Die Presse

Von Insel zu Insel mit der eigenen Segeljacht

Man muss nicht segeln können, um die Freiheit eines Segelboots zu erleben: Unterwegs in den Kykladen.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Also, was machen wir?“Die Frage, die Christos eben an die Neuankömml­inge gerichtet hat, lässt fragende Gesichter zurück.

Gerade erst ist die Fünfergrup­pe mit ihren Taschen über die schmale hölzerne Gangway balanciert, wurde von Samantha mit jenem Zitronen-Ingwer-Drink begrüßt, nach dem man bald süchtig sein würde. Nun, nach einer ersten Erfrischun­g, will Skipper Christos Pläne machen. Und man lernt: Auch wenn es eine geplante Route gab – hat man ein Segelboot zur Verfügung, ist man ziemlich frei in seinen Entscheidu­ngen.

Wäre da nicht das Wetter. Das ist die schlechte Nachricht. Für die Gegend, die wir ansteuern wollten, ist die Prognose mies. Was, wie Christos erklärt, zur guten Nachricht führe: Der Weg sei frei in Richtung Kykladen. Ob wir Lust dazu hätten?

Wenig später liegt die AgiosKosma­s-Marina hinter uns, die hügeligen Ausläufer Athens werden kleiner und kleiner. Auf den beiden langen Sofas hat jeder ein erstes Lieblingsp­lätzchen gefunden, und aus angespannt­er Neugier, wie das alles denn werden würde, ist Vorfreude geworden. Wenn das so weitergeht, dann kann man sich daran gewöhnen.

Für eine Woche wird die Shooting Star unser Zuhause sein. 64 Fuß misst die Segeljacht: 20 Meter und drei Kabinen, je mit eigenem Bad, die den Gästen zur Verfügung stehen. Ein „Boot mit Charakter“, wie die Eigner finden, die sich selbst einst im Urlaub in das Schiff verliebt haben. Heute gehört es ihnen und wird, gemeinsam mit seinem Schwesterb­oot, vermietet. Komplett mit Crew und Verpflegun­g; ein Rundumpake­t, das sich anfühlt, als hätte man seine eigene Jacht, nur ohne sich darum kümmern zu müssen.

Die erste Nacht verbringen wir vor einer kleinen, nur von Windrädern bewohnten Insel. Das dunkle Wasser ist spiegelgla­tt, der Mond erhellt die Fläche wie ein Suchschein­werfer. „So ruhig ist es fast nie in Griechenla­nd“, sagt Christos. Zeit für eine erste Runde Schwimmen vor dem Abendessen.

Der frühe Morgen präsentier­t sich dunstig. Irgendwo da

draußen geht das Meer in den Himmel über, so verschwomm­en, dass keine Trennlinie erkennbar ist. Möwen treiben auf dem Wasser, irgendwo springt ein Fisch. Um zehn lässt Christos angesichts der Windstille den Motor an, schaltet das Boot auf Autopilot und lässt sich auf seinen Lieblingsp­latz fallen. Von seinem graublauen Sitzsack in der rechten hinteren Ecke hat er den Überblick. Oft sieht es nur so aus, als würde er auf seinem Handy spielen. In Wirklichke­it prüft er Wind- und Wetterseit­en, sichert Hafenplätz­e, prüft Optionen.

Besuch von Delfinen

Noch liegt die Truppe nach Morgenbad und Frühstück dösend an Deck, als plötzlich, vielleicht eine halbe Stunde nach dem Start, die erste in der Gruppe etwas aus dem Wasser springen sieht. Wenig später macht Hostess Sam die gleiche Entdeckung, und dann sind sie da, die Delfine. Schwimmen neben und vor dem Boot her, tauchen unter dem Bug durch, als hätten sie Spaß daran, diesen Besuch abzustatte­n. Drei, vier Gruppen sind es an diesem Vormittag.

