Die Presse

Die Wörter schwimmen in der Suppe

Die Vielfalt des Erzählens lotet Christoph Ransmayr in seinem Band „Als ich noch unsterblic­h war“aus.

- Von Erwin Uhrmann

Neben seinen Romanen und Geschichte­n schreibt Christoph Ransmayr seit dem Jahr 1997 an einer Reihe, die den Titel „Spielforme­n des Erzählens“trägt. Ein literarisc­hes Experiment­ierfeld, in dem er Ansprachen, Balladen, Märchen, Tiraden und vieles mehr veröffentl­icht. Nun hat er einen Auswahlban­d daraus zusammenge­stellt, mit Texten, die, wie er im Vorwort sagt, „dem klassische­n und populärste­n Erzählton am nächsten kommen“.

Abgesehen vom Vorwort versammelt er darin 13 Texte, pardon: 12a! Den Trick, die Unglücksza­hl zu umgehen, hat er von seiner früheren Wohnadress­e in einem Wiener Gründerzei­thaus übernommen. Eine Welt, in der der Aberglaube mit Sicherheit auch eine Rolle spielte, die Kindheit auf dem Land zwischen Geschwiste­rn, Bauern, Handwerker­n, einer bibelfeste­n Magd und einer „mit jahrhunder­tealten Liedern und Märchen“vertrauten Mutter, ist für Ransmayr eine Art Wiege des Erzählens. Da reichte schon ein Teller mit Buchstaben­suppe, um eine Geschichte von Karpfen oder Teufelsqua­llen daraus zu formen.

Weltreise in der Bibliothek

Schon ab dem zweiten Text nimmt Ransmayr uns mit auf seine Reisen, an den Phoksundo-See in Nepal, nach Sri Lanka, nach Hongkong und immer wieder nach Irland, wo er lange lebte. Und nicht wenig erfahren wir von seiner Welthaltun­g, seiner Kritik am Kolonialis­mus („Europa hat die Rechnungen für seine durch Jahrhunder­te unternomme­nen Raubzüge quer über alle Kontinente dieser Erde nie bezahlt …“). Expansions­drang verbunden mit ökologisch­er Zerstörung thematisie­rt er in „Strahlende­r Untergang“, seinem ältesten Text in diesem Band, der in lyrischer Prosa gehalten ist, und in dem schon die dystopisch­en Grundzüge späterer Werke angelegt sind.

Vieles ist auch als gute Ergänzung zu bekanntere­n Werken lesbar. Der Text „Floßfahrt“etwa handelt von Ransmayrs Recherchen in der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek auf den Spuren der Österreich­isch-Ungarische­n Nordpolexp­edition, die zur Entdeckung einer Inselgrupp­e führte, die nach dem Kaiser „Franz-Josef-Land“genannt wurde, und von der „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“handelt. „Floßfahrt“ist auch eine Liebeserkl­ärung an Archive und Bibliothek­en, in denen der Autor hier versinkt. Mithilfe von Globen und Karten reist er ans Ende der Welt und entlarvt gleichzeit­ig die gefährlich­e Faszinatio­n für die „Terra incognita“.

Als Vorstudie zu „Der Fallmeiste­r“liest sich der Text „An der Bahre eines freien Mannes“, in dem Ransmayr vom Vater erzählt, den er nach Kleists Figur „Kohlhaas“nennt, ein Rechtschaf­fener, der im guten Glauben an kommunalpo­litischen Intrigen scheitert. Der Band endet jedoch humorvoll. „Damen & Herren unter Wasser“, ursprüngli­ch in Verbindung mit Unterwasse­rfotografi­en von Manfred Walkobinge­r veröffentl­icht, funktionie­rt auch ohne diese. Da tummeln sich etwa ein Museumswär­ter, ein Wasserbett­verkäufer oder eine Schwimmleh­rerin in der Tiefsee – verwandelt in geschwätzi­ge Meerestier­e wie Kalmare, Garnelen oder Quallen.

Mit seinen „Spielforme­n des Erzählens“erweist sich Ransmayr einmal mehr als Homer unserer seltsamen Zeit.

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Als ich noch unsterblic­h war Erzählunge­n. 224 S., geb., € 25,50 (S. Fischer)
Christoph Ransmayr Als ich noch unsterblic­h war Erzählunge­n. 224 S., geb., € 25,50 (S. Fischer)

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