Gerhard Zeilinger: „Das werde ich dem Papa sagen“
sie sich zum Beispiel die „Autorität“herausgenommen, eine Maske nicht zu tragen, mit der sie sich selbst und ihre Mitmenschen hätten schützen sollen. Ich bin in den Jahren von Corona immer wieder solchen Menschen begegnet und habe mich jedes Mal gefragt, ob sie in ihrem Zuwiderhandeln nicht vielmehr einer Art Lust nachgegeben haben, gegen die gebietende Vernunft zu handeln, um sich in einer lächerlichen Geste sagen zu können, sie hätten Widerstand geleistet.
Dieser Ungehorsam bestimmt auch ihr Wahlverhalten. Die Autoritätsverweigerer scheinen ein ausgesprochenes Bedürfnis nach autoritären Parteien und „starken Männern“zu haben. Sie schreiben sich die „Freiheit“auf ihre Fahnen und stellen unverhohlen die Autorität des demokratischen Staates infrage, der ihnen diese Freiheit garantiert. Und weil sie sich vom demokratischen „System“geknechtet fühlen, träumen sie ein autoritäres herbei, blicken fasziniert nach Russland und hoffen auf postdemokratische, trumpistische USA. Offenbar glauben sie, der autoritäre Staat, den sie sich wünschen, würde nur die anderen treffen: die Politikerkaste, die Unternehmer, Journalisten und Künstler, alles, was ihrer Meinung zum „Establishment“, zur „Elite“, gehört. Und vor allem die Migranten.
Dass sie am Ende selbst in einem „System“aufwachen könnten, in dem auch ihnen vorgeschrieben wird, wie sie zu leben haben, kommt ihnen dabei vermutlich gar nicht in den Sinn. (Ähnlich haben die Achtundsechziger nicht an ihr eigenes Leben in selbstverständlicher Freiheit gedacht, als sie kommunistische Revolutionäre und Diktatoren beklatschten.) Mit geschürten Ressentiments (gegen Globalisierung, die USA, die EU, gegen Konzerne, gegen Ausländer und vermeintlichen jüdischen Einfluss) lässt sich diese Wählergruppe am leichtesten steuern. So werden sie sich auch nie des Widerspruchs bewusst, mit dem sie ihre Art von Freiheit einfordern und mit dem sie sich rechten (aber auch linken) Demagogen ausliefern.
Dabei geht es ihnen nicht darum, eine eigene Meinung zu haben, etwas kritisch zu hinterfragen und zu protestieren, wenn ihnen etwas unvernünftig oder ungerecht erscheint. Es ist vielmehr schon ein reflexartiger Ungehorsam, mit dem sie sich gegen alles stemmen, was vom „Staat“, vom „System“, kommt. Diese Reichsbürgermentalität rückt immer weiter in die Mitte der Gesellschaft und wird von den bekannten rechtsextremen Parteien befeuert. „Österreich droht ein autoritäres System zu werden“, bekommt man zu lesen, wenn man auf Google die Begriffe „FPÖ“und „autoritär“eingibt.
Das auffällige Faible von sogenannten freiheitlichen Politikern für Autokraten und diktatorische Regime, ob es sich nun um Orbán, Putin oder die Taliban handelt, wäre nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Es ist kein Geheimnis, dass sich autoritäre Parteien jene Gesetze zunutze machen, die sie am liebsten selber abschaffen möchten, allen voran die Meinungs- und Pressefreiheit. Und dann schon die unabhängige Justiz. „Das Gesetz hat der Politik zu folgen …“Diese Äußerung sollte bei allen die Alarmglocken schrillen lassen, will man nicht zusehen, wie politische Willkür die Autorität der Verfassung außer Kraft setzt.
Die Abkehr vom bestehenden Politsystem ist aber nicht nur ein soziologisches Phänomen. Es sind nicht die Wohlstandsverlierer allein, die sich rechts- wie linkspopulistischen Parteien zuwenden. Neben den Gekränkten wird auch die Schar der Narzissten immer größer, und sie sind nicht bloß anfällig für autoritäre Politik – sie wollen selbst Autorität ausüben. Vielleicht ist das das eigentliche Motiv der Autoritätsverweigerer: dass sie sich von autoritären Parteien erhoffen, selbst Autorität in die Hand zu bekommen.
Sich unterzuordnen, um nach unten treten zu können: So hat das NS-System funktioniert. Jeder kleine Blockwart durfte sich als Autorität fühlen, obwohl er nur ein lächerlicher Befehlsempfänger war, der nicht begriff, wie er vom „System“zum feigen Mitläufer und Mittäter gemacht wurde. Erich Fromm hat diesbezüglich von der „Furcht vor der Freiheit“gesprochen und eine Reaktion darauf wäre die „Flucht in die Autorität“. Das hat sadomasochistische Züge, denn dem Bedürfnis, sich unterzuordnen, liege das Bedürfnis, andere zu unterwerfen, zugrunde. Möglicherweise besteht in jedem Menschen eine solche Disposition zum Autoritären. Die antiautoritäre Erziehung hat das autoritäre Denken jedenfalls nicht zum Verschwinden bringen können. Auch die Erkenntnisse von Historikern, Politologen, Soziologen, die die Strukturen autoritärer Systeme laufend analysieren, scheinen wenig zu bewirken. Das
Lernen aus der Geschichte findet offenbar nicht statt.
Kürzlich wurde Helmut Rizys Roman „Hasenjagd im Mühlviertel“wieder aufgelegt. Erstmals erschien das Buch 1995, im Jahr davor war mit Andreas Grubers „Hasenjagd – Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen“einer der erfolgreichsten österreichischen Kinofilme entstanden. Im Roman wie im Film wird wirklichkeitsgetreu eine Mordaktion beschrieben, bei der Anfang Februar 1945 ca. 400 aus dem KZ Mauthausen ausgebrochene sowjetische Kriegsgefangene gnadenlos gejagt und, meist an Ort und Stelle, erschossen oder erschlagen wurden. Ein großer Teil der örtlichen Bevölkerung hat dabei bereitwillig mitgemacht. War das blinder Gehorsam, Autoritätsgläubigkeit oder einfach die Lust, Macht auszuüben?
Nur ganz wenige haben damals Mut bewiesen. Nicht weil sie antiautoritär, sondern weil sie anständig waren. Das trifft auf die Familie Langthaler in der Mühlviertler Gemeinde Schwertberg zu, die unter Lebensgefahr zwei Ukrainer bei sich versteckt und damit gerettet hat. Ihre Heldentat wurde erst durch den Film und den Roman gewürdigt, das offizielle Österreich hatte jahrzehntelang geschwiegen. Bezeichnend ist die Schlussszene im Film: Als der Krieg vorbei ist, geht die Familie Langthaler in ein Studio, um sich zum Andenken mit den beiden Ukrainern fotografieren zu lassen. „Lächeln, bitte“, sagt der Fotograf. Auf die Erklärung, dass man jetzt beim Fotografieren lächle, weil das modern sei und in Amerika alle lächeln würden, antwortet der Familienvater: „Das hat doch keine Würde. So etwas Blödes.“Und geradezu patriarchalisch bekräftigt er: „Wir lächeln nicht.“
Es sind die letzten Worte im Film. Sie sind nicht der einstigen Autorität des Fotostudios geschuldet, sondern Ausdruck einer Verantwortung gegenüber dem, was geschehen ist. Widerstand gegen die Autorität eines Unrechtsregimes ist eine ernste Sache.
Vielleicht erhoffen sich die Autoritätsverweigerer von autoritären Parteien, selbst Autorität in die Hand zu bekommen.