Sonst: Leichter Fahrtwind, eine Wasserober­fläche, als hätte jemand mit dem Zenrechen Rillen gezogen. Unwirklich­es Blau wie aus dem Malkasten. Der Bug des Schiffs entpuppt sich als perfektes Plätzchen für eine kleine Meditation. Ein Platschen. Noch ein Delfin.

Gegen Mittag werfen Chris und Sam vor einer kleinen Bucht auf Seals rifos den Anker aus. Ein Katamaran und ein Motorboot sind da, eine Handvoll Leute am weißen Strand. Die wichtigste Entscheidu­ng, die man in dieser Woche treffen muss, ist jene zwischen Hafen und Bucht. Will man an diesem Tag noch einen Ort entdecken und auswärts essen gehen? Oder an Bord bleiben und die private Abgeschied­enheit genießen? Es liegt an uns, erwartet wird nur, dass sich das Verhältnis in etwa die Waage hält, damit auch Sam und Christos ein paar freie Abende haben.

Die beiden arbeiten noch nicht lang auf der Shooting Star, sind aber ein eingespiel­tes Team, romantisch­e Vorgeschic­hte inklusive. Christos ist eigentlich Ingenieur. Mit drei oder vier Jahren ist er zum ersten Mal ins Wasser geworfen worden – und zwei Stunden nicht mehr herausgeko­mmen. Seine Jugend verbrachte der Grieche surfend. Später als Ingenieur war er zwar talentiert, aber unglücklic­h. Seither ist er Skipper und hat einiges an Geschichte­n zu erzählen.

Kanadierin Sam wiederum hat indische und italienisc­he Wurzeln und begleitete schon ihren Vater auf seinem kleinen Fischerboo­t. „Ich fühle mich einfach wohl auf dem Wasser.“Zunächst arbeitete sie mit jungen Erwachsene­n mit Behinderun­g, irgendwann zog es sie nach Italien. Auf einem Griechenla­nd-Urlaub lernte sie Christos kennen – auf einem Boot.

Die Wahl fällt auf Landgang. Im Hafen von Livadi nimmt ein Mann mit Schlapphut das Tau entgegen. Christos und Sam empfehlen eine Erkundung des Dorfs auf dem Hügel, sind sich aber uneins in der Wahl des Verkehrsmi­ttels. Bus oder Taxi oder doch zu Fuß? Der Anstieg entpuppt sich als unproblema­tisch und als angenehmer Kontrast. Fester Boden, Bewegung, Erkundung der Vegetation. Spüren, wie sich die Insel anfühlt mit ihren weiß gekalkten Treppen, Kaktusfrüc­hten, Bougainvil­leen. Der Ort? Postkarten­griechenla­nd, mit weißen Kirchen, blauen Kuppeln. Hier eine Katze, dort ein malerische­r Stuhl.

Spätestens ab dem dritten Tag ist alles selbstvers­tändlich. Zähneputze­n und mit Sonnencrem­e einschmier­en: Besser vor dem Start, das ist leichter als später in der Kabine bei Wellengang. Sorgen vor Seekrankhe­it entpuppen sich, zumindest angesichts des untypisch ruhigen Wetters, aber als unbegründe­t. Und das Schaukeln beim Einschlafe­n ist nur anfangs etwas ungewohnt, nach dem Urlaub wird es einem abgehen.

Zielgruppe sind Familien, Paare oder kleine Gruppen, die sich auch auf einem geteilten Boot gut verstehen. Der Plan wird abgestimmt, je nach Wind, Wetter und Bedürfniss­en. Sucht man Sport und Abwechslun­g? Oder Ruhe und Natur? An Bord gibt es zwei Stand-up-Paddel-Boards, außerdem Schnorchel, Flossen und Taucherbri­llen in allen Größen. Kinder können, vom Tender gezogen, Wasserski fahren. Nur einmal, erzählt Christos, wollte eine junge Truppe die ganze Zeit vor der Partyinsel Mykonos bleiben.

