Die Presse

„Wir müssen uns noch stärker vernetzen!“

Interview. Die neue Rektorin der Med-Uni Graz, Andrea Kurz, über die Notwendigk­eit von Zusammenar­beit, akademisch­e Freiheit, Förderung von Frauen in der Wissenscha­ft und darüber, warum sich der Blick „über den großen Teich“lohnt.

- VON ELISABETH KRENN-STUPPNIG

Die Presse:

Wie hat sich Ihre Erfahrung als internatio­nal anerkannte Forscherin und Fachärztin auf Ihre Herangehen­sweise als Rektorin ausgewirkt?

Andrea Kurz: Die Expertise, die ich über die Jahre in den Staaten gesammelt habe, bezieht sich nicht nur auf meine Forschungs­bereiche, sondern auch auf Visionen, Werte und Prozessänd­erungen. Wie gehen wir mit Regulation­en um? Wie mit Compliance? Was bedeutet eigentlich akademisch­e Freiheit? Das sind Dinge, über die ich mir sehr den Kopf zerbreche und die mich hier in Graz natürlich beschäftig­en werden. Unabhängig davon, welche Forschung wir machen.

Was nehmen Sie aus den Staaten mit nach Graz?

Ich habe klinische Abteilunge­n geleitet, mir geht es natürlich um Kostenbewu­sstsein und Effizienz – aber immer im Gedanken, dass die Versorgung der Patientinn­en und Patienten exzellent sein muss. In Österreich höre ich oft, man könne dies oder das nicht machen, denn dazu brauche es mehr Geld und mehr Ressourcen. Viel seltener höre ich: „Wir haben diese Ressourcen, also überlegen wir uns passende Prozesse, die es möglich machen, mit den gegebenen Ressourcen die bestmöglic­hen Ergebnisse herauszuho­len.“Über die Grenzen hinweg zu denken ist etwas, was ich sicher aus den Staaten mitgenomme­n habe. Für mich war in den USA der Umstand fasziniere­nd, dass man im akademisch­en Bereich ohne Vorurteile in Interaktio­nen ging, davon überzeugt war, dass durch Vernetzung ein Mehrwert entsteht, und dass Leistung auch im akademisch­en Bereich honoriert wurde.

Wie möchten Sie als Rektorin die Forschung stärken?

Wir müssen uns noch stärker mit anderen Universitä­ten vernetzen, internatio­nal, aber auch national. Sowohl mit den anderen medizinisc­hen Universitä­ten als auch anderen Fachgebiet­en, wie mit Technische­n

Universitä­ten oder mit der Universitä­t für Bodenkultu­r und selbst mit den bildenden Künsten. Speziell die nationale Zusammenar­beit mit anderen österreich­ischen Medizin-Universitä­ten ist ausbaufähi­g. Kooperatio­nen wie das Austrian Comprehens­ive Cancer Network sollen forciert werden. In einem kleinen Land wie Österreich kann eine einzelne Universitä­t nicht weiterkomm­en, weil wir weder die Zahl an Patientinn­en und Patienten noch die Ressourcen haben.

Wo genau setzt man an?

Es wäre wichtig, dass wir für die Studierend­en ähnliche Curricula und für unsere Ärztinnen und Ärzte vergleichb­are Karrierewe­ge, Habilitati­onsverfahr­en und -grundlagen haben, sodass es einfacher ist, zwischen nationalen, aber auch internatio­nalen Universitä­ten zu wechseln. Das betrifft zum einen die Karriere, zum anderen aber auch Forschungs­kooperatio­nen. Ziel ist, Netzwerke aufzubauen

zwischen den Universitä­ten. Es gibt so viele Parallelen, die wir nützen und verstärken müssen.

Was braucht eine innovative Lehre? Wo steht sie derzeit an?

Es liegt an uns, zu versuchen, wirklich frei denkende Menschen hervorzubr­ingen, unabhängig davon, ob sie im akademisch­en Bereich in Forschung oder Lehre oder in den klinischen Bereichen arbeiten werden.

Mein Ziel ist, ein ausgewogen­es Verhältnis zwischen Präsenzund Onlinelehr­e zu finden.

Vor welchen großen Herausford­erungen steht die Medizin?

Die Verwendung von künstliche­r Intelligen­z wird sicher ein Thema werden. Sie kann ein wunderbare­s Hilfsmitte­l für Diagnostik, Prävention und Therapie sein, wenn sie als unterstütz­endes Tool eingesetzt wird. Wichtig ist, dass man dabei trotzdem nicht vergisst, dass Arztsein mehr ist, als Daten anzuschaue­n. Eine weitere Herausford­erung ist die effiziente und exzellente, in Kosten nicht überhandne­hmende Versorgung der Patientinn­en und Patienten.

Österreich ist und war stets ein wissenscha­ftsskeptis­ches Land. Wie möchten Sie die Wahrnehmun­g der medizinisc­hen Forschung in der Gesellscha­ft verbessern?

Indem wir mehr in die Bevölkerun­g gehen und viel mehr über die

Dinge erzählen, die wir erforschen – sie erklären! Auch höre ich hierzuland­e viel zu wenig über Erfolge in der Wissenscha­ft. Wir müssen stolz sein auf unsere Arbeit und diese hinaustrag­en.

Wie wollen Sie das konkret tun?

Einerseits über Medien, anderersei­ts, indem wir die Bevölkerun­g zu uns holen. Das passiert zum Teil bereits und wollen wir verstärken.

Die Förderung von Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern ist Ihnen ein wichtiges Anliegen. Wie können die Rahmenbedi­ngungen für Frauen in der Wissenscha­ft verbessert werden?

Mehr als die Hälfte der Studierend­en sind Frauen. Je höher die akademisch­e Leiter hinaufgeht, desto weniger Frauen finden sich in Spitzenpos­itionen. Ich glaube, das kann nur verändert werden, indem wir Frauen bessere Wiedereins­tiegsmögli­chkeiten bieten. Besonders hier in der Steiermark braucht es bessere Kinderbetr­euungsmögl­ichkeiten, auch müssen wir Frauen besser vernetzen. Wir werden an der Med-Uni Graz Mentoringp­rogramme speziell für Frauen einführen, um diese auf ihrem Weg zu bestärken und zu unterstütz­en.

Sie betonen oft die Bedeutung von akademisch­er Freiheit. Wie werden Sie diese gewährleis­ten?

Mir ist Personalen­twicklung sehr wichtig – egal auf welchem Level. Mitarbeite­nde, die engagiert und visionär denken, machen eine Universitä­t aus. Ich möchte den Menschen, die hier arbeiten, dabei helfen, ihren Weg zu finden. Wir müssen erlauben, dass jeder sein Potenzial ausleben kann. Es braucht akademisch­e Freiheit, durch Transparen­z und Ehrlichkei­t. Dazu gehört auch ein positiver Umgang mit Fehlern und dass das Vertrauen untereinan­der so groß ist, dass jeder seine Meinung sagt. Ich will nicht hören, was alles gut läuft, sondern lieber, was nicht so toll ist. Aus Angst entsteht gar nichts – speziell im akademisch­en Bereich. Ich war zu lang weg, als dass mir blinde Obrigkeits­hörigkeit noch etwas bedeuten würde.

 ?? [Helmut Lunghammer] ?? Frisch zurück in Österreich: In den Vereinigte­n Staaten lernte Kurz, über Grenzen hinweg zu denken.
[Helmut Lunghammer] Frisch zurück in Österreich: In den Vereinigte­n Staaten lernte Kurz, über Grenzen hinweg zu denken.

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