„Darf ich uns beiden gratulieren?“
Ohne einen gewissen Georg Jahoda hätte es „Die Fackel“nie gegeben: Friedrich Pfäfflin hat den Briefwechsel zwischen Karl Kraus und seinem Verleger neu editiert. Beleuchtet werden das Verhältnis der beiden als auch die Geschichte der später arisierten Druckerei.
Karl Kraus, dessen Geburtstag sich am 28. April 2024 zum 150. Mal jährt, gründete 1899 die kulturkritische Zeitschrift „Die Fackel“in der Buchdruckerei von Moriz Frisch. Zwei Jahre später kam es zur Zusammenarbeit mit der Druckerei Jahoda & Siegel. Von 1901 bis 1936 erschien in diesem Hause „Die Fackel“. Zwischenzeitliche Kooperationen in Deutschland scheiterten: mit Herwarth Waldens Sturm und 1916 bis 1921 mit dem Verleger Kurt Wolff. Das Hauptwerk, „Die letzten Tage der Menschheit“, erschien 1922 beim Verlag Die Fackel, Jahoda & Siegel, Wien.
Die jüngste Briefedition des Marbacher Kraus-Experten Friedrich Pfäfflin stellt das Verhältnis zwischen Kraus und seinem Drucker ins Zentrum. Beide schätzten einander, ja pflegten ein vertrauensvolles Verhältnis. So schreibt etwa Georg Jahoda am 21. November 1921 anlässlich der 500. Nummer der „Fackel“an Karl Kraus: „Welche Summe von Sorgen, Aufregungen und Freude (wenn auch ungleich verteilt) für beide Teile in diesen 2 Dezennien und dem halben tausend Nummern erwuchsen, wissen wir beide zur Genüge. Darf ich uns beiden gratulieren? Davon Ihnen zu der überstandenen und hoffentlich nicht in dem Maße wiederkehrenden Plage des Verkehres mit uns, und mir zu der langjährigen ehrenvollen Verbindung mit Karl Kraus.“Und Kraus notierte zu dem Jubiläum: „Es ist, als ob das Zusammentreffen dieser Vollendungen den inneren Zusammenschluß des Werkes und seines technischen Mitwirkers, dessen Anteil weit über den sichtbaren in das Gebiet persönlicher Hingabe gereicht hat, bekräftigen wollte.“
Anfangs nahm Kraus auch Beiträge anderer Autoren auf, ab ca. 1912 bis zu seinem Tod 1936 verantwortete er das zumeist dreimal monatlich erscheinende Periodikum allein, insgesamt etwa 30.000 Seiten. Die neue Edition, erschienen im Göttinger Wallstein Verlag, gewährt nun auf einzigartige Weise Einblicke in den Arbeitsalltag des Herausgebers der „Fackel“. Der enorme Zeitdruck, die technischen Abläufe, das permanente Korrigieren – dies alles lässt sich aus der bruchstückhaft überlieferten Korrespondenz herauslesen, die sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach, im Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck und in der Wienbibliothek im Rathaus befindet.
Der Herausgeber würdigt aber nicht nur Karl Kraus, sondern vor allem auch Georg Jahoda, ohne den es die „Fackel“in dieser Form nicht gegeben hätte. Pfäfflin, der selbst 20 Jahre lang als Verlagsbuchhändler tätig war, bevor er die Museumsabteilung des Schiller-Nationalmuseums in Marbach leitete, bezeichnet den Verleger sogar als „Mitschöpfer des Werks“.
Wer war nun dieser kongeniale Gesprächsund Geschäftspartner, dieser unermüdliche Unterstützer und Vertraute? Georg Jahoda führte die 1864 gegründete Druckerei seines Vaters Salomon in der Hinteren Zollamtsstraße 3 im dritten Wiener Gemeindebezirk, ab 1893 gemeinsam mit dem Drucker Emil Siegel. Aufträge kamen vor allem von der Stadt Wien und vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, dem heutigen MAK. Die internen Abläufe in Druckerei und Verlag lagen vorwiegend in den Händen Georg Jahodas, während sich Emil Siegel auch in der Standesvertretung engagierte, als Präsident des Gremiums der Buchdrucker und Schriftgießer in Wien und als Zweiter Vorsitzender des Hauptverbands der graphischen Unternehmen Österreichs.
Die Briefauswahl ist mustergültig ediert und kommentiert. Mit exzellenter Fachkenntnis zeigt Pfäfflin das Zusammenspiel von Schreiben, Drucken und Verlegen. Und dies war in diesem Falle durchaus eine Herausforderung. Die Schrift von Karl Kraus war klein, fast unleserlich und schwer zu entziffern. Die Manuskripte mussten händisch in Bleisatz oder mit der Maschine gesetzt, korrigiert, erweitert, revidiert und gedruckt werden. Karl Kraus arbeitete auch während seiner Sommerfrische-Aufenthalte. Von Kindheit an verbrachte er seine Sommer im Salzkammergut. Seine Eltern, die durch eine Papierfabrik und Papierhandel zu Wohlstand gekommen waren, besaßen eine Villa in Bad Ischl. Als Korrespondent der „Neuen Freien Presse“berichtete er ab 1894 mit beißendem Sarkasmus vom Ischler Sommerleben, ab 1899 ausschließlich für „Die Fackel“. Kraus versuchte mit allen Mitteln, den Transport mithilfe der k. k. österreichischen Staatsbahnen zwischen Wien und Ischl zu beschleunigen. Er fuhr selbst dem Schnellzug von Ischl nach Gmunden entgegen, um im dortigen Bahnhofsrestaurant eine längere Zeit für Korrekturen zur Verfügung zu haben – ein Unterfangen, das schließlich mit einer Übernachtung in Gmunden endete.
Während eines Aufenthalts im mondänen belgischen Seebad Ostende entdeckte Kraus durch seine Lektüre Ludwig von Ficker. Dieser hatte schon in der zweiten Nummer des „Brenner“unter dem Pseudonym Fortunat ein Porträt des von ihm verehrten Karl Kraus veröffentlicht, das dieser erst ein Jahr später zu Gesicht bekam. Kraus druckte den Text Fickers und einen ihn betreffenden Auszug aus dem Essay „Verfall“von Carl Dallago, versehen mit einem Kommentar, in der „Fackel“nach. Kraus spielte fortan eine besondere Rolle für Ludwig von Ficker und den Brenner, eine Wertschätzung, die auf Gegenseitigkeit beruhte.
Die Briefausgabe ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: Sie zeichnet an einem prominenten Beispiel den Produktionsprozess einer Zeitschrift in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach und berührt dabei medienund technikgeschichtliche Aspekte. Darüber hinaus ist die Geschichte von Jahoda & Siegel aber auch eine Geschichte von Flucht und Vertreibung, die bis in die jüngere Vergangenheit heraufreicht.
Die Druckerei wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten arisiert. Die Söhne Martin Jahoda und Friedrich Siegel, die nach dem Tod ihrer Väter das Geschäft übernommen hatten, flüchteten in die Vereinigten Staaten. Dass heute der umfangreichste Bestand aus dem Nachlass Jahoda in Marbach liegt, beruht auf der politischen Situation Österreichs Mitte der 1980er-Jahre. Während der Amtszeit von Bundespräsident Kurt Waldheim waren für die Familie Jahoda Verhandlungen mit österreichischen Sammlungen ausgeschlossen.