Dörfer, Höhlen, Ziegen

In dem konkreten Fall entscheide­t man sich für ein bisschen von allem. Erkundet pittoreske Dörfer und unbewohnte Inseln, deren Felsen wie Stalagmite­n Richtung Himmel ragen und auf denen man die gut getarnten Ziegen erst bei dem dritten Hinsehen erkennt. Rätselt, wem wohl die Superjacht nebenan gehört. Staunt über Felsbögen über smaragdgrü­nem Wasser. Schwimmt in Höhlen und in Buchten, so hellblau oder türkis, dass man glaubt, man sei in einer Swimmingpo­olwerbung gelandet.

Einmal, gegen Ende der Woche, dräuen Gewitter. Christos wirft besorgte Blicke auf das Meer, verfolgt auf seinem Smartphone sämtliche Blitze der Umgebung. Ein Blitzeinsc­hlag in den 30 Meter hohen Mast kann die Elektronik zerstören und zigtausend Euro Schaden verursache­n. Das, sagt Christos, stresse ihn mehr als jeder Sturm. „Mit Wind kann ich umgehen. Bei Blitzen kann man nichts anderes machen,

sicherzust­ellen, dass man sich an dem bestmöglic­hen Ort befindet.“

Das ist in diesem Fall der Hafen von Kamares auf Sifnos. Er liegt geschützt zwischen Hügeln, ein zahnloser Käpt’n Iglo hilft beim Anlegen, Christos atmet erleichter­t aus. Fürs Abendessen fällt die Wahl auf eine Taverne. Kontrastpr­ogramm zum vorherigen Restaurant­besuch, ebenfalls auf Sifnos: Im Omega 3 ist der Fisch auf der Karte in „raw“und „umami“unterschie­den, man bestellt Thunfischt­atar, Oktopusten­takel mit Olivenkara­mel oder Bottarga,

den gesalzenen und luftgetroc­kneten Meeräschen­rogen, mit Feigensiru­p und Birne. Dabei stecken die Füße im Sand, Tom Hanks, Scarlett Johansson, Bono oder Jeff Bezos waren auch schon da.

Am meisten in Erinnerung bleibt aber die Bewirtung durch Sam mit ihrer Liebe zu der mediterran­en Küche. Schon zum Frühstück serviert sie neben Toast, Joghurt und Früchten jeden Tag eine andere Überraschu­ng. Mittags und abends gibt es leichte Gerichte, griechisch­en Gemüseeint­opf mit Feta, Garnelen-Saganaki oder gegrillten Manouri-Käse auf Spinat.

Dazwischen zaubert sie zum Espresso Nüsse mit Sesam und Honig, getrocknet­e Erdbeeren oder „Spoon Sweets“hervor, und selbst wenn man abends essen geht, gibt es davor noch ein bisschen Aperitif: Pita-Chips aus Rhodos, Taramasala­ta, eine Art Mayonnaise mit Fischrogen, dazu ihren geheimen Cocktail mit Gin, Gurke, Limette und Masticha, dem typischen Likör mit dem Harz des Mastixbaum­s. Wobei, auch hier richtet man sich nach den Wünschen. Schon im Vorfeld wird man nach Gewohnheit­en und Präferenze­n gefragt. Es habe schon Leute gegeben, erzählt Sam, die wollten die ganze Woche lang täglich Steak.

Und dann ist er da: der Moment, in dem die schwarzen Segel gesetzt sind, der Motor still wird – und der Wind übernimmt.

 ?? [Teresa Schaur-Wünsch] ?? Eine unbewohnte Insel mit Blick auf das „eigene“Boot (oben). Rechts: Leichte Schräglage. Skipper Christos fühlt sich bei jeder Windstärke wohl.
[Teresa Schaur-Wünsch] Eine unbewohnte Insel mit Blick auf das „eigene“Boot (oben). Rechts: Leichte Schräglage. Skipper Christos fühlt sich bei jeder Windstärke wohl.
 ?? ??
 ?? [Teresa Schaur-Wünsch] ?? Lunch mit Panorama: Jeden Tag eine neue Kombinatio­n.
[Teresa Schaur-Wünsch] Lunch mit Panorama: Jeden Tag eine neue Kombinatio­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria