„Wir müssen uns noch stärker vernetzen!“
Interview. Die neue Rektorin der Med-Uni Graz, Andrea Kurz, über die Notwendigkeit von Zusammenarbeit, akademische Freiheit, Förderung von Frauen in der Wissenschaft und darüber, warum sich der Blick „über den großen Teich“lohnt.
Die Presse:
Wie hat sich Ihre Erfahrung als international anerkannte Forscherin und Fachärztin auf Ihre Herangehensweise als Rektorin ausgewirkt?
Andrea Kurz: Die Expertise, die ich über die Jahre in den Staaten gesammelt habe, bezieht sich nicht nur auf meine Forschungsbereiche, sondern auch auf Visionen, Werte und Prozessänderungen. Wie gehen wir mit Regulationen um? Wie mit Compliance? Was bedeutet eigentlich akademische Freiheit? Das sind Dinge, über die ich mir sehr den Kopf zerbreche und die mich hier in Graz natürlich beschäftigen werden. Unabhängig davon, welche Forschung wir machen.
Was nehmen Sie aus den Staaten mit nach Graz?
Ich habe klinische Abteilungen geleitet, mir geht es natürlich um Kostenbewusstsein und Effizienz – aber immer im Gedanken, dass die Versorgung der Patientinnen und Patienten exzellent sein muss. In Österreich höre ich oft, man könne dies oder das nicht machen, denn dazu brauche es mehr Geld und mehr Ressourcen. Viel seltener höre ich: „Wir haben diese Ressourcen, also überlegen wir uns passende Prozesse, die es möglich machen, mit den gegebenen Ressourcen die bestmöglichen Ergebnisse herauszuholen.“Über die Grenzen hinweg zu denken ist etwas, was ich sicher aus den Staaten mitgenommen habe. Für mich war in den USA der Umstand faszinierend, dass man im akademischen Bereich ohne Vorurteile in Interaktionen ging, davon überzeugt war, dass durch Vernetzung ein Mehrwert entsteht, und dass Leistung auch im akademischen Bereich honoriert wurde.
Wie möchten Sie als Rektorin die Forschung stärken?
Wir müssen uns noch stärker mit anderen Universitäten vernetzen, international, aber auch national. Sowohl mit den anderen medizinischen Universitäten als auch anderen Fachgebieten, wie mit Technischen
Universitäten oder mit der Universität für Bodenkultur und selbst mit den bildenden Künsten. Speziell die nationale Zusammenarbeit mit anderen österreichischen Medizin-Universitäten ist ausbaufähig. Kooperationen wie das Austrian Comprehensive Cancer Network sollen forciert werden. In einem kleinen Land wie Österreich kann eine einzelne Universität nicht weiterkommen, weil wir weder die Zahl an Patientinnen und Patienten noch die Ressourcen haben.
Wo genau setzt man an?
Es wäre wichtig, dass wir für die Studierenden ähnliche Curricula und für unsere Ärztinnen und Ärzte vergleichbare Karrierewege, Habilitationsverfahren und -grundlagen haben, sodass es einfacher ist, zwischen nationalen, aber auch internationalen Universitäten zu wechseln. Das betrifft zum einen die Karriere, zum anderen aber auch Forschungskooperationen. Ziel ist, Netzwerke aufzubauen
zwischen den Universitäten. Es gibt so viele Parallelen, die wir nützen und verstärken müssen.
Was braucht eine innovative Lehre? Wo steht sie derzeit an?
Es liegt an uns, zu versuchen, wirklich frei denkende Menschen hervorzubringen, unabhängig davon, ob sie im akademischen Bereich in Forschung oder Lehre oder in den klinischen Bereichen arbeiten werden.
Mein Ziel ist, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Präsenzund Onlinelehre zu finden.
Vor welchen großen Herausforderungen steht die Medizin?
Die Verwendung von künstlicher Intelligenz wird sicher ein Thema werden. Sie kann ein wunderbares Hilfsmittel für Diagnostik, Prävention und Therapie sein, wenn sie als unterstützendes Tool eingesetzt wird. Wichtig ist, dass man dabei trotzdem nicht vergisst, dass Arztsein mehr ist, als Daten anzuschauen. Eine weitere Herausforderung ist die effiziente und exzellente, in Kosten nicht überhandnehmende Versorgung der Patientinnen und Patienten.
Österreich ist und war stets ein wissenschaftsskeptisches Land. Wie möchten Sie die Wahrnehmung der medizinischen Forschung in der Gesellschaft verbessern?
Indem wir mehr in die Bevölkerung gehen und viel mehr über die
Dinge erzählen, die wir erforschen – sie erklären! Auch höre ich hierzulande viel zu wenig über Erfolge in der Wissenschaft. Wir müssen stolz sein auf unsere Arbeit und diese hinaustragen.
Wie wollen Sie das konkret tun?
Einerseits über Medien, andererseits, indem wir die Bevölkerung zu uns holen. Das passiert zum Teil bereits und wollen wir verstärken.
Die Förderung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist Ihnen ein wichtiges Anliegen. Wie können die Rahmenbedingungen für Frauen in der Wissenschaft verbessert werden?
Mehr als die Hälfte der Studierenden sind Frauen. Je höher die akademische Leiter hinaufgeht, desto weniger Frauen finden sich in Spitzenpositionen. Ich glaube, das kann nur verändert werden, indem wir Frauen bessere Wiedereinstiegsmöglichkeiten bieten. Besonders hier in der Steiermark braucht es bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten, auch müssen wir Frauen besser vernetzen. Wir werden an der Med-Uni Graz Mentoringprogramme speziell für Frauen einführen, um diese auf ihrem Weg zu bestärken und zu unterstützen.
Sie betonen oft die Bedeutung von akademischer Freiheit. Wie werden Sie diese gewährleisten?
Mir ist Personalentwicklung sehr wichtig – egal auf welchem Level. Mitarbeitende, die engagiert und visionär denken, machen eine Universität aus. Ich möchte den Menschen, die hier arbeiten, dabei helfen, ihren Weg zu finden. Wir müssen erlauben, dass jeder sein Potenzial ausleben kann. Es braucht akademische Freiheit, durch Transparenz und Ehrlichkeit. Dazu gehört auch ein positiver Umgang mit Fehlern und dass das Vertrauen untereinander so groß ist, dass jeder seine Meinung sagt. Ich will nicht hören, was alles gut läuft, sondern lieber, was nicht so toll ist. Aus Angst entsteht gar nichts – speziell im akademischen Bereich. Ich war zu lang weg, als dass mir blinde Obrigkeitshörigkeit noch etwas bedeuten würde.