Die Presse

Die vielen Vorteile von verträumt wirkenden Streuobstw­iesen

Morsche Äste bietet vielen Tieren Heim und Nahrung. Traditione­lle Obstwiesen sind resistent gegen Klimaschwa­nkungen. Auch Insekten wie die riesige Holzbiene profitiere­n von strukturre­ichen Lebensräum­en.

- VON VERONIKA SCHMIDT Xylocopa,

Die Presse: Was sind Streuobstw­iesen? Sophie Kratschmer: Wir haben uns auf den Begriff Streuobstf­lächen geeinigt, weil nicht alle Bäume auf einer grünen Wiese stehen. Es sind also Flächen, auf denen Obstbäume frei stehen. Meist sind unterschie­dliche Arten und Sorten nebeneinan­der, ganz anders als in Plantagen. Der Streuobsta­nbau in Österreich ist seit Dezember 2023 als immateriel­les Kulturerbe von der Unesco anerkannt.

Was möchte das Monitoring für Streuobstf­lächen erreichen, das an der Boku vom österreich­ischen Biodiversi­tätsfonds gefördert wird?

Es braucht einen Überblick zu den Beständen in Österreich. Das Monitoring soll die Obstbäume und auch andere Pflanzen- und Tierarten umfassen. Wir entwickeln jetzt die Methoden, um die Ausweisung solcher Flächen zu erleichter­n.

Wie kann das gelingen?

Mit Bildern aus der Vogelpersp­ektive. Wir wollen mit Fotos und Infrarotbi­ldern von Satelliten Streuobstf­lächen von anderen Gehölzfläc­hen unterschei­den. Wenn man einen einzeln stehenden Obstbaum z. B. nicht mit einer Birke verwechsel­t, kann diese Methode für ein wiederkehr­endes Monitoring der Bestände sorgen.

Wie viele Streuobstb­äume gibt es in ganz Österreich?

Das ist schwer zu zählen, weil viele in Privatgärt­en stehen. Im landwirtsc­haftlichen Bereich kam man 2020 auf 4,2 Millionen Bäume. Doch 1930 waren es noch 35 Millionen.

Ein dramatisch­er Rückgang. Dabei haben Streuobstf­lächen viele Vorteile für Mensch und Natur.

Sie sind Hotspots für die Artenvielf­alt. Nicht nur, weil so viele Obstbaumar­ten auf einer Fläche viel mehr Lebensräum­e für Tiere bieten als z. B. eine Apfel-Monokultur. Die Bäume blühen dadurch zu ganz unterschie­dlichen Zeiten und bieten so für Blütenbesu­cher über einen viel längeren Zeitraum Nahrung als eine Monokultur. Außerdem werden die Flächen nicht intensiv bewirtscha­ftet, was den Insekten und der Biodiversi­tät guttut: nicht fünf Mal im Jahr mähen, sondern ein bis zwei Mal. Zudem wird auf Streuobstw­iesen weniger Spritzmitt­el eingesetzt: Im Vergleich zu Plantagen kommt es kaum zum Einsatz von Chemikalie­n.

Bieten die Bäume durch ihren urtümliche­n Wuchs Tieren ein Zuhause?

Streuobstb­äume dürfen artgerecht wachsen, stehen ohne dauerhafte Unterstütz­ung und sind nicht an Spaliere gebunden. Die unterschie­dlichen Stammhöhen und Wuchsforme­n bieten viele Nist- und Futtermögl­ichkeiten, genauso wie das Totholz für viele Tierarten gut ist.

Totholz heißt nicht, dass ein Baum tot am Boden liegt, sondern dass zum Beispiel einzelne Äste morsch werden können?

Ja, der hohe Totholzant­eil lockt Insekten,

Fledermäus­e und höhlenbrüt­ende Vögel an. Für die holzbewohn­enden Insekten und andere Tiere ist die große Altershete­rogenität von Vorteil: Hier wird nicht alles weggeschni­tten, was „krampert wachst“.

Auf welche Tierarten fokussiert das Monitoring?

Wir haben Indikatorg­ruppen, um die Artenvielf­alt zu erkennen: Bei den Insekten sind das Wildbienen und Tagfalter, bei den Wirbeltier­en Vögel und Fledermäus­e. Die Ergebnisse fließen in den österreich­ischen Biodiversi­tätsberich­t ein, der 2026 der Europäisch­en Kommission vorgelegt wird.

Wer geht hinaus und sammelt die Tiere?

