Was Putin und Netanjahu von Nordirland lernen können
Bertie Ahern, der irische Ex-Premier, referierte in der Diplomatischen Akademie über die Lehren aus dem Karfreitagsabkommen. Entscheidend sei der Einfluss der externen Akteure gewesen. Zudem war die politische Konstellation günstig.
„Ich war einmal in einer Verhandlungsrunde, und einer der Gesprächspartner kam zu mir und sagte: ,Du bist der Einzige, der hier kein Mörder ist.‘“So erinnert sich Bertie Ahern an das harte Ringen, das vor beinahe 26 Jahren zum Karfreitagsabkommen in Nordirland geführt hat.
Viele hatten damals Blut an den Händen, allen voran Martin McGuinness, einer der IRA-Führer, im Übrigen ein Opernliebhaber. Mit Hang zur Anekdote referierte Ahern, der irische Ex-Premier – in Gälisch: Taoiseach –, kürzlich in der Diplomatischen Akademie (DA) in Wien über den Friedensprozess in Nordirland und die Lehren für heute. Die wichtigste und schwierigste Lektion des Verfechters der irischen Neutralität: „Lasst die Geschichte hinter euch.“
Emil Brix, DA-Chef und Ex-Botschafter in Großbritannien, qualifiziert das Karfreitagsabkommen zwischen Irland, Großbritannien und den erbitterten Streitparteien als „größte Erfolgsgeschichte der Diplomatie“der jüngeren Zeit. Attentate der katholischen Republikaner
und der protestantischen Unionisten während der bürgerkriegsähnlichen „Troubles“hatten das Gesprächsklima vergiftet und Rückschläge zur Folge gehabt.
Mitte der 1990er-Jahre war die Konstellation indes günstig. Ohne externe Player wären die Verhandlungen nicht in Gang gekommen, resümiert Ahern. Er spielt auf die Rolle der USA und der EU an. Allein im USSenat hätten acht Abgeordnete irische Wurzeln gehabt, darunter Joe Biden und Ted Kennedy. US-Präsident Bill Clinton und Tony Blair als frisch gewählter britischer Premier hätten sich mit Feuereifer in die Gespräche gestürzt.
Die Rolle des George Mitchell
Ahern hob den Part des US-Sondergesandten George Mitchell hervor, des demokratischen Ex-Senators von irischer wie libanesischer Herkunft. Als Mitchell, frustriert von stockenden Verhandlungen, nach dem St. Patrick’s Day zur Geburt seines Kindes in die Heimat flog, habe er alles hinschmeißen wollen, plaudert Ahern aus. Seine Frau habe ihn gedrängt: „Versuch’s noch einmal.“Drei
Wochen später war der Durchbruch erzielt.
Im Nahost-Friedensprozess hat sich Mitchell indessen die Zähne ausgebissen – wie viele andere vor und nach ihm. 2011, nach zwei Jahren als Barack Obamas Sonderbotschafter, gab er auf. Weil Benjamin Netanjahu und Mahmoud Abbas kein Bier miteinander trinken? „Wenn es nur so einfach wäre“, repliziert Ahern auf die „Presse“-Frage. Irgendwann komme aber stets der Punkt, der die Chance für Verhandlungen eröffnet. Wobei für den Ukraine-Krieg – mehr als für den Gaza-Krieg – der Ausgang der US-Wahl im Herbst entscheidend sein könnte.
Wiedervereinigung keine ferne Vision
Eine Wiedervereinigung Irlands sieht er momentan nicht am Horizont. Angesichts des
Machtwechsels in Belfast sei dies aber keine ferne Vision. Laut Friedenspakt muss ein Referendum darüber befinden. Nach dem „BrexitDesaster“hätten die beiden Staaten einstweilen eine Übergangslösung gefunden, auch dank der Kooperation des britischen Premiers, Rishi Sunak.
Mit der Politik hat Bertie Ahern nach dem Rücktritt als Premier 2008 längst nicht abgeschlossen. Bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr peile der 72Jährige das höchste Staatsamt an, heißt es in Dublin. Für den früheren Taoiseach wäre es ein Comeback an der Staatsspitze. In der Zwischenzeit hat ihn seine jüngere Tochter, die Bestsellerautorin Cecelia Ahern, freilich in Sachen Ruhm und Popularität überflügelt.