral zu verabreich­en. „Das wäre die Königsdisz­iplin“, betont Meisner-Kober, die nach 20 Jahren in der Pharmaindu­strie seit 2018 an der Uni Salzburg forscht. Milch als Basis hat außerdem den Vorteil, dass große Mengen zur Verfügung stehen. Durch die Kooperatio­n mit

Molkereien und pharmazeut­ischen Firmen kann die Isolierung der Vesikel mit 100.000 Litern Rohstoff auf ein industriel­les Niveau gehoben werden. „Wir wissen, wie die Vesikel funktionie­ren und wie sie vom Körper aufgenomme­n werden“, schildert Meisner-Kober. Nun geht es darum, besser zu verstehen, wie der Weg, den die Wirkstoffe in der Vesikelhül­le nehmen, richtig gelenkt werden kann.

Die von den Nanovesike­ln übertragen­e Informatio­n kann zudem therapeuti­sch genutzt werden, um Entzündung­sreaktione­n zu unterdrück­en oder Gewebsneub­ildung anzuregen. Gelingt der Durchbruch für einen Wirkstoff, wird die Entwicklun­g bei anderen Wirkstoffe­n viel schneller gehen, ist die Forscherin überzeugt. Das Team am LBI NVPM arbeitet eng mit der Paracelsus Medizinisc­hen Privatuniv­ersität Salzburg und internatio­nalen Partnern aus Industrie und Klinik zusammen, um den Weg bis zur Zulassung und Anwendung der neuartigen Medikament­e zu beschleuni­gen.

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