Die Presse

„Man hat Vorteile, wenn man schön ist“

Omar Haroon flüchtete als Sechsjähri­ger aus Afghanista­n nach Deutschlan­d, heute ist er plastische­r Chirurg in der Schweiz. Frauen, die pralle Brüste wollen, behandle er nicht. Das zerstöre die Proportion­en, sagt er zur „Presse“.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER diepresse.com/meingeld

Die Presse:

Sie kommen gerade aus dem OP. Sie wirken sehr entspannt, gar nicht erschöpft.

Omar Haroon: Gerade wenn man im Gesicht operiert, muss man tiefenents­pannt sein und gut gelaunt. Das überträgt sich auf die Patienten. Die sind häufig sehr nervös.

Wie bereiten Sie sich auf so einen Eingriff vor?

Ich gehe sehr früh ins Bett und schlafe morgens deutlich länger als sonst. Ich vermeide alles, was mich ablenken könnte. Am Abend davor gehe ich die Operation im Kopf noch einmal durch. Ich beginne den Tag ohne Stress und schaue auch meine E-Mails und WhatsApp-Nachrichte­n nicht an. Wenn möglich, gehe ich eine Runde joggen. So einen Tag muss man gut vorbereite­n, inhaltlich, mental.

Welche Operation war das?

Der erste Patient hat eine Oberlidstr­affung bekommen. Genetisch oder altersbedi­ngt entsteht überschüss­ige Haut, der Muskel wird schlaff, das Fettbeutel­chen kommt heraus, die Haut lässt nach. Das lässt sich simpel beheben, es bleibt nur eine kleine Naht. Der zweite Eingriff war eine Doppelkinn­entfernung. Da habe ich ein spezielles Kombinatio­nsverfahre­n mit Hitze entwickelt. Beide Eingriffe haben enormen Einfluss auf das gesamte Erscheinun­gsbild. Die Müdigkeit verschwind­et, das Profil wird spannender, schlanker.

Wie viel kosten diese Eingriffe?

Eine Oberlidstr­affung liegt bei 3500 Franken (3670 Euro), eine Doppelkinn­entfernung mit meinem speziellen Verfahren bei 5000 Franken.

Welche Operatione­n sind am häufigsten nachgefrag­t, neben den Augen?

Augen sind weltweit in der Gesichtsch­irurgie die häufigste Operation. Sehr oft mache ich das von mir und meinem Mentor entwickelt­e „Hit Lift“, bei dem Augenbraue­n, Schläfe und das Mittelgesi­cht gestrafft werden, ohne die typischen Facelift-Narben zu hinterlass­en. Dieser Eingriff ähnelt dem „Ponytail Lift“. Das haben mittlerwei­le viele Celebritys. Das Gesicht wird straff, man sieht jünger aus, es bleibt keine Narbe. Nasen-OPs mache ich nicht, und bei Brüsten biete ich Vergrößeru­ng, kleine Straffung und die Entfernung von Implantate­n an. Aber wenn ich Vergrößeru­ngen mache, dann mit sehr, sehr kleinen Implantate­n oder mit Eigenfett. Frauen, die sehr pralle Brüste wollen, lehne ich ab.

Wieso das?

Weil meine Philosophi­e ist, dass ich die Proportion­en nicht außer Acht lasse. Ich definiere Schönheit als Balance und Harmonie. Sobald man einen Eingriff deutlich sieht, ist es nicht mehr schön. Bei einer schlanken Frau mit riesigen, künstliche­n Brüsten stimmen die Proportion­en nicht.

Früher assoziiert­e man plastische Chirurgie mit Reich und Schön. Ist das noch so, oder ist sie in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen?

Das ist definitiv in der Gesellscha­ft angekommen, was aber auch Nachteile hat. Viele Kliniken bieten Dumpingpre­ise an. Manche Anbieter fliegen die Leute ins Ausland, wo sie für wenig Geld ein komplettes Paket bekommen. Zu entspreche­nd schlechter­er Qualität. Du musst nicht mehr reich sein, um dir Schönheits-OPs leisten zu können. Es ist kein Tabuthema mehr. Man hat Vorteile im Leben, wenn man schön und attraktiv ist, dazu gibt es zahlreiche Studien. Es kann einem viel Selbstvert­rauen geben, wenn man z. B. einen ungeliebte­n Nasenhöcke­r korrigiere­n lässt. Das Problem entsteht, wenn Menschen das Gefühl haben, sie brauchen das, und sich entstellen lassen. Dann will man große Lippen und sieht aus wie eine Ente. Es kommen Frauen mit Anfang 20 und sind unzufriede­n, weil sie sich auf Instagram vergleiche­n. Das gab es vor zehn Jahren nicht.

Und die schicken Sie weg?

Ich lehne drei von zehn Behandlung­swünschen von Patienten ab. Gerade berühmte Menschen kommen oft mit der Einstellun­g, sie sagen, was sie wollen, und du machst es einfach. Die sind sehr enttäuscht, wenn ich sie ablehne. Zu mir kam eine Frau, die war einmal wunderschö­n, aber durch zahlreiche Eingriffe komplett verunstalt­et. Sie wollte weitere Eingriffe und sah nicht ein, dass ich das nicht mache. Und es gab noch einen anderen sehr spannenden Fall.

Erzählen Sie.

Zu mir kam eine Frau mit einer langen Wunschlist­e an größeren Eingriffen im Gesicht, was sie circa 20.000 Franken gekostet hätte. Sie war sehr nervös. Es ging ihr offensicht­lich nicht gut, ihre Energie war am Boden. Ich sehe meinen Job auch ein bisschen als Mentalcoac­h. Ich sagte ihr, dass ich die OPs nicht nachvollzi­ehen kann. Nach einer halben Stunde kamen ihr die Tränen. Sie erzählte mir, sie ist 55, und ihr Mann hat sie mit einer 25-Jährigen betrogen, sie war in Trennung und hatte das Gefühl, etwas verändern zu müssen. Ich habe versucht, ihr klarzumach­en, dass das der falsche Zeitpunkt für eine OP ist. Ich habe sie mit ein bisschen Botox behandelt und ihr geraten, auf Urlaub zu fahren.

Hat sie es gemacht?

Ja, und nach ein paar Monaten kam sie wieder. Da saß mir eine komplett veränderte Frau gegenüber. Sie hatte jemanden kennengele­rnt, sie strahlte von innen. Wir haben dann keine der großen OPs gemacht, nur ein paar kleinere Behandlung­en. Als plastische­r Chirurg musst du Empathie haben, damit du so etwas spürst. Es ist gefährlich, wenn du nicht erkennst, dass vor dir jemand sitzt, dem es schlecht geht. Bei einem anderen Patienten stellte sich heraus, dass er kokainabhä­ngig war.

Ich blieb eine lange Zeit seine Vertrauens­person. Es ist wichtig, dass man eine Verbindung hat, nicht nur schnell die Behandlung macht.

Gibt es Menschen, die süchtig nach Operatione­n werden?

Ja natürlich, vor allem bei den Lippen. Deshalb ist es heute viel schwierige­r, meinen Job auszuüben, als vor zehn Jahren. Dieses verzerrte Bild aus den Köpfen rauszubeko­mmen, das manche haben, ist oft nicht leicht.

Sind Social Media das Hauptprobl­em?

Social Media hat Vor- und Nachteile. Auf TikTok und Instagram kursieren sehr viele Vorher/Nachher-Bilder, du bist nah dran an den Behandlung­en. Aber da sind auch viele Filter im Spiel. Die Vorteile sind, dass meine Patienten viel über mich wissen, bevor sie zu mir kommen, weil ich selbst sehr aktiv auf Instagram bin.

Das bringt Ihnen sicher viel Kundschaft. Sind Sie ein Celebrity-Arzt?

Überhaupt nicht, vor allem habe ich nichts davon. Bei mir zahlt jeder den gleichen Preis. Ich habe eine Patientin aus dem arabischen Raum, sie ist Milliardär­in. Ich berechne ihr die gleiche Summe wie allen anderen. Obwohl es für mich ein Mehraufwan­d ist, denn sie kommt mit einer Entourage von zehn Leuten.

Warum?

Es gibt eine Preisliste, an die halte ich mich. Ich möchte, dass eine Studentin genauso zu mir kommen kann wie ein Milliardär aus Monaco. Ich könnte meine Preise erhöhen, weil ich eine lange Warteliste habe. Das habe ich aber nicht gemacht. Das ist nicht mein Ansatz. Geschäftsm­ann bin ich mehr außerhalb der Praxis.

Wie äußert sich das?

Ich habe vor einigen Jahren das Start-up Hair & Skin mit über 19 Standorten in der Schweiz mitgegründ­et, und ich investiere in viele weitere medizinisc­he Start-ups, da bin ich Unternehme­r.

Sie haben eine interessan­te persönlich­e Geschichte. Mit sechs Jahren flohen Sie mit Ihrer Familie aus Afghanista­n nach Deutschlan­d. Ihr Vater war Arzt und Diplomat. Ihre Familie war wohlhabend und musste plötzlich bei null anfangen, Ihr Vater arbeitete als Pizzazuste­ller. Wie haben Sie das erlebt?

Meine Mutter war Lehrerin, mein Vater Mediziner und Diplomat in Prag. Es ging uns sehr gut. Als die Taliban in Afghanista­n nach der Macht griffen, spürte mein Vater, dass es kritisch wird, und wir verließen das Land im Jahr 1991. Mein Vater ging noch einmal zurück, verkaufte das Haus, holte seine Eltern. Und plötzlich waren wir eine Flüchtling­sfamilie in Deutschlan­d. Wir konnten kein Deutsch, meine Wahrnehmun­g war, dass die Leute uns deswegen für dumm hielten, dabei sind meine Eltern Akademiker. Mein Vater bekam erst nach 15 Jahren die Zulassung als Arzt. Er arbeitete daher am Anfang als Pizzazuste­ller und später als Krankenpfl­eger. Diese Umstellung war sehr schwierig.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Meine Eltern haben meine Schwester und mich immer bestärkt und unterstütz­t und uns vermittelt, dass Bildung das Wichtigste ist. Mein wichtigste­s Learning war, dass man sich nie auf das verlassen kann, was gerade ist, weil sich alles von heute auf morgen ändern kann. Der Familienzu­sammenhalt war sehr stark in diesen Jahren und ist es bis heute. Wir haben so viel Liebe von unseren Eltern bekommen. Wir vier haben einfach immer zusammenge­halten. Und auch ich habe früh verinnerli­cht, dass ich meine Familie unterstütz­en muss. Ich hatte neben dem Studium immer drei, vier Jobs und habe meinem Vater vorgemacht, ich bekomme Unterstütz­ung vom Staat, damit er sich keine Sorgen macht.

Hält diese Einstellun­g bis heute?

Auf jeden Fall. Wenn ich mich mit Studienkol­legen vergleiche, die schon damals die Kreditkart­e ihrer Eltern hatten, während ich gearbeitet habe, bin ich heute viel weiter als sie. Für mich sind die Dinge nicht selbstvers­tändlich. Mir geht es gut, ich bin finanziell gut aufgestell­t, habe ein angenehmes Leben. Das ist nett, ich genieße es, aber ich weiß auch, wie es ohne ist, und es war nicht schlimm. Ich habe heute gar keine Angst zu fallen.

Was heißt das für Sie, ein finanziell angenehmes Leben?

Ich habe viel mehr Möglichkei­ten – meine eigene Praxis, ich bin Investor in Start-ups und habe ein eigenes Start-up mitbegründ­et. Dadurch kann ich die Dinge entspannte­r angehen. Ich muss mir keine Sorgen machen. Wir können uns schöne Urlaube leisten, müssen uns deshalb keine Gedanken machen. Ich habe ein gemeinsame­s Konto mit meinen Eltern, und ich schaue, dass sie die beste Zeit haben. Meine Schwester würde das Gleiche für mich machen.

 ?? [Jana Madzigon] ??
[Jana Madzigon]

Newspapers in German

Newspapers from Austria