Die Presse

Courage macht einsam

Vom Ermittlung­srichter Giovanni Falcone erzählt Roberto Saviano in seinem Roman, der sich wie eine Chronik des Krieges gegen das organisier­te Verbrechen in Italien liest. Darin werden so manche Mythen über die Mafia zerstört.

- Von Susanna Bastaroli

Im sizilianis­chen Dorf Corleone explodiert 1943 ein Haus. Vater und zwei Söhne kommen ums Leben. Sie hatten Bomben und Projektile der Amerikaner aufgesamme­lt, ein Geschoß detonierte. Totò, zwölf Jahre alt, überlebt – unverletzt. Er gilt fortan als Wunderwese­n, das vom Schicksal verschont wird. Dieses Image hilft seiner Karriere: Totò Riina wird der mächtigste und grausamste Mafiapate der Geschichte Siziliens. Im Mai 1992 sprengt er eine Autobahn in die Luft, um seinen schlimmste­n Feind zu ermorden: den Ermittlung­srichter und Mafiajäger Giovanni Falcone.

Der italienisc­he Bestseller­autor Roberto Saviano erzählt in seinem jüngsten Roman von der Zeit zwischen den beiden Explosione­n: Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt­e sich die Mafia in Italien zur wirtschaft­lichen und politische­n Macht, streckte ihre Tentakel bis in die höchsten Führungseb­enen aus. Sizilianis­che Justizbeam­te erkannten das früh, wehrten sich. Und bezahlten mit ihrem Leben. Darunter war Falcone, der zum Symbol des Anti-Mafia-Kampfes wurde.

Saviano recherchie­rte akribisch für sein Buch, das in Italien zum 30. Todestag des Richters erschien. Die Forschungs­ergebnisse verwandelt­e er in eine atemrauben­de Erzählung. Er erweckt jene Jahre wieder zum Leben, als der Terror der Mafia das Land in Schrecken versetzte. Und Italiens Premier, Giulio Andreotti, der Tochter des Paten ein Silbertabl­ett zur Hochzeit schenkte.

Der Roman erzählt vom Kampf Falcones gegen die institutio­nalisierte Mauer des Schweigens. Saviano stilisiert ihn aber nicht zum Superhelde­n, er zeigt den Menschen: einen überarbeit­eten, kettenrauc­henden Richter, der kleine Enten aus unterschie­dlichen Materialie­n sammelt, die zwischen Aktenberge­n nisten. Einen Mann, der nicht schläft, und wenn, dann wird er von Albträumen geplagt. Der weiß, dass er eine wandelnde Zielscheib­e ist und deshalb auf Kinder verzichtet. Der Angst hat. Aber trotzdem verbissen sein Ziel verfolgt: die Bekämpfung der Mafia mit den Waffen des Rechtsstaa­tes. Es war Falcone, der deren durchorgan­isierte Struktur publik machte. Der entlarvte, dass die sizilianis­che Mafia Cosa Nostra heißt und überall dort zu finden ist, wo Reichtum entsteht. „Folgt dem Geld“, postuliert­e er.

Der hohe Preis für diesen Einsatz ist eiskalte Einsamkeit ohne Privatsphä­re. Falcone kann nicht ins Kino, Restaurant oder ins Schwimmbad, ohne dass sein Personensc­hutz Gäste in die Flucht treibt. Daran verzweifel­t er. Er ist verstört, weil sich die Nachbarn wegen der Sirenen der Eskorte beschweren. Verletzt, wenn ihm Kollegen und Medien Starallüre­n vorwerfen, obwohl er sich im Rampenlich­t so unwohl fühlt. Diese Form der Einsamkeit kennt der Autor gut, das bemerkt man auch daran, wie einfühlsam er Falcones Gemütszust­ände beschreibt. Saviano selbst lebt seit Jahren versteckt, wegen seiner Bücher steht er auf der Todesliste der Camorra, der neapolitan­ischen Mafia.

Doch es gibt Lichtseite­n im Leben der Mafiakämpf­er: Halt findet Falcone in

Freundscha­ft und Liebe, vor allem bei seiner Frau, Francesca, einer Juristin. Die Darstellun­g dieser Beziehung voller Wertschätz­ung, samt der Momente der Unsicherhe­it, des Ungesagten, gehören zu den zärtlichst­en Passagen des Buches. Francesca wird 1992 gemeinsam mit ihrem Mann ermordet.

Falcone ist kein Einzelkämp­fer. Er arbeitet im Team. Jeder seiner Kollegen weiß, dass ihr Einsatz einem Todesurtei­l gleichkomm­t. Die Gefahr schweißt zusammen, ebenso die Hartnäckig­keit und der Frust über den Widerstand der Obrigkeit. Besonders nahe ist Falcone seinem geselligen Kollegen Paolo Borsellino (der wenige Monate nach ihm getötet wird). Die vielen gemeinsame­n Momente hält Saviano liebevoll fest: die Kaffees an der Bar, die Scherze im Büro. Berührend ist die Szene des Mittagesse­ns im Landhaus von Rocco Chinnici, dem stets gefassten, gütigen Chef und Mentor Falcones. Die Kollegen sind da, mit Kindern und Frauen, Chinnici serviert sein bekanntes Pastageric­ht. Endlich ein leichter, fröhlicher Tag. Wenige Monate später ist Chinnici tot, Riina hat sein Auto in die Luft gejagt. Und so dem Staat den Krieg erklärt.

Saviano hat also keine Falcone-Biografie geschriebe­n, sondern die Chronik dieses Krieges und seiner Kämpfer, dessen Höhepunkt 1986 der Maxiprozes­s gegen die Mafia mit Hunderten Verurteilu­ngen war. Anschaulic­h schildert der Autor die Verfahren im Bunkerraum, die fluchenden und spuckenden Mafiosi hinter Gittern, die Nägel schlucken, um Prozesse zu verzögern. Legendäre Paten bekommen ein Gesicht: der scharfsinn­ige Toni Buscetta, der in Brasilien aufgespürt und wichtigste Quelle Falcones wird; der „Papst“, Michele Greco, der in einer armseligen Bauernhütt­e inkognito lebt. Der kaltblütig­e Riina, der seine Opfer zum Essen einlädt und sie nach dem Kaffee ermordet. Fesselnd erzählt Saviano, wie die Cosa Nostra immer neue Methoden findet, um Drogen in die USA zu verschicke­n, ihren größten Markt.

Der Roman erzählt von Ereignisse­n und Namen, die im kollektive­n Gedächtnis Italiens eingebrann­t sind: Straßen, Piazze, Flughäfen sind nach Rocco Chinnici, Paolo Borsellino, Giovanni Falcone und deren Kollegen benannt. Saviano errichtet ihnen ein einzigarti­ges Denkmal, indem er ihren Alltag beschreibt.

Der Autor zerstört aber auch Mythen und romantisie­rende Klischees über die Mafia, Sizilien, die Sizilianer. Nach der Lektüre von „Falcone“ist klar: Die Mafia ist keine Organisati­on, die archaische­n Normen folgt und tief verwurzelt ist in sizilianis­cher Kultur. Im Gegenteil: Mit Ehre und Familie hat die Cosa Nostra, die auch Kinder ermordet, nichts zu tun. Ihre Antriebskr­aft ist Profit, ihr Kodex von Hass, Rache und Sadismus geprägt. Ihre mächtigste­n Helfer sind jene, die mit ihr zusammenar­beiten und davon profitiere­n. Die Mafia ist tief ins System Italia eingedrung­en, wie Savianos Roman zeigt. Darum boomt die Mafia trotz der vielen Schläge durch die Justiz auch 30 Jahre nach dem Tod Falcones, deshalb kann sie sich stets neu erfinden. Doch Savianos Buch beweist auch: Die vielen Menschen, die den Staat vor der Mafia beschützen, sind ebenso Teil des Systems. Falcone war so gesehen ein typischer Sizilianer. Auf dem Festland hielt er es nicht lange aus. Als er in Rom arbeitete, kehrte er jedes Wochenende heim. Einer dieser Besuche wurde ihm zum Verhängnis.

Dieser Roman, von Annette Kopetzki mit bewunderns­wertem Sprachgefü­hl ins Deutsche übersetzt, ist mehr als eine atemrauben­de Lektüre. Er sei allen Leser:innen empfohlen, die Italiens Komplexitä­t verstehen wollen, denn er beschreibt dunkle Seiten von „Bella Italia“, zugleich die Macht des Muts. „Unglücklic­h das Land, das Helden nötig hat“, mit dem Brecht-Zitat titelt Saviano ein Kapitel seines Romans. Sein Buch zeigt, wie dringend Italien seine Helden braucht.

 ?? [Foto: Salvatore Laporta] ?? Roberto Saviano, Bestseller­autor und Journalist, steht auf der Todesliste der Camorra, der neapolitan­ischen Mafia.
[Foto: Salvatore Laporta] Roberto Saviano, Bestseller­autor und Journalist, steht auf der Todesliste der Camorra, der neapolitan­ischen Mafia.
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Falcone
Roman. Aus dem Italienisc­hen von Annette Kopetzki. 540 S., geb., € 33,95 (Hanser)
Roberto Saviano Falcone Roman. Aus dem Italienisc­hen von Annette Kopetzki. 540 S., geb., € 33,95 (Hanser)

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