Wo die Palatschinken beerdigt werden
Expedition Europa: Ich fahre in die serbische Enklave Gračanica, einen multi-ethnischen Zufluchtsort vor den Toren der Hauptstadt Prischtina.
Der neueste Kosovokonflikt brach am 1. Februar aus, als die Regierung des Kosovo plötzlich den Zahlungsverkehr in der Währung verbot, in der die serbische Minderheit Pensionen, Sozialleistungen und Gehälter vom serbischen Staat bezieht. Banken, die mit serbischen Dinar operieren, haben seither geschlossen.
Ich fahre in die serbische Enklave Gračanica, mit 78 Prozent Serben und 17 Prozent Roma/Ashkali/Balkan-Ägyptern ein multi-ethnischer Zufluchtsort vor den Toren der Hauptstadt Prischtina. Ich gehe in das von Serbien betriebene „Spital“, eine kleine dichte Ansammlung von weißen Flachbaracken und schmutzig-weißen Containern. Bezahlkarten sind auf 50 Euro begrenzt, erzählen sie, darum muss sich jetzt das ganze Personal die Dinar-Gehälter in Zentralserbien abholen oder von Fahrern oder Verwandten übermitteln lassen. „Ein Zirkus“, der, so hoffen sie, dank der Brüsseler Verhandlungen an diesem Dienstag bald endet. Um zehn ist das KH-Café „Moskva 038“mit zwei Dutzend Weißkitteln gefüllt, unter ihnen eine Runde Mädels, die „begrabene“– tatsächlich unter Mayonnaise und Mayo-Salat beerdigte – „Palatschinken“schmausen und alle tschicken. Wenn das ihre Pause ist, dann ist sie ziemlich lang.
Am Abend besuche ich den berühmtesten Hotelier vom Westbalkan. Der Schweizer Ex-Diplomat Andreas Wormser wurde seinerzeit in der „New York Times“und den Leitblättern des Westens gefeiert – weil er 2013 das vielleicht einzige Hotel der Welt aufgemacht hat, das von Roma gemanagt wird. Elf Jahre später betrete ich das Refugium aus weißen Linien, slowenisch-österreichischer Kiefer und einer das blaue Auge der Prophetentochter Fatima darstellenden GartenLicht-Skulptur – und lasse mir erzählen, was seither geschah. Wormser, der selbst in seinem Hotel wohnt, ist ein gutmütiger 66-Jähriger in Cord-Sakko, ein zum Agnostizismus gewechselter Zürcher Zwinglianer. Seine 15 Angestellten, von denen nur noch vier Roma sind, werden in der Landeswährung Euro bezahlt, für ihre serbischen Sozialleistungen wie das Kindergeld „mussten zwei schon nach Serbien fahren“.
Sein „Hotel Gracanica“läuft nicht besonders gut. Der Brunch, zu dem sonntags Internationals aus Prischtina herpilgern, ist im Winter eingestellt. Die wechselnden Kunstausstellungen sind zurückgefahren. Der Pool ist befüllt, aber unbeheizt. Er gibt zu, mit seinen 15 Zimmern „fast jedes Jahr“Verlust geschrieben zu haben. Er ist nur deswegen nicht verschuldet, weil er sein umfängliches Erbe ins Hotel gesteckt hat und sein Schweizer Pensionskonto obendrauf. Seine deutsche Frau ist in Deutschland geblieben. Besonders
bitter ist für den Versöhner, der Albanisch, Serbisch und Romanes gelernt hat: Die zwei Roma-Freunde, die das Management übernahmen, „haben sich nicht bewährt“, in einem Fall ging darüber die Freundschaft drauf. Nun hat er Managerinnen, eine Romni und eine Albanoserbin. „Mit den Roma ist es nicht so einfach“, sagt er, „es hat vieles nicht funktioniert.“Manchmal wirbt das Boutique-Hotel mit „Swiss management“, für eine gewisse Klientel klingt das besser.
Am 5. September ist es ein Vierteljahrhundert, dass er erstmals den Kosovo betreten hat, seit 20 Jahren lebt er hier. Er glaubt an das touristische Potenzial, will es noch einmal mit Romanes-Kurspackages probieren, seine momentan einzigen Gäste testen gerade einen Versuch von Zahntourismus, halb so teuer wie in Ungarn. Die schlechten Nachrichten ärgern Wormser, das Märzpogrom 2004, der Nummerntafel-Konflikt, das Terrorgefecht im Kloster Banjska im September: Dabei habe sich das Land „wirtschaftlich entwickelt“, die „Stellung der Frau verbessert“, die Landschaft sei schön, und wenn seine Gäste einen Tagesausflug machen, „werden sie von 20 Leuten angesprochen und von fünf zum Kaffee eingeladen“. Außerdem ist der Kosovo sensationell billig.
Hinterher gehe ich noch auf eine unbeerdigte Palatschinke und einen Slibowitz. Das Café-Bar-Leben von Gračanica ist überbordend, ich nehme das „Fratello“mit Kunstflora, Weltraum-Reproduktionen und jungen goldgewandeten Romnja in einem erotischem Dämmerlicht.
Die Brüsseler Verhandlungen am Dienstag scheitern, auch die EU kann die KosovoRegierung nicht zu Übergangsfristen bewegen. Meine Dinar werden in Gračanica mit Luftsprung angenommen.