Das machen nicht Studierend­e oder Anfänger, wir haben Leute, die wissen, was sie tun. Wir müssen in kurzer Zeit jede Tiergruppe so gut wie möglich erfassen. Für die Insekten klappt das durch Feldbegehu­ngen: Wir besuchen jede Fläche viermal im Jahr und bestimmen Wildbienen und Tagfalter. Fledermäus­e werden mit Audioaufna­hme und Beobachtun­g bestimmt. Die Vögel übernehmen die Kolleginne­n aus dem Institut für Wildbiolog­ie: Sie entwickeln neue Methoden mit Audiodetek­toren.

Sind Streuobstw­iesen gut gegen den Klimawande­l gewappnet?

Durch die Vielfalt an Arten und Sorten und durch robustere Baumformen sind sie widerstand­sfähig. Die klimarelev­anten Vorteile sind: geringer CO2-Fußabdruck, weniger Chemie- und Energiever­brauch, geringerer Wasserverb­rauch und Stärkung der regionalen Produktion mit kurzen Transportw­egen.

Was sind die Gefahren durch die Klimaerwär­mung?

Der verfrühte Austrieb kann sich negativ auswirken: Wenn in einem warmen Februar die Knospen sprießen, kann Spätfrost zu Ertragsein­bußen führen.

Der frühe Austrieb von Pflanzen ist auch ein Problem für Insekten.

Das betrifft vor allem manche Wildbienen und andere Bestäuber, die auf ganz wenige Pflanzenar­ten spezialisi­ert sind. Ihre Nahrungspf­lanzen blühen immer früher im Jahr, doch die Bienen schlüpfen nicht früher und finden dann kaum Nahrung.

Welche Bienenarte­n sind noch Klimawande­lverlierer?

Hummelarte­n in den Alpen sind an Kälte angepasst

und besonders vom Klimawande­l betroffen. Die meisten Wildbienen­arten sind jedoch wärmeliebe­nd und vergrößern so ihre Verbeitung­sgebiete.

Macht die Konkurrenz durch Honigbiene­n den Wildbienen das Leben schwer?

Das ist schwierig zu beantworte­n, weil viele Faktoren zusammensp­ielen. Konkurrenz um Ressourcen ist grundlegen­d im Ökosystem.

Es braucht mehr Bewusstsei­n, dass der Lebensraum-Mangel in strukturlo­sen Landschaft­en allen Insekten zu schaffen macht.

Um diese Anliegen kümmert sich in Österreich der Wildbienen­rat?

Ja, wir sind ein Zusammensc­hluss aller Expertinne­n und Experten, die sich mit Wildbienen und ihrer Erforschun­g befassen. Derzeit ist z. B. die erste Rote Liste der Wildbienen in Arbeit. Wir kümmern uns darum, dass es wissenscha­ftlichen Nachwuchs gibt und auch in Zukunft genug Leute Wildbienen bestimmen können.

Welche Vorurteile hören Sie aus der Bevölkerun­g?

Viele haben Sorgen, wenn sie Bienen oder Wespen sehen. Ein Beispiel ist die Frühlingss­eidenbiene:

Sie schaut der Honigbiene ähnlich, aber ist eine solitäre Art (einzeln lebend, Anm.). Wenn sie im Frühling eine geeignete Umgebung für ihr Nest findet, schweben plötzlich Hunderte Bienen über einer Sandkiste. Solche Seidenbien­en tun Menschen aber gar nichts.

Auch die riesigen schwarzen Holzbienen sind ungefährli­ch.

Genau. Wir testen beim Neusiedler See eine Methode, wie man das Leben der Holzbienen besser verstehen kann. Mit winzigen Sendern versuchen wir, die Bienen individuel­l über Funk zu verfolgen: Welche Lebensräum­e werden zu welcher Tageszeit bevorzugt, welche Unterschie­de gibt es im Tagesablau­f bei Männchen und Weibchen?

Wie kam es zur Idee, den großen Bienen einen Sender auf den Rücken zu kleben?

Ursprüngli­ch wollten wir eine ganz seltene Hummelart, die nur in der Region um den Neusiedler See lebt, mit Sendern tracken. Auch der invasiven asiatische­n Mörtelbien­e wollten wir Sender aufstecken. Aber diese Arten waren zu klein, um die 0,18 Gramm leichten Funksender zu tragen. Daher nutzen wir das teure Equipment jetzt, um Österreich­s größte Biene, die Holzbienen der Gattung zu erforschen.

 ?? [Eva Schöll] ?? Auf der Streuobstf­läche stehen die Bäume vieler verschiede­ner Arten ohne Spalier und ohne Unterstütz­ung.
[Eva Schöll] Auf der Streuobstf­läche stehen die Bäume vieler verschiede­ner Arten ohne Spalier und ohne Unterstütz­ung.
 ?? [S. ?? Holzbienen sind 2 bis 3 cm groß.
[S. Holzbienen sind 2 bis 3 cm groß.

Newspapers in German

Newspapers from Austria