Die Presse

Der Kurz-Prozess färbt auch auf das Verfahren von Sophie Karmasin ab

Am Mittwoch könnte das Karmasin-Urteil rechtskräf­tig werden. Kommt es zu einer neuen Anklage – Inserate-Affäre –, zählen die Lehren aus der Causa Kurz.

- VON MANFRED SEEH E-Mails an: manfred.seeh@diepresse.com

Nun fließt alles ineinander. Noch während die Debatte um das Falschauss­age-Verfahren gegen Sebastian Kurz (ÖVP) läuft, steht das nächste Großereign­is vor der Tür: Am kommenden Mittwoch entscheide­t der Oberste Gerichtsho­f (OGH) über die von Ex-Familienmi­nisterin Sophie Karmasin (von der ÖVP nominiert) eingebrach­ten Rechtsmitt­el.

Zur Erinnerung: Die Meinungsfo­rscherin stand wegen schweren Betrugs (Vorwurf: unerlaubte Gehaltsfor­tzahlungen) und wettbewerb­sbeschränk­ender Absprachen im Zusammenha­ng mit der Erstellung von Studien für das Sportminis­terium vor Gericht. Letzteres trug ihr eine Verurteilu­ng zu 15 Monaten bedingter Haft ein.

Wie auch immer nun das OGH-Verdikt ausfällt – Karmasin wird weiter bangen müssen. Denn sie ist auch Beschuldig­te in der Inserate-/Umfragen-Affäre: Boulevardz­eitungen sollen mit Inseraten – finanziert aus Steuergeld – gefüttert worden sein, damit sie im Gegenzug möglichst lobend über Sebastian Kurz schreiben. Und obendrein noch manipulier­te Meinungsum­fragen abdrucken.

Apropos Kurz. Der Ex-Kanzler, wegen Falschauss­age vor dem Ibiza-U-Ausschuss erstinstan­zlich zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt, fühlt sich ungerecht behandelt. Der Richter habe bei Bewertung des U-Ausschuss-Auftritts jedes Sterbenswö­rtchen auf die Goldwaage gelegt. Nun, die mündliche Urteilsbeg­ründung klang ein bisschen anders: Es sei nicht um Semantik, sondern um den Gesamteind­ruck gegangen.

Mittlerwei­le steht Richter Michael Radasztics voll im Mittelpunk­t. Er war früher Staatsanwa­lt, ermittelte in Sachen Eurofighte­r und verriet dem vormaligen Grünen Peter Pilz, dass es eine Weisung zur Rückstellu­ng bestimmter Akten gegeben habe. Unter anderem deshalb kassierte Radasztics eine Disziplina­rstrafe. Dies kam drei Tage nach Ende des Kurz-Prozesses heraus. So tat sich eine Einfallspf­orte für die Politik auf. Man könne sich bei diesem Richter des Eindrucks nicht erwehren, dass er befangen sein könne, trommelte die ÖVP. Zuletzt beteiligte sich auch die Richterver­einigung am Kampf um die Deutungsho­heit und nahm (wenig überrasche­nd) Radasztics in Schutz. Wenn auch das Befangenhe­itsthema einer Klärung durch die nächste Instanz harrt, liegen bereits zwei Lehren aus dem Kurz-Prozess auf dem Tisch. Beide sind für die Aufarbeitu­ng der Inserate-Affäre relevant.

Lehre Nummer eins: Wenn ein Richter auch nur in die Nähe einer möglichen Befangenhe­it kommt (für einen Ausschluss des Richters genügt auch schon der Anschein der Befangenhe­it), tut er gut daran, von sich aus möglichst offensiv zu kommunizie­ren (dies schließt auch eine Einbindung des Präsidiums jenes Gerichts ein, dem der Richter angehört).

Lehre Nummer zwei: Der Joker der WKStA sticht. Da Kurz deshalb der Falschauss­age schuldig erkannt wurde, weil das Gericht den Kronzeugen in spe, Ex-Öbag-Vorstand Thomas Schmid, als glaubwürdi­g eingestuft hat, müssen logischerw­eise auch die Beschuldig­ten der Inserate-Affäre bangen. Zu diesen gehört eben Karmasin (und ja, auch Kurz selbst).

Womit wir wieder bei Karmasin wären: Wenn die Ex-Ministerin am Mittwoch vor den OGH zieht, hat sie eine äußerst umfangreic­he Nichtigkei­tsbeschwer­de ihres Anwalts Norbert Wess im Gepäck. Dieser argumentie­rt: Karmasin sei zwar vom Sportminis­terium beauftragt worden, Studien zu erstellen, aber nicht im Rahmen eines formellen Wettbewerb­s. Daher habe es auch keine wettbewerb­sbeschränk­enden Absprachen gegeben.

Die Generalpro­kuratur, die höchste Staatsanwa­ltschaft der Republik, hält die Nichtigkei­tsbeschwer­de allerdings für unberechti­gt (ein für Karmasin beunruhige­ndes Vorzeichen). Wenn der OGH der Prokuratur folgt und Karmasins Schuldspru­ch rechtskräf­tig wird, ergeben sich gleich noch zwei Lehren. Die erste würde aus dem OGH-Spruch selbst hervorgehe­n. Da es praktisch keine höchstgeri­chtliche Judikatur zum Thema „Absprachen im Vergabever­fahren“gibt, läge ab Mittwoch eine wegweisend­e Entscheidu­ng vor. Mit der zweiten wäre Folgendes belegt: Die Mühlen der Justiz mahlen zwar (immer noch) langsam – aber sie mahlen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria