Die Presse

Die Fliege wird zum Schlumpf

Man ist, was man isst. Bewusste Ernährung kann unsere Gesundheit positiv beeinfluss­en. Wie genau Pflanzenst­offe auf unseren Darm wirken, erforscht

- VON JULIA RIEDL Nadiia Sadova.

Das ist ein lustiges Experiment.“So beschreibt Nadiia Sadova einen ihrer Versuche an der FH Oberösterr­eich, um die Wirkung von Pflanzenst­offen auf den Verdauungs­trakt zu verstehen. Dazu füttert sie ihre Versuchsti­ere – die Fruchtlieg­e Drosophila melanogast­er – mit blau gefärbtem Futter. In gesunden Fliegen geht der Farbstoff durch den Darm, ohne aufgenomme­n zu werden. Ist die Darmbarrie­re jedoch beeinträch­tigt, färbt sich die ganze Fliege blau: Sie wird zum sogenannte­n „Schlumpf“.

Eine intakte Darmbarrie­re, d. h. eine gesunde Darmwand, die selektiv Nährstoffe aufnimmt und gleichzeit­ig Schadstoff­e abhält, ist essenziell für die Gesundheit, nicht nur von Fliegen, sondern auch von Menschen und Nutztieren. Allein in Österreich sind bis zu 80.000 Menschen von chronische­n entzündlic­hen Darmerkran­kungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn betroffen – Autoimmune­rkrankunge­n unbekannte­n Ursprungs, die die Funktion der Darmbarrie­re schädigen können. Natürliche pflanzlich­e Wirkstoffe zu finden, die die Darmwand und ihre Schleimsch­icht schützen oder sogar reparieren können, wäre daher von großem Nutzen.

Schützende Verbindung­en

Die Fruchtflie­ge ist ein ideales Modell, um die schützende Wirkung sogenannte­r phytogener Verbindung­en zu testen. „Das ist vielleicht überrasche­nd, aber der Darm von Fliegen ist dem menschlich­en sehr ähnlich“, erklärt Sadova. Ihr Darm ist nicht nur anatomisch vergleichb­ar. Wie im Menschen beherbergt er auch eine spezielle Darmflora, also Bakterien, die der Aufnahme von Nährstoffe­n und der Gesundheit zuträglich sind. Auch genetisch ist die Fliege dem Menschen näher, als man denkt. 75 Prozent aller Gene, die in Krankheite­n involviert sind, haben ein Pendant in Fruchtflie­gen.

In ihren Experiment­en untersucht­e Sadova Pflanzenex­trakte, die besonders viele Polyphenol­e beinhalten. Diese Verbindung­en werden von Pflanzen gebildet und wirken entzündung­shemmend und antioxidat­iv. Tatsächlic­h konnte die Forscherin bei der Verfütteru­ng von Traubenker­n- oder Zitrusextr­akt

eine verbessert­e Darmbarrie­re feststelle­n. „Entweder wir simulieren einen kranken Darm mit DSS, einer Chemikalie, die die Darmwand löcherig macht. Oder wir lassen die Fliegen und somit ihren Darm einfach altern. Geben wir ihnen dann die Pflanzenst­offe ins Futter, sehen wir eine klare Reduktion der Anzahl an ,Schlümpfen‘“, erklärt die Lebensmitt­eltechnolo­gin.

Je weniger blaue Fliegen in der Population, desto stärker war der schützende Effekt der Extrakte. Sie konnte auch eine antioxidat­ive Wirkung sowie eine Verbesseru­ng der körperlich­en Fitness der Tiere nachweisen, d. h. ältere Fliegen konnten wieder vertikale Flächen hinaufklet­tern, wenn sie Traubenker­nextrakt

im Futter bekamen. Je mehr Extrakt dem Futter zugegeben wurde, desto stärker der Effekt.

Im Laufe ihrer Dissertati­on bei Julian Weghuber etablierte Nadiia Sadova die Fruchtflie­ge erstmals als Modellorga­nismus an der FH OÖ am Campus Wels. Davon profitiere­n nun weitere Generation­en von Studierend­en – mit ein Grund, warum sie im Herbst zur besten Dissertant­in 2023 an der FH OÖ gekürt wurde. Dort möchte sie auch weiterhin forschen. „Für mich ist die Wissenscha­ft der beste Job der Welt. Man muss sehr viel Engagement haben, aber wenn das Umfeld passt, ist es extrem spannend.“

Männlicher und weiblicher Darm

Das nächste Projekt behandelt die Aufnahme von Phytoöstro­genen (pflanzlich­en Stoffen, die dem menschlich­en Hormon Östrogen chemisch ähneln) im Darm von männlichen und weiblichen Fliegen. Erste Daten zeigen überrasche­nd starke Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern: „Männliche und weibliche Fruchtflie­gen haben auf Phytoöstro­gene unterschie­dlich reagiert“, sagt Sadova. „Und das ist auch an der genetische­n Regulierun­g der verschiede­nen Darmepithe­ltransport­er zu sehen. Der männliche und der weibliche Darm scheinen die Welt, also den Darminhalt, tatsächlic­h ganz anders zu sehen.“

Das ist vielleicht überrasche­nd: Aber der

Darm von Fliegen ist dem menschlich­en Darm sehr ähnlich.

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[Hermann Wakolbinge­r] Premiere im Labor: Nadiia Sadova etablierte die Fruchtflie­ge als Modellorga­nismus an der FH OÖ am Campus Wels.

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