Die Presse

Stell dir vor, es ist Frieden und keiner geht hin

Wie zeitgemäß ist Pazifismus heute noch? Welche widerspens­tigen Stimmen werden in der Kriegsberi­chterstatt­ung ausgeblend­et und warum? Damit beschäftig­t sich die Friedensfo­rscherin Claudia Brunner.

- VON CORNELIA GROBNER

Ich hab neulich geträumt von einem Land, in dem für immer Frühling ist.“Fast trotzig singt die deutsche Sängerin Soffie die Zeilen in die Kamera. Dazu beschwingt­e Pianobegle­itung. Und weiter: „Kinder an die Macht, keine hohen Mauern mehr. Karma-Konto voll, alle Waffenspei­cher leer.“Über Nacht wurde die auf dem Videoporta­l TikTok veröffentl­ichte eingängige Friedensut­opie zum Hit.

Doch wie zeitgemäß ist Pazifismus heute? Kein Krieg. Natürlich, wer wünscht sich das nicht? Aber wie geht das? Oder besser gefragt: Woran scheitert es? Damit setzt sich die Politikwis­senschaftl­erin Claudia Brunner von der Uni Klagenfurt auseinande­r. Sie legt Wert auf Differenzi­erung: „Pazifismus und Antimilita­rismus werden meist in einen Topf geworfen“, sagt sie. „Im Moment wird Pazifismus gern als lächerlich­e Gesinnungs­ethik diskrediti­ert, obwohl da lange theoretisc­he und politische Überlegung­en dahinterst­ehen. Antimilita­rismus ist hingegen nicht das Ablehnen jeglicher Gewalt, sondern konkret von staatlich organisier­ter militärisc­her Gewalt.“

„Kriege brechen nicht aus“

Fest steht: „Ziviler Ungehorsam bzw. Widerstand führen durch eine breitere Mobilisier­ung der Bevölkerun­g oft zu nachhaltig­eren Ergebnisse­n bei Konflikten“, verweist Brunner auf eine US-amerikanis­che Studie, in der 200 gewaltsame Revolution­en und 100 gewaltfrei­e Kampagnen für einen Regierungs­wechsel verglichen wurden. Während jede vierte Revolution erfolgreic­h war, setzten sich mehr als die Hälfte der Kampagnen durch. „Friedensfo­rschung sollte eine Selbstvers­tändlichke­it sein, das ist sie leider nicht. In Österreich gibt es etwa keine einzige Professur dafür“, bedauert Brunner, die sich damit in dem in Kürze erscheinen­den Sammelband „Kritische Friedensfo­rschung“(Hg. Mühlbauer/Lakitsch, Mandelbaum) auseinande­rsetzt.

Sie interessie­rt sich vor allem für die herrschaft­skritische, die feministis­ch oder dekolonial inspiriert­e Friedensfo­rschung. „Kriege brechen nicht aus, sind keine Naturgewal­ten, sondern werden vorbereite­t und gemacht“, betont Brunner und zitiert in dem Sammelband-Beitrag aus der Erzählung „Kassandra“von Christa Wolf: „Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg? Falls es da Regeln gäbe, müsste man sie weitersage­n.“Die Sätze illustrier­en in gewisser Weise das Tun der Forscherin.

Seit zehn Jahren betreibt Brunner, u. a. unterstütz­t vom Wissenscha­ftsfonds FWF, theorieori­entierte Grundlagen­forschung innerhalb des Feldes. Zentral ist für sie das Konzept der epistemisc­hen Gewalt, mit dem sie sich jenen Formen von Gewalt widmet, die in Zusammenha­ng mit Wissen stehen. Ein Beispiel dafür ist die Auslöschun­g von Wissen über Sexualität durch die „Hexenverbr­ennungen“in der frühen Neuzeit. Darüber hinaus seziert Brunner den „Unterbau“wissenscha­ftlicher Wissensbes­tände und darin verankerte Normen wie Eurozentri­smus (europäisch­e Perspektiv­e als Norm) und Androzen

trismus (Männer als Norm). Zur Veranschau­lichung beleuchtet sie die Genese der Menschenre­chte: „Diese waren europäisch­en, weißen, männlichen, großjährig­en, gesunden, besitzende­n und als waffenfähi­g geltenden Bürgern vorbehalte­n. Die Französin Olympe de Gouges wurde für ihre Erklärung der Rechte der Frau geköpft.“

Nicht nur in der Vergangenh­eit wurde bestehende­s Wissen vernichtet und mit Wissen überschrie­ben, das partikular­en Interessen diente (z. B. Rassentheo­rie als Legitimati­on für Sklaverei). Um solche Prozesse in der Gegenwart sichtbar zu machen, beobachtet und analysiert Brunner Diskurse über Kriege und Konflikte und zeigt Leerstelle­n auf, etwa welche Sichtweise­n darin untergehen. Ihr Ziel sei, dass „wir uns mit existieren­den Gewaltverh­ältnissen ebenso wenig zufriedeng­eben wie mit den Denkweisen über diese“. Aber nach wie vor würden westlich moderierte Friedenspr­ozesse auf euro-amerikanis­chen Vorstellun­gen basieren. Darauf aufbauend werde in Konflikten – unterstütz­t von kooperiere­nden lokalen Eliten – intervenie­rt. „Unterdrück­te Stimmen vor Ort werden

oft nicht gehört, man denke an Afghanista­n und die gescheiter­ten Interventi­onen der USA und ihrer Verbündete­n.“Die Befreiung der Frauen war ein starker Legitimati­onsgrund dafür, obwohl sich die traditions­reiche afghanisch­e Frauenorga­nisation Rawa strikt gegen ein militärisc­hes Eingreifen ausgesproc­hen hatte. Ihre Bedenken wurden jedoch übergangen.

Mundtot gemachte Stimmen

„In der meisten Kriegsberi­chterstatt­ung, auch aktuell zu Ukraine/ Russland und Israel/Gaza, fehlen widerspens­tige, pazifistis­che Stimmen. Europäisch­e Medien sind besonders selektiv“, stellt Brunner fest. (Mediale) Wissenspro­duktion sei ihr zufolge nicht abgrenzbar von den Kriegshand­lungen: „Sie ist immer damit verwoben, weil Öffentlich­keiten und Legitimitä­ten für Kriegsführ­ung und Militarisi­erung hergestell­t werden müssen.“

Intellektu­ell „spannend“, aber politisch „desaströs“wäre in dem Zusammenha­ng die – angesichts demokratis­cher und menschenre­chtlicher Prämissen paradoxe – Unterschei­dung von Menschen, die verteidigt werden, gegenüber

jenen, die als verzichtba­r gelten. Bewegungen, die gängiger Kriegsrhet­orik widersprec­hen, würden auch deshalb unterdrück­t, „weil ihre Forderunge­n häufig weitreiche­nd sind“, sagt Brunner. Wie im Fall des anfangs von westlichen Ländern begrüßten Arabischen Frühlings: „Je klarer wurde, dass nicht nur ein Regimewech­sel, sondern auch ein Wandel in der internatio­nalen ökonomisch­en, politische­n und sozialen Ordnung gefordert wurde, desto weniger Unterstütz­ung kam vom Westen.“

Kein Krieg. So universell ist dieser Wunsch nicht. Er trifft auf die Rüstungsin­dustrie, auf Machtgelüs­te, auf Ressourcen­ausbeutung. Derzeit beobachtet Brunner noch etwas, was ihr Sorgen bereitet: „Der militarisi­erende Diskurs greift massiv Raum, nicht nur im Politische­n, auch im Alltag. Das Militärisc­he als Möglichkei­t, Konflikte auszutrage­n, erfährt mehr Akzeptanz.“Sie nimmt die Medien in die Pflicht, hier vermisse sie Kontexte, sei es über die Entstehung von Konflikten oder dazu, wer von Kriegen profitiert: „Die einfachen Menschen sind das nicht. Sie sterben auf den Schlachtfe­ldern.“

‘‘

Die einfachen Menschen profitiere­n nicht vom Krieg. Sie sterben auf den Schlachtfe­ldern.

Claudia Brunner, Friedensfo­rscherin, Uni Klagenfurt

 ?? ?? [Photo Riccio, Klagenfurt]
[Photo Riccio, Klagenfurt]
 ?? [Oleksii Chumachenk­o/Anadolu Agency via Getty Images] ?? Der italienisc­he Künstler TvBoy brachte Antikriegs­bilder in die Straßen von Butscha (Ukraine).
[Oleksii Chumachenk­o/Anadolu Agency via Getty Images] Der italienisc­he Künstler TvBoy brachte Antikriegs­bilder in die Straßen von Butscha (Ukraine).

Newspapers in German

Newspapers from Austria