Die Presse

Türkiser Schwenk auf blaue Idee

Kein „politische­r Aktionismu­s“sollte laut Frauenmini­sterin Raab den jüngsten Gewalttate­n folgen. Kanzler Nehammer will ihn im Kampf mit der FPÖ offenbar doch – und fordert niedrigere Strafmündi­gkeit.

- VON JULIA WENZEL

Die Ersten waren die Freiheitli­chen vor etwas mehr als einer Woche. Noch vor dem Bekanntwer­den der seriellen sexuellen Nötigung und (Gruppen-)Vergewalti­gung einer 12-jährigen Wienerin durch 17 zum Teil unmündige Täter forderte die FPÖ eine Verschärfu­ng der Strafmündi­gkeit von Jugendlich­en: Auch unter 14-Jährige sollten angesichts von 10.745 Anzeigen, die 2023 gegen unter 14-Jährige eingebrach­t wurden, Haftstrafe­n bekommen können. Am Sonntag schwenkte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) nun auf eine ähnliche Linie: Gegenüber der „Kronen Zeitung“erklärte er, dass er darüber nachdenke, das Alter der Strafmündi­gkeit senken zu wollen.

„Wir müssen schonungsl­os darüber sprechen, was falsch läuft und wo der Rechtsstaa­t nicht genügend Möglichkei­ten bietet einzuschre­iten“, wurde Nehammer zitiert. Dafür habe er Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler und Innenminis­ter Gerhard Karner (beide ÖVP) beauftragt, diverse Ideen zu „prüfen“. Das wird auf Nachfrage der „Presse“in Edtstadler­s Ressort bestätigt. Es liege auf der Hand, dass angesichts des schrecklic­hen Vorfalls „mehr Aufmerksam­keit“auf Jugendkrim­inalität und -banden gelegt werden müsse. Es werde aber nicht „die eine Maßnahme“geben. Verwiesen wird auch auf den Schulberei­ch oder das Innenresso­rt.

Ob aus dem Vorstoß ein konkretes Gesetzesvo­rhaben wird, ist aber fraglich. Denn außer der FPÖ sind alle anderen Parteien gegen eine Herabsetzu­ng des Strafalter­s. Auch der Koalitions­partner: Der aktuelle Fall sei „erschütter­nd“, sagt die grüne Justizspre­cherin Agnes Prammer zur „Presse“. Man halte aber nichts davon, „im berechtigt­en Schock über diese Tat Anlassgese­tzgebung zu machen“. Das Ziel müsse sein, dass so etwas nicht passieren kann. Prammer führt die Einbindung der Schulen, des sozialen Umfelds und der Eltern sowie profession­elle Unterstütz­ung ins Treffen, die auch die Länder fordere.

Geballte ÖVP-Kommunikat­ion

Ähnlich argumentie­rten vor einer Woche SPÖ und Neos anlässlich der blauen Forderung. Das wohlwissen­d, fiel die akkordiert­e Kommunikat­ion der ÖVP am Sonntag besonders auf. Obwohl Frauen- und Integratio­nsminister­in Susanne Raab (ÖVP) infolge der sechs Tötungsdel­ikte an Frauen vom vergangene­n Wochenende noch am Freitag dafür plädierte, „nicht in politische­n Aktionismu­s zu verfallen“, verfiel sie diesem 48 Stunden später quasi selbst: Es sei „menschenve­rachtend und zutiefst verstörend, was da für ein fürchterli­ches Frauenbild in den Köpfen dieser Burschen herrschen muss, das in diesem Fall auch über Migration aus anderen Kulturen importiert wird“, schrieb Raab infolge der Kanzlerfor­derung auf der Kurznachri­chtenplatt­form

X. Sie halte Straffreih­eit aufgrund des Alters „bei solch bestialisc­hen“Straftaten für „falsch“. Sollten Eltern nicht dafür sorgen, dass ihre Kinder wissen, was richtig und falsch sei, „muss der Staat eingreifen. In Extremfäll­en auch mit harten Maßnahmen.“Welche sie meine, ließ ihr Büro auf Nachfrage offen. Im ÖVP-Jugendstaa­tssekretar­iat zeigte man sich mit dem Vorstoß ebenso einverstan­den: Es dürfe nicht sein, dass wir bei solchen „grauenvoll­en Taten und bei minderjähr­igen Wiederholu­ngstätern tatenlos zusehen müssen“, sagt Staatssekr­etärin Claudia Plakolm zur „Presse“.

Ist das juristisch umsetzbar?

Ein Blick in andere Länder zeigt, dass die Strafmündi­gkeit auch weit unter 14 liegen kann. In der Schweiz sind Kinder schon ab zehn Jahren strafmündi­g, Freiheitss­trafen dürfen über sie aber erst ab 16 verhängt werden. Die FPÖ verweist u. a. auf Wales und Nordirland, wo Kinder ebenfalls ab dem vollendete­n zehnten Lebensjahr strafmündi­g sind, in Schottland gar ab acht Jahren. Als begleitend­e Maßnahmen denken die Blauen auch über eine richterlic­h angeordnet­e „Schnupperh­aft“oder Gespräche mit Gefängnisi­nsassen nach. In Deutschlan­d, wo das Strafalter ebenfalls bei 14 liegt, hat es im Vorjahr einen ähnlichen Vorstoß der CDU nach der Tötung einer Zwölfjähri­gen durch eine Zwölf- und eine 13-Jährige gegeben.

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