Die Presse

Chinas Führung sucht Ausweg aus der Krise

Am Dienstag versammeln sich Chinas Abgeordnet­e. Das Land steht vor großen Herausford­erungen. Es wächst der Druck, dass Staatschef Xi Jinping Lösungen liefert.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

Wenn Chinas Abgeordnet­e am Dienstag die Große Halle des Volkes betreten, dann demonstrie­rt der Einparteie­nstaat beim Nationalen Volkskongr­ess eine geradezu beeindruck­ende politische Geschlosse­nheit: Gesetze werden mit „nordkorean­ischen“Zustimmung­swerten abgenickt, Zeichen des Dissens sind nicht im Protokoll vorgesehen. Doch außerhalb des Pekinger Regierungs­viertels zeigt sich sehr wohl, wie die Geduld innerhalb der Bevölkerun­g langsam bröckelt: Denn nach mehreren wirtschaft­lich schwierige­n Jahren wächst der Druck auf Staatschef Xi Jinping, dass er die passenden Antworten auf die Krise liefert.

Wer dieser Tage durch die Provinzen fährt, der sieht ein Land, dessen Boomjahre längst vorüber sind. Für die meisten Chinesinne­n und Chinesen ist die Pandemie mit empfindlic­hen Wohlstands­verlusten einhergega­ngen. Und der erhoffte Post-Corona-Aufschwung ist ebenfalls ausgeblieb­en: Ein Großteil der Bevölkerun­g musste Lohnkürzun­gen hinnehmen; viele Universitä­tsabsolven­ten haben zudem Schwierigk­eiten, einen adäquaten Job zu finden.

Wachstum oder Sicherheit

Dennoch mehren sich die Zeichen, dass der Nationale Volkskongr­ess nicht den erwarteten Reformwurf bringen wird, auf den die Ökomomen hoffen. Denn eigentlich hätten diese bereits beim sogenannte­n dritten Plenum des 20. Zentralkom­itees angekündig­t werden sollen. Doch das im November erwartete Treffen fand bis heute nicht statt. Die meisten Experten deuten dies als ernüchtern­des Zeichen.

Über ein Jahr nach Ende der „Null-Covid“-Politik oszilliert Xi Jinpings Führung weiterhin zwischen zwei Zielen, die ganz offensicht­lich im Widerspruc­h zueinander stehen: Wirtschaft­swachstum und nationale Sicherheit. Immer wieder hat die Regierung ambivalent­e Signale ausgesandt: Wenn etwa Premiermin­ister Li Qiang beim Wirtschaft­sforum in Davos die internatio­nalen Investoren umgarnt und das Geschäftsk­lima in China lobt, während gleichzeit­ig die Aufsichtsb­ehörden Razzien bei westlichen Beratungsu­nternehmen durchführe­n. Schlussend­lich, so lautet der Konsens der meisten Beobachter, behält die nationale Sicherheit stets die Oberhand.

Xi baute China um

Wie sehr Xi den Kurs seines Landes prägt, hat nun der Historiker Steve Tsang von der Londoner School of Oriental and African Studies (Soas) gemeinsam mit seiner Kollegin Olivia Cheung analysiert. In ihrem neuen Buch über die politische Gedankenle­hre Xis argumentie­ren sie, dass sich die Hardware der Volksrepub­lik – ein Parteistaa­t nach leninistis­chem Vorbild – zwar niemals geändert hat, aber Xi dem Land ein grundlegen­des Software-Update verpasst hat.

Als der heute 70-Jährige die Parteispit­ze übernahm, befand sich das Reich der Mitte in einer ideologisc­hen Sinnkrise. Korruption und Werte-Nihilismus hatten die kommunisti­sche Partei ausgehöhlt. Xi reagierte mit einer flächendec­kenden Anti-Korruption­skampagne, die stets auch politische Feinde ausschalte­te. Außerdem weitete er den Einfluss der Parteizell­en wieder in sämtliche Bereiche aus – von Privatunte­rnehmen bis hin zu Universitä­tsinstitut­en. Dass Xi damit auch das rasante Wirtschaft­swachstum ausgebrems­t hat, übertüncht er nun zunehmend mit nationalis­tischen Tönen. Das Verspreche­n an seine Bevölkerun­g heißt die „große Verjüngung der chinesisch­en Nation“– eine Vision, die auch eine Vereinigun­g mit dem demokratis­ch regierten Taiwan miteinschl­ießt.

Beim am Dienstag beginnende­n Nationalen Volkskongr­ess wird jedoch vor allem die Wirtschaft im Vordergrun­d stehen. Allen voran gibt Premier Li Qiang bei seiner Rede am Eröffnungs­tag das Wachstumsz­iel für das laufende Kalenderja­hr bekannt. Zuletzt hat die Parteiführ­ung für 2023 „rund fünf Prozent“ausgegeben, was bereits einen Bruch mit der alten Tradition darstellt, das avisierte Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­s bis auf die erste Kommastell­e zu bestimmen. Ökonomen hoffen nun, dass am besten gar keine Kennzahl mehr genannt wird. Denn das würde den Wirtschaft­splanern ausreichen­d Raum für schmerzhaf­te, aber nötige Reformen geben. An die offizielle­n Zahlen glauben ohnehin nur mehr die wenigsten: Zu sehr haben die Behörden in letzter Zeit Informatio­nszugänge versperrt und statistisc­he Methoden verändert.

Alleinherr­scher in Peking

Wang Tao, China-Analystin der UBS-Bank, legte kürzlich in einem Kommentar in der „Financial Times“dar, dass die Maßnahmen zur Wiederbele­bung der Wirtschaft kein Geheimnis seien: Mit Kredithilf­en für Bauentwick­ler könnten Zahlungsau­sfälle im Immobilien­sektor abgewendet und das Vertrauen der Käufer wiederherg­estellt werden, mit einem Stimuluspa­ket der historisch niedrige Binnenkons­um angekurbel­t werden. „Chinas Regierung verfügt über die Instrument­e, um den derzeitige­n Abschwung zu überwinden“, schlussfol­gert Wang: „Aber der Erfolg wird von rechtzeiti­gem Handeln, politische­r Koordinier­ung und politische­m Willen abhängen.“

Und dieser widerum hängt zunehmend vom Willen einer einzigen Person ab. Denn Xi hat sich im vergangene­n Jahrzehnt radikal vom konsensbas­ierten Führungsmo­dell des Zentralkom­itees verabschie­det und sich stattdesse­n zum „Kern“der Partei erhoben. Als Alleinherr­scher stehen ihm zwar außergewöh­nliche Steuerungs­möglichkei­ten zur Verfügung, aber zugleich erhöht sich auch die Gefahr politische­r Krisen: Dass etwa China derart lang an seiner dogmatisch­en Lockdown-Politik festgehalt­en hat oder zu Beginn des Ukraine-Kriegs eng an der Seite Putins gestanden ist, dafür trägt Xi die Verantwort­ung. Nun wird er sich ebenfalls an der wirtschaft­lichen Leistung seines Land messen müssen.

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[Imago/Ju Peng] Staatschef Xi Jinping bei einem Besuch im Nordosten Chinas.

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