Kommt ein deutscher Immo-Crash in Zeitlupe?
Statt einer zeitnahen Berücksichtigung von aktuellen Marktwerten versuchen deutsche Sachverständige Marktschwankungen im Immobiliensektor eher zu glätten.
Als sich zuletzt Schlagzeilen über Bankenverluste wegen fauler Kredite für US-Gewerbeimmobilien mehrten, wischten viele deutsche Institute besorgte Nachfragen von Anlegern und Analysten mit dem Argument beiseite, dass die Darlehen ohnehin am Heimatmarkt vergeben wurden. Doch die unterschiedliche Praxis bei der Immobilienbewertung in Kontinentaleuropa und im angelsächsischen Raum hat zur Folge, dass die große Abrechnung womöglich noch aussteht. Und das vor allem in Deutschland. Die Banken des Landes sind stärker im Immobilienbereich engagiert als die meisten ihrer europäischen Wettbewerber, und es gibt Hinweise, dass sie in der Boomphase aggressiver Kredite vergeben haben.
Die Folge ist im schlimmsten Fall ein Crash in Zeitlupe, der Fahrt aufnimmt, wenn Krisenfirmen wie das insolvente Signa-Konglomerat oder der Wohnkonzern Adler zu Notverkäufen gezwungen sind und damit die Preise ganz plötzlich ins Rutschen kommen. Das könnte kleinere und mittlere Banken belasten, die nach der langen Durststrecke in Folge der Finanzkrise nun dank der Zinswende gerade im Aufwind waren. Hochrangige Aufseher bei der Europäischen Zentralbank sehen in Deutschland einen Risikoort für Gewerbeimmobilien.
„Dies ist definitiv nicht nur ein US-Problem“, sagt Valeriya Dinger, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Osnabrück. „Es würde mich nicht überraschen, wenn wir bei deutschen Banken eine Welle von Wertberichtigungen für ihr inländisches Gewerbeimmobilien-Engagement sehen würden“, sagte sie, auch wenn sie kein systemisches Risiko sieht. Deutsche und französische Banken sind besonders stark bei Krediten für Gewerbeimmobilien engagiert. Lange war nur ein kleiner Prozentsatz dieser Kredite in Schwierigkeiten, doch zuletzt steigt diese Quote an.
Dass sie in Deutschland dennoch vergleichsweise niedrig ist, liegt zum Teil an der Bewertungspraxis deutscher Immobiliengutachter. Obwohl diese auch nach internationalen Standards arbeiten, tendieren sie zu Techniken, die im Ergebnis Preisschwankungen glätten. Sie aktualisieren ihre Gutachten auch seltener als ihre Kollegen in den USA oder Großbritannien, sodass Probleme länger unter der Decke bleiben können. Kurzfristige Verstöße gegen Kreditbedingungen werden auch einmal hingenommen, in den USA ist das undenkbar.
Reserven aus Gewinnen bilden
Die unterschiedlichen Buchhaltungsphilosophien der angelsächsischen und der kontinentaleuropäischen Märkte sind auch aus anderen Bereichen bekannt. Sie laufen häufig auf die Frage hinaus, ob und unter welchen Bedingungen man in der Bilanz den aktuellen Marktwert oder den historischen Anschaffungswert ansetzt. Während der marktnahe Ansatz realistischer abbildet, was Vermögenswerte zu einem gegebenen Zeitpunkt wirklich wert sind, fördert er Volatilität und kann Panikverkäufe beschleunigen. Der konservativere deutsche Ansatz hingegen führt zu mehr Stabilität, kann aber auch Probleme so lange verschleiern, bis es zu spät ist.
Die Bankenaufsicht predigt den Banken schon seit Monaten, sich auf steigende Kreditverluste einzustellen. Die EZB drängt die Institute, auch Reserven aufzubauen. Die Finanzaufsicht Bafin sieht das Problem derzeit als eines, das zwar auf den Gewinnen lastet, nicht aber die Solvenz der Banken gefährdet. Die höheren Zinsen führen schließlich nicht nur zu Abwertungen bei den Gewerbeimmobilien, sondern sie haben den Banken auch Gewinne beschert, die helfen sollten, Verluste aufzufangen, sagt Bafin-Exekutivdirektorin Birgit Rodolphe.
„Gewerbeimmobilien sind ein viel kleinerer Bereich als Wohnimmobilien, und der Teil des Kuchens, der unter Druck steht, ist nochmal kleiner“, erklärt Rodolphe. „Es ist auch nicht so, dass sie wertlose Papiere halten, wie damals 2008, sondern hinter diesen Krediten stehen Gebäude.“(Bloomberg)