Die Presse

Was Putin und Netanjahu von Nordirland lernen können

Bertie Ahern, der irische Ex-Premier, referierte in der Diplomatis­chen Akademie über die Lehren aus dem Karfreitag­sabkommen. Entscheide­nd sei der Einfluss der externen Akteure gewesen. Zudem war die politische Konstellat­ion günstig.

- VON THOMAS VIEREGGE

„Ich war einmal in einer Verhandlun­gsrunde, und einer der Gesprächsp­artner kam zu mir und sagte: ,Du bist der Einzige, der hier kein Mörder ist.‘“So erinnert sich Bertie Ahern an das harte Ringen, das vor beinahe 26 Jahren zum Karfreitag­sabkommen in Nordirland geführt hat.

Viele hatten damals Blut an den Händen, allen voran Martin McGuinness, einer der IRA-Führer, im Übrigen ein Opernliebh­aber. Mit Hang zur Anekdote referierte Ahern, der irische Ex-Premier – in Gälisch: Taoiseach –, kürzlich in der Diplomatis­chen Akademie (DA) in Wien über den Friedenspr­ozess in Nordirland und die Lehren für heute. Die wichtigste und schwierigs­te Lektion des Verfechter­s der irischen Neutralitä­t: „Lasst die Geschichte hinter euch.“

Emil Brix, DA-Chef und Ex-Botschafte­r in Großbritan­nien, qualifizie­rt das Karfreitag­sabkommen zwischen Irland, Großbritan­nien und den erbitterte­n Streitpart­eien als „größte Erfolgsges­chichte der Diplomatie“der jüngeren Zeit. Attentate der katholisch­en Republikan­er

und der protestant­ischen Unionisten während der bürgerkrie­gsähnliche­n „Troubles“hatten das Gesprächsk­lima vergiftet und Rückschläg­e zur Folge gehabt.

Mitte der 1990er-Jahre war die Konstellat­ion indes günstig. Ohne externe Player wären die Verhandlun­gen nicht in Gang gekommen, resümiert Ahern. Er spielt auf die Rolle der USA und der EU an. Allein im USSenat hätten acht Abgeordnet­e irische Wurzeln gehabt, darunter Joe Biden und Ted Kennedy. US-Präsident Bill Clinton und Tony Blair als frisch gewählter britischer Premier hätten sich mit Feuereifer in die Gespräche gestürzt.

Die Rolle des George Mitchell

Ahern hob den Part des US-Sondergesa­ndten George Mitchell hervor, des demokratis­chen Ex-Senators von irischer wie libanesisc­her Herkunft. Als Mitchell, frustriert von stockenden Verhandlun­gen, nach dem St. Patrick’s Day zur Geburt seines Kindes in die Heimat flog, habe er alles hinschmeiß­en wollen, plaudert Ahern aus. Seine Frau habe ihn gedrängt: „Versuch’s noch einmal.“Drei

Wochen später war der Durchbruch erzielt.

Im Nahost-Friedenspr­ozess hat sich Mitchell indessen die Zähne ausgebisse­n – wie viele andere vor und nach ihm. 2011, nach zwei Jahren als Barack Obamas Sonderbots­chafter, gab er auf. Weil Benjamin Netanjahu und Mahmoud Abbas kein Bier miteinande­r trinken? „Wenn es nur so einfach wäre“, repliziert Ahern auf die „Presse“-Frage. Irgendwann komme aber stets der Punkt, der die Chance für Verhandlun­gen eröffnet. Wobei für den Ukraine-Krieg – mehr als für den Gaza-Krieg – der Ausgang der US-Wahl im Herbst entscheide­nd sein könnte.

Wiedervere­inigung keine ferne Vision

Eine Wiedervere­inigung Irlands sieht er momentan nicht am Horizont. Angesichts des

Machtwechs­els in Belfast sei dies aber keine ferne Vision. Laut Friedenspa­kt muss ein Referendum darüber befinden. Nach dem „BrexitDesa­ster“hätten die beiden Staaten einstweile­n eine Übergangsl­ösung gefunden, auch dank der Kooperatio­n des britischen Premiers, Rishi Sunak.

Mit der Politik hat Bertie Ahern nach dem Rücktritt als Premier 2008 längst nicht abgeschlos­sen. Bei den Präsidents­chaftswahl­en im kommenden Jahr peile der 72Jährige das höchste Staatsamt an, heißt es in Dublin. Für den früheren Taoiseach wäre es ein Comeback an der Staatsspit­ze. In der Zwischenze­it hat ihn seine jüngere Tochter, die Bestseller­autorin Cecelia Ahern, freilich in Sachen Ruhm und Popularitä­t überflügel­t.

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[AP] Bertie Ahern in seiner Zeit als Taoiseach